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Wege zu noch mehr nuklearer Teilhabe
Deutsche Politiker möchten über Atomwaffen reden
Es könnte eine der skurrilsten Episoden der westdeutschen Nachkriegsmilitärgeschichte sein: Im Herbst 1962 wurde ein US-Bataillon in der Nähe von Darmstadt plötzlich in Einsatzbereitschaft versetzt. Es sollte einen Lkw-Konvoi begleiten, mit dem einige Atomwaffen, die dort in einem unscheinbaren Geheimbunker gelagert waren, in ein gut 100 Kilometer entferntes Lager in einem Wald bei Fulda transportiert wurden. Als die gefährliche Fracht einige Tage später zurückkam, war der Bunker zu einer weiträumig abgesperrten Festung ausgebaut. Zweck der Übung soll gewesen sein, einen Diebstahl der Waffen durch die Bundeswehr zu verhindern, wie ein Offizier Jahrzehnte später berichtete. Eine Befürchtung, die in US-Regierungskreisen nachweislich die Runde machte.
Die Anekdote ist zwar nicht belegt, doch sie macht mit Blick auf die neu entfachte Nukleardebatte zweierlei deutlich: Der Weg zu deutschen Atomwaffen ist nicht so weit, wie man denken möchte. Und es gab Bestrebungen, Deutschland zur Atommacht zu machen. Bis heute gehört zu ultrakonservativer Außenpolitik weltweit der Gedanke: Nationale Stärke basiert auf Verfügungsgewalt über Atomwaffen. Kanzler Konrad Adenauer und ranghohe Militärs wollten die Bundeswehr in einer Zeit, als außenpolitisch vieles in Bewegung war, mit taktischen Atomsprengköpfen ausstatten. Am massivsten trieb dies Verteidigungsminister Franz Josef Strauß voran. Der CSU-Politiker, der zuvor als Atomminister die zivile Nutzung der Kernenergie vorbereitet hatte, machte 1958 im Bundestag seine Lesart der Abschreckung deutlich: »Wenn der Angreifer über Atomwaffen verfügt, ohne sie anzuwenden, und er steht einem Verteidiger gegenüber, der sie nicht hat, ist der Angreifer alleine mit seinen konventionellen Mitteln deshalb in einer erdrückenden Überlegenheit.« FJS war es auch, der im Gegenzug zu wirtschafts- und währungspolitischen Zugeständnissen aushandelte, dass die Bundeswehr zumindest mit Trägersystemen ausgerüstet wurde.
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Dass es in Deutschland nicht noch weiter ging, lag an der neuen US-Strategie der »flexiblen Erwiderung« und der Nato-Strategie der »nuklearen Teilhabe« in den 60er Jahren. So wurde für Deutschland eine gewisse Mitbestimmung über den Einsatz der gelagerten US-Atomwaffen verankert, wobei letztlich das Weiße Haus entscheidet, und die Bundeswehr kann mit ihren Trägersystemen Atomsprengköpfe abschießen. Mit Entspannungspolitik, Wiedervereinigung und dem Ende des Kalten Krieges rückten dann atomare Abrüstung und völkerrechtlich verankerte Rüstungskontrolle in den Vordergrund.
Moskaus nukleares Säbelrasseln im Ukraine-Krieg und die Perspektive einer zweiten Amtszeit Donald Trumps haben nun aber eine erneute Debatte über Atomwaffen und Deutschlands Nuklearstrategie befördert. FDP-Chef Christian Lindner stellte die Möglichkeit in den Raum, französische oder auch britische Bomben in Europa »für eine kollektive Sicherheit vorzuhalten oder auszubauen«. Und die SPD-Europapolitikerin Katarina Barley fragte rhetorisch, ob die EU nicht eigene Atombomben brauche. Da ihre Äußerung gerade in den eigenen Reihen schlecht ankam, relativierte sie diese jetzt im ZDF etwas: Die sei »keine Forderung, sondern eine Feststellung, eine sehr realistische Feststellung. Denn natürlich müssen wir, wenn wir Verteidigungspolitik europäischer denken, alle Fragen da mit einbeziehen«.
Die Debatte kommt indes nicht aus dem Nichts: Mit der Zeitenwende wird nicht nur die konventionelle Aufrüstung massiv vorangetrieben, sondern Außenpolitikexperten diskutieren seit Monaten auch die Implikationen für die Atombewaffnung. Die Positionen reichen von Engagement für Abrüstung samt besserer Beziehungen zu China und Russland über ein Aussitzen Donald Trumps im Status Quo, einen französischen Schutzschirm für die Bundesrepublik oder gemeinsame EU-Nuklearwaffen samt einem zwischen Staaten wechselnden Roten Knopf – sogar bis hin zu einer deutschen Atombombe: »Wir müssen eine eigene atomare Abschreckungsfähigkeit entwickeln«, fordert der Bonner Politologe Christian Hacke. »Deutsche Waffen wären friedenswahrend.«
Eine solche Extremposition wird mit Ausnahme der AfD bisher nirgends aufgegriffen. Dass es auch früher letztlich bei Gedankenspielen blieb, lag insbesondere an einem innenpolitischen Korrektiv. Die Aufstellung der Bundeswehr 1955 war schon umstritten. Als es dann auch um Nuklearwaffen erging, wurde die Friedens- zur Massenbewegung – mit der Kampagne »Kampf dem Atomtod«. So war es auch Anfang der 1980er Jahre nach dem Nato-Beschluss über die Stationierung neuer atomarer Mittelstreckenraketen in Westeuropa.
Auch wenn eigene deutsche Atomwaffen absehbar kein Thema sind – die vorsichtig begonnene Debatte über eine Europäisierung birgt Gefahren: etwa dass das Thema atomare Abrüstung ganz zur Seite geschoben und stattdessen über alle möglichen nuklearen Optionen diskutiert wird. So wünscht Karl-Heinz Kamp, Ex-Präsident der Bundesakademie für Sicherheitspolitik, eine »Förderung des nuklearen Wissens« unter politischen Entscheidungsträgern und in Universitäten. Es brauche eine »aktive deutsche Nuklearpolitik« und eine Strategie der Abschreckung geht.
Letztlich würde Deutschland noch mehr Mitsprache über Atomwaffen beanspruchen, müsste Fragen danach beantworten, ob man nuklear aufrüsten will und wann im Ernstfall Atomwaffen eigentlich zum Einsatz kommen sollen. Deshalb spricht die Internationale Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen (ICAN) zwar von einer »Zombie-Debatte« über eine Europäisierung, bei der »schon die technischen, rechtlichen und finanziellen Hürden auf dem Weg zu einer EU-Atombombe kaum zu stemmen wären«, diese sei aber gefährlich. Solche Überlegungen würden »den völkerrechtlichen Verpflichtungen Deutschlands gemäß dem Nichtverbreitungsvertrag widersprechen und als weltweite Kettenreaktion die globale Proliferation von Atomwaffen befördern«.
Mit Blick aufs Völkerrecht war man indes schon früher kreativ: Obwohl die Pariser Verträge Deutschland ab 1955 den Verzicht auf ABC-Massenvernichtungswaffen auferlegten, hielt Kanzler Adenauer wenig später die Nuklearoption offen mit den Worten: »Unterscheiden Sie doch die taktischen und die großen atomaren Waffen. Die taktischen Waffen sind nichts weiter als die Weiterentwicklung der Artillerie.«
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