Tram in Berlin: BVG streicht Züge der M4

Mangelnder Vorrang sorgt für neue empfindliche Einschränkungen bei der Straßenbahn

Über 56 Meter lang sind die Züge auf der Linie M4 – Rekord in Berlin
Über 56 Meter lang sind die Züge auf der Linie M4 – Rekord in Berlin

Sie hat die meisten Fahrgäste, die längsten Züge und den dichtesten Takt: Die M4 ist die Rekordhalterin bei den Berliner Straßenbahnlinien. Alle drei bis vier Minuten soll im Berufsverkehr eine Bahn auf der Linie fahren, die Mitte, Weißensee und Hohenschönhausen verbindet.

Doch seit Montag setzen die Berliner Verkehrsbetriebe zu den Hauptverkehrszeiten die Züge nur noch alle fünf Minuten auf der Kernstrecke zwischen Hohenschönhausen und Mitte ein. Was sich zunächst nach einem kleinen Unterschied anhört, entspricht einer Streichung von einem Drittel des planmäßigen Angebots. Zwölf statt 18 Fahrten pro Stunde und Richtung, die Kapazität sinkt damit von 5400 auf 3600 Fahrgäste stündlich je Fahrtrichtung.

Dieser drastische Einschnitt wurde den Beförderungsfällen, wie es so schön im Amtsdeutsch heißt, per neuem Fahrplanaushang an den Haltestellen kundgetan. Unterlegt sind die Tabellen in hellgrauer Schrift mit dem Hinweis »Baufahrplan«. Doch es geht gar nicht um Tram-Baustellen.

Muckefuck: morgens, ungefiltert, links

nd.Muckefuck ist unser Newsletter für Berlin am Morgen. Wir gehen wach durch die Stadt, sind vor Ort bei Entscheidungen zu Stadtpolitik – aber immer auch bei den Menschen, die diese betreffen. Muckefuck ist eine Kaffeelänge Berlin – ungefiltert und links. Jetzt anmelden und immer wissen, worum gestritten werden muss.

»Auf der M4 haben wir derzeit durch Baustellen (mit drei zusätzlichen Ampeln) im Streckenverlauf eine verlängerte Fahrzeit. Um den Mehrbedarf an Fahrzeit zu kompensieren, müssen wir daher den Takt in der Hauptverkehrszeit leider vorübergehend anpassen«, antwortet die BVG-Pressestelle auf die Frage von »nd« nach dem Grund der Maßnahme. Außerdem solle an zwei regulären Ampeln die Steuerung auch noch angepasst werden, man sei dazu »bereits in Gesprächen mit den beteiligten Stellen«, heißt es weiter.

Es ist also mal wieder die mangelnde Bevorrechtigung von Straßenbahnen und Bussen, weswegen die Verkehrsbetriebe die Notbremse beim Angebot ziehen. Ein seit Jahrzehnten notorisches Problem, dass keine und keiner der vielen Verkehrssenatorinnen und -senatoren von SPD, Grünen oder CDU in den langen Jahren systematisch angegangen ist.

Nach einem kleinen Zwischenhoch in der Corona-Pandemie folgt die Durchschnittsgeschwindigkeit wieder dem langjährigen Trend abwärts. Beim Bus sank das Tempo stadtweit von 17,98 Kilometern pro Stunde im Jahr 2020 auf 17,9 im Jahr 2022, bei der Straßenbahn von 17,67 Kilometern pro Stunde auf 17,49. Die Linie M4 kam 2020 durchschnittlich in einer Stunde noch 17,8 Kilometer weit, 2022 waren es nur noch 17,2 Kilometer. Die Angaben stammen aus Antworten auf Schriftliche Anfragen der Verkehrspolitiker Tino Schopf (SPD) und Kristian Ronneburg (Linke). Zahlen für 2023 sind nicht öffentlich verfügbar.

Zur Wahrheit gehört auch, dass die BVG bereits seit Jahren auf der M4 über lange Zeiträume den vom Land Berlin bestellten Drei- bis Vier-Minuten-Takt morgens und nachmittags nicht fuhr. Der Fahrgastverband IGEB kritisierte das im September 2023 massiv in seiner Zeitschrift »Signal«. Die BVG wolle mit wechselnden Ausreden »über ihren Fahrermangel durch Missmanagement und Mangelwirtschaft hinwegtäuschen«, so die Fahrgastlobbyisten.

In einem Nahverkehrsforum wird ein Straßenbahnfahrer deutlicher als die BVG-Pressestelle, was die Situation auf der M4 betrifft. »Auf der ganzen Linie befinden sich über zehn Ampeln im Festprogramm, die teilweise auch entgegengesetzt voneinander schalten, sodass man die sonst gute Fahrzeit einfach nicht schaffen kann«, schreibt er. »Es sind ausschließlich die Ampeln, die für diese Verspätungen sorgen.«

Auf dem Papier seien bisher sieben Minuten Standzeit an den Endhaltestellen der M4 vorgesehen gewesen, mit der Fahrplanausdünnung seien es nun 10 bis 16 Minuten. Mindestens zehn Minuten planmäßiger Aufenthalt an Linien-Endpunkten ist auch eine Forderung der Gewerkschaft Verdi in den laufenden Tarifverhandlungen für die BVG-Beschäftigten.

Genau bei diesem Thema gebe es »aus Arbeitgebersicht keinen Verhandlungsspielraum«, ließ die BVG vergangene Woche in einer Mitteilung zum Verhandlungsstand wissen. Diese »pauschale Forderung« könne »in absehbarer Zeit mit Blick auf den daraus resultierenden Mehrbedarf an Mitarbeitenden, Fahrzeugen und notwendiger (Straßen-)Infrastruktur realistisch nicht umgesetzt werden«. Die Angebotskürzung der M4 ließe sich auch als Warnung der Verkehrsbetriebe an Gewerkschaft und Senatsverkehrsverwaltung verstehen.

Großen Kummer bereitet erneut auch die Köpenicker Bahnhofstraße. Wieder stehen Bahnen und Busse dort im Autostau, Fahrten verlängern sich deutlich oder fallen ganz aus. Das dortige Chaos 2023 war berlinweit Thema. Wegen Bauarbeiten an der Bahnstrecke nach Erkner ist die Umfahrung über die Hämmerlingstraße erneut gesperrt. Zudem ist auch noch der Bahnübergang Rudolf-Rühl-Allee dicht, weil es just dort einen Gleisbruch gab. Die DB muss nun die Gleise erneuern, was sie schon lange vorhatte, allerdings keine Genehmigung für die nötige Straßensperrung bekam.

»Bei solchen Sperrungen müssen die Autos raus aus der Bahnhofstraße und über Puchan- und Borgmannstraße umgeleitet werden«, erneuert Christian Linow die Forderung der IGEB. Erhört wurde sie von der Senatsverkehrsverwaltung bisher nicht.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.