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Cannabis bald legal: Endspurt bei der Entkriminalisierung
Am Freitag soll im Bundestag über das Cannabisgesetz abgestimmt werden
Viele Cannabis-Konument*innen haben eine Neigung zu Zahlenspielereien. Jedes Jahr am 20. April feiern viele »4:20«; das Ganze geht zurück auf eine ziemlich bekiffte Geschichte aus Amerika, in der sich ein paar Freunde nachmittags 20 nach vier getroffen haben, um eine verlassene Cannabis-Plantage zu suchen. Nun, in Deutschland können sich Cannabis-Nutzer*innen in diesem Jahr mindestens drei extra Termine in den Kalender eintragen. Der erste ist dieser Freitag, wenn das Cannabisgesetz im Bundestag beschlossen werden soll. Am 22. März soll es dann im Bundesrat auf der Tagesordnung stehen, was wenn der Vermittlungsausschuss angerufen wird, nochmal zu einer Verzögerung führen könnte. Sollte das nicht der Fall sein, tritt das Gesetz am 1. April in Kraft.
Dass die Abstimmungen zum Cannabisgesetz erst kurz vor dem Inkrafttreten stattfinden, war so nicht geplant. Eigentlich hatten die Ampel-Parteien Ende November vergangenen Jahres verkündet, dass sie sich auf einen finalen Gesetzentwurf geeinigt haben. Über diesen sollte im Dezember abgestimmt werden. Dann kam es anders. Die SPD äußerte Bedenken, es wurde noch einmal über das Gesetz verhandelt. Große Veränderungen am Rahmen des Gesetzes gab es nicht: Die Evaluation der Außenwirkungen findet nun früher und breiter statt. Außerdem wird die gewerbsmäßige Abgabe an Jugendliche stärker sanktioniert. Damit können in der Ampel alle, bis auf einzelne SPD-Abgeordnete, gut leben.
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Allerdings, auch der lauteste Kritiker der Entkriminalisierung ist ein Sozialdemokrat. Sebastian Fiedler, bis zu seinem Einzug in den Bundestag 2021 Chef des Bundes deutscher Kriminalbeamter, erklärte am Mittwoch in einem Interview bei dem juristischen Onlinemagazin »Legal Tribune Online«, dass er am Freitag gegen das Gesetz stimmen werde. Im Koalitionsvertrag habe man die kontrollierte Abgabe von Cannabis an Erwachsene zu Genusszwecken in lizenzierten Geschäften als Ziel vereinbart. Die gebe es nun nicht. Ab dem 1. April könne jeder 25 Gramm Cannabis bei sich tragen. Das sei »genau die Form von Vertriebsmöglichkeit für Dealer, von der sie nicht einmal zu träumen gewagt haben«, kritisiert Fiedler. Dass die Anbauvereinigungen, in denen Mitglieder Cannabis kaufen dürfen, erst zum 1. Juli in Betrieb gehen dürfen, findet Fiedler besonders paradox. In der Zwischenzeit sieht er einen aufblühenden Schwarzmarkt. Innerhalb der SPD kritisierte Fiedler, dass seine Kritik und die anderer bei der Überarbeitung des Gesetzes nicht ausreichend gehört worden sei. Am Freitag wollen sie gegen das Gesetz stimmen.
Auch die Innenminister*innen der Bundesländer lehnen das Cannabisgesetz ab. In einem Brief an die Bundestagsfraktionen sowie Bundesinnenministerin Nancy Faeser warnen sie, es seien »gravierende negative Auswirkungen auf die Bekämpfung der organisierten Kriminalität, den Kinder- und Jugendschutz sowie den Gesundheitsschutz« zu befürchten. Die Bundesärztekammer erklärte kürzlich, dass sie die Freigabe von Cannabis zu Genusszwecken ablehnt. Ihr Präsident Klaus Reinhardt forderte eine namentliche Abstimmung im Bundestag, die Fraktionsdisziplin müsse »gegenüber der persönlichen Verantwortung der Abgeordneten zurücktreten«. Auch die CDU/CSU-Fraktion fordert eine namentliche Abstimmung und hat angekündigt, das Cannabisgesetz wieder einzustampfen, wenn sie wieder regiert.
Es gibt allerdings nicht nur Kritik. Über 30 Expert*innen aus Wissenschaft und Suchtarbeit haben am Montag einen offenen Brief an alle Bundestagsabgeordneten veröffentlicht. Sie appellieren darin an die Verantwortung der Politiker*innen. Durchschnittlich 175 000 Menschen im Jahr würden in Deutschland wegen Cannabis-Besitzes zum Eigengebrauch kriminalisiert. Sie würden mit dem neuen Gesetz nicht mehr »stigmatisiert«. Der Brief verweist außerdem auf die Erfahrungen aus anderen Ländern; diese zeigten, dass eine »moderate Cannabis-Neuregulierung zu mehr Gesundheit und verbesserten Hilfen« führe. Auch der Schwarzmarkt werde sich durch das Modell mit Anbauvereinigungen und heimischem Anbau verringern, prognostizieren die Expert*innen. Allgemein versprechen sie sich eine Stärkung der Drogenhilfe und eine Ermutigung für Eltern und Jugendliche, professionelle Beratungsangebote aufzusuchen.
Speziell an diesem Punkt übt einer, der das Gesetz eigentlich befürwortet, scharfe Kritik. Ates Gürpinar, bei den im Bundestag verbliebenen Linken für Drogenpolitik zuständig, kritisiert gegenüber nd, dass kein »durchdachtes Präventionskonzept« vorgestellt wurde. Eine digitale Kampagne ersetze keine Beratungsinfrastruktur, kritisiert der bayerische Abgeordnete, der sich auch Sorgen macht, weil die Ampel bei der Suchtprävention im aktuellen Haushalt gekürzt hat. Gürpinar ist der Auffassung, dass »trotz vieler Mängel« in dieser Woche ein »bedeutender Schritt Richtung rationale Drogenpolitik« gemacht wird. »Vor allem die Beendigung der Strafverfolgung von Konsument*innen ist bedeutsam und trägt zur Entstigmatisierung bei«. Nachbesserungsbedarf sieht er noch bei den Besitzmengen und Abstandsgrenzen zu Schulen und der »Überregulierung« der Anbauvereinigungen.
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