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  • Zwei Jahre Ukraine-Krieg

Sport im Kriegsalltag: Fußball unter Bombenalarm

Der ukrainische Sport müht sich um Normalität trotz des Kriegsalltags

  • Denis Trubetskoy, Kiew
  • Lesedauer: 7 Min.
Zu Beginn des Krieges kam der Sport wie hier in Butscha komplett zum Erliegen. Langsam kehrt etwas Normalität zurück. Soweit das im Krieg überhaupt möglich ist.
Zu Beginn des Krieges kam der Sport wie hier in Butscha komplett zum Erliegen. Langsam kehrt etwas Normalität zurück. Soweit das im Krieg überhaupt möglich ist.

Als am 24. Februar gegen 5 Uhr morgens die ersten russischen Raketen auf das Nachbarland flogen und die russischen Streitkräfte Richtung Kiew marschierten, war in der Ukraine an Sport vorerst nicht mehr zu denken. Der Betrieb der Premjer-Liha im ukrainischen Fußball wurde sofort eingestellt, fast alle Ligen in anderen Sportarten folgten. In einer Zeit, in der die gesamte ukrainische Staatlichkeit infrage stand, war der Sport nicht mal fünftrangig.

Noch bis Mitte März 2022 war unklar, ob es der russischen Armee gelingt, ins Kiewer Stadtgebiet vorzustoßen. Zwei Wochen später musste sie ihre Niederlage in der Schlacht um die ukrainische Hauptstadt eingestehen und sowohl die Vorstädte wie das inzwischen weltbekannte Butscha oder das nördlich gelegene Tschernihiw räumen. Aktuell ist die Frontlinie mehr als 1000 Kilometer lang – vom Bezirk Charkiw im Nordosten bis hin zur Region Cherson.

Während ostukrainische Städte wie Awdijiwka, Bachmut und Marjinka eine nach der anderen vernichtet werden, hat sich die Lage im Hinterland stabilisiert, bis auf den ständigen Drohnen- und Raketenbeschuss. Der Alltag der Menschen ist jedoch keinesfalls ruhig: Neben den unberechenbaren Luftangriffen besteht in allen Regionen bis auf Transkarpatien weiterhin eine nächtliche Ausgangssperre. Inzwischen kennt jeder jemanden, der verletzt oder getötet wurde. Das Thema einer möglichen Mobilmachung wird für jeden Einzelnen aktueller, je länger der Krieg andauert.

Trotzdem gibt es in diesem Alltag spätestens seit Mitte 2022 auch wieder Platz für Sport. »Der Staat stand langsam vor der Entscheidung, wie er in dieser neuen Realität mit solchen Randthemen umgeht«, sagt der renommierte Sportjournalist Oleh Schtscherbakow, Chefredakteur des führenden Onlineportals »Tribuna«. »Letztlich fiel der Entschluss: Der Sport muss doch möglichst weitergehen.« Der Impuls dafür kam vom Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Zwar hat er nach wie vor wichtigere Anliegen als die ukrainische Fußball-Liga. Als jemand, der selbst aus der Fernseh- und Unterhaltungsbranche stammt, versteht Selenskyj es aber besser als manch anderer, dass ukrainische Sportler im Ausland vor allem Werbung für ihr Land machen und für das internationale Interesse an der Ukraine nicht unwichtig sind.

Ab August 2022 liefen wieder Fußball-Profis in der Premjer-Liha auf, auch andere Sportevents durften unter Sicherheitsvorkehrungen und ohne Zuschauer ausgetragen werden. »Es war ein Signal sowohl an die ukrainische Bevölkerung als auch an Russland: Ihr könnt uns alle mal! Die Russen werden uns den Rest des Alltags nicht komplett wegnehmen. Und natürlich ging es schlicht darum, dass die Ukrainer trotz des Krieges noch Spaß an etwas haben sollten«, glaubt Journalist Schtscherbakow.

Von normalem Sportbetrieb kann indes keine Rede sein: Niemand kann vorhersagen, wann der nächste Luftalarm folgt, der alle Beteiligten unverzüglich in die Luftschutzkeller zwingt. Seit anderthalb Jahren gibt es immer wieder Fußballspiele, die für fünf oder mehr Stunden unterbrochen werden. Manche wurden auf den nächsten Tag verlegt. Dass die Partien trotzdem vor Ort in der Ukraine und nicht beispielsweise in Polen stattfinden, was anfangs auch diskutiert worden war, liegt vor allem in der Symbolik begründet: Die gut bezahlten Fußballer von Schachtar Donezk oder Dynamo Kiew müssen mit den gleichen Umständen wie alle Ukrainer klarkommen.

Für die Vereine, die im Europapokal spielen, ist es jedoch deutlich komplizierter geworden: Schachtar Donezk etwa spielt regulär in Kiew. Doch wenn Spiele der Champions League oder Europa League anstehen, wird das letzte Spiel meist im westlich gelegenen Lwiw ausgetragen, danach geht es mit dem Bus nach Polen und von dort mit dem Flugzeug nach Hamburg.

In der vorigen Saison wurden die Schachtar-Spiele noch in Warschau ausgetragen. Diesmal hat man sich für Hamburg entschieden, weil die Einnahmen in der Stadt, die seit mehr als 15 Jahren kein Champions-League-Spiel mehr gesehen hat, größer sind. Diese Einnahmen sind wichtig – selbst für Schachtar, hinter dem Rinat Achmetow steht, der reichste Unternehmer der Ukraine. Der aus Donezk stammende Achmetow hat nach dem 24. Februar 2022 noch mehr an Vermögen eingebüßt als nach Beginn des ursprünglichen Donbass-Krieges im Frühjahr 2014. Deswegen muss der Verein nach alternativen Einnahmequellen suchen.

»In diesem Krieg gibt es nichts Gutes, doch ich würde schon sagen, dass im ukrainischen Fußball nun einiges besser wurde. Früher gab es ein paar Oligarchen-Vereine, die schlicht Spielzeuge waren. Jetzt müssen die Klubs tatsächlich viel wirtschaftlicher denken«, urteilt Journalist Schtscherbakow. Neuerdings investieren mittelständische Agrarunternehmen statt Oligarchen in die Vereine: Etwa beim Klub Polissja aus dem westukrainischen Schytomyr, der aktuell sogar Rang drei in der Premjer-Liha belegt.

Top-Vereine zahlen keine überhöhten Preise, etwa für junge Brasilianer. Das hilft sowohl beim Aufbau angemessener Strukturen als auch bei der Entwicklung junger ukrainischer Fußballer, die früher aufgrund der gezahlten Summen oft in der Ukraine blieben. Sie wechseln nun viel eher ins Ausland, einige machen dabei qualitativ den nächsten Schritt. Die aktuelle Nationalmannschaft, die von der Dynamo-Legende Serhij Rebrow trainiert wird und für viele die beste ukrainische Nationalelf aller Zeiten ist, besteht zu einem nicht unbedeutenden Teil aus Spielern, die in anderen europäischen Ligen kicken.

Ab Frühjahr kehrt etwas mehr Normalität in den ukrainischen Fußball ein. Sportevents dürfen dann wieder vor Zuschauern ausgetragen werden. In der Basketball-Meisterschaft wird bereits vor Fans gespielt. Die letztliche Entscheidung wird je nach Sicherheitslage von der jeweiligen lokalen Militärverwaltung getroffen. Volle Stadien sind nicht zu erwarten. Die Anzahl der zugelassenen Zuschauer wird von den Kapazitäten des nächstgelegenen Luftschutzkellers abhängen, die sich von Stadtion zu Stadion stark unterscheiden.

Dass Fußball und Sport in Kriegszeiten so wichtig genommen werden, sorgt auch für Kontroversen: In der Ukraine wird aktuell erst ab 27 Jahren mobilgemacht. Viele Sportler sind sowieso jünger. Männer zwischen 18 und 60 Jahren dürfen das Land dennoch nicht verlassen. Sportler, die dank einer Ausnahmegenehmigung zu einem Event mit der Nationalmannschaft ausreisen und dann zurückkehren, werden nicht kritisiert – obwohl es Fälle gibt, bei denen Sportler oder Betreuer im Ausland blieben. Ins Ausland gewechselte Fußballer stehen teilweise in der Kritik, auch wenn Spieler wie Oleksandr Sintschenko von Arsenal London oder Artem Dowbyk vom FC Girona nicht nur Aufmerksamkeit für die Ukraine bringen, sondern auch mit massiven Spendensammlungen der Armee helfen.

Jenseits des Fußballs sieht die Lage im ukrainischen Sport allgemein ähnlich aus: Weil der Staat die grundsätzliche Entscheidung getroffen hat, den Sport weiterhin zu unterstützen, ist es etwa nicht zu erwarten, dass die Ukrainer bei den Olympischen Sommerspielen in Paris schlechter auftreten, als es ohne den vollumfänglichen Krieg der Fall gewesen wäre. »Nach derzeitigem Stand liegt das allgemeine Niveau ungefähr auf dem von 2021«, betont Maksym Krawez, ebenfalls Sportjournalist, der aktuell Analysen für eine ukrainische Sportwettagentur erstellt. »Die Auswirkungen des Krieges werden jedoch mit Zeitversetzung einen riesigen Einfluss auf den Sport haben.«

Es geht dabei einerseits um Hunderttausende Kinder, die die Ukraine mit ihren Angehörigen verlassen haben. Dass zumindest ein Teil davon nicht zurückkehren wird, gilt als sicher. Nach Angaben des Sportministeriums sind mehr als 350 Sportobjekte von den Russen beschädigt, fast 100 davon komplett zerstört worden. In der Hauptstadt Kiew ist der Sportkomplex Awandard ein Beispiel dafür: Awandard galt als wichtiges Zentrum für Kinderbasketball, es wurde von einer russischen Rakete im März 2022 zerstört. Und natürlich geht es um mehr als 400 Sportler und Trainer, die bisher in diesem Krieg gestorben sind: Als Soldaten, aber auch als Zivilisten, die zur falschen Zeit am falschen Ort von einer Drohne oder Rakete erwischt wurden.

Damit die Ukraine und auch der ukrainische Sport überhaupt eine Zukunft haben, sind viele bekannte Sportler gerade in der Armee im Einsatz. Wladyslaw Waschtschuk etwa, der Ex-Verteidiger von Dynamo Kiew, der mit Schewtschenko und Rebrow im Halbfinale der Champions League 1998/99 gegen den FC Bayern spielte, ist an heißen Ecken im Osten der Ukraine im Einsatz. Aus dem Tennisspieler Oleksandr Dolhopolow, 2013 unter den Top 15 im ATP-Ranking, ist ein Drohnenpilot einer Luftaufklärungseinheit geworden, während der prominente Schachgroßmeister Ihor Kowalenko als Sappeur, das heißt Truppenhandwerker, dient.

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