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Keine Zeitenwende in der Klimapolitik
Armin Osmanovic über eine zögerliche Klimapolitik der Ampelkoalition
Das Überschreiten des 1,5-Grad-Ziels war kürzlich nur eine kurze Meldung wert. Politiker*innen gingen erst gar nicht auf die neue klimapolitische Hiobsbotschaft ein, wonach die Erderwärmung schneller voranschreitet als gedacht. Das hat auch damit zu tun, dass SPD und Grüne in der Ampel-Koalition mit dem Versuch beschäftigt sind, sich bis zu den Bundestagswahlen im Herbst 2025 irgendwie durchzumogeln. Um dieses Ziel zu erreichen, wollen sie offensichtlich so tun, als könne der Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft ohne große Eingriffe vonstattengehen. Klimawandelleugnen 2.0 könnte man das nennen: Man weiß um die Gefahren der Erderwärmung, aber aus Angst vor mehr Protesten von Bauern und vor Druck aus den Wirtschaftsverbänden hat man sich auf einen »Klimaschutz light« geeinigt.
Die Ampel-Koalition kann sich dabei auf eine Mehrheitsstimmung in der Gesellschaft stützen, die Klimaschutz für notwendig hält, aber Maßnahmen, die den eigenen Komfort schmälern, weitgehend ablehnt. Die Kaufzurückhaltung bei Bio-Lebensmitteln und Elektroautos einerseits und der Boom beim Einbau von neuen Gas- und Ölheizungen sowie die ungebrochene Reiselust andererseits verdeutlichen diese Verweigerungshaltung.
Die Dekarbonisierung unserer Wirtschaft, die Renaturierung großer Teile des Landes, der Rück- und Umbau der Infrastruktur für eine nachhaltige Verkehrsinfrastruktur, der ökologische Stadtumbau und das Ende der industriellen Landwirtschaft sind eine Jahrhundertaufgabe. Mit einer Umschichtung im Bundeshaushalt allein ist diese gewaltige Aufgabe nicht zu schaffen. Da man aber neue Schulden begrenzen will, um den Schuldenstand am Bruttoinlandsprodukt zu senken, muss die Ampel so tun, als ob der Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft im Kontext geopolitischer Konflikte, die einstweilen leider auch mehr Verteidigungsausgaben erfordern, dennoch ginge.
Armin Osmanovic ist seit 2020 Büroleiter der Rosa-Luxemburg-Stiftung für Nordafrika.
Weder Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) noch sein Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) sind bislang zu einer klimapolitischen Zeitenwende bereit. Ein solcher Schritt müsste den Bruch der Ampel-Koalition in Kauf nehmen, da die FDP sich entschlossen hat, in ihre alte Standortpolitik mit den Rezepten Bürokratieabbau und Steuersenkungen für Wohlhabende und Unternehmen zurückzufallen.
Doch ohne einen Kurswechsel in der deutschen Schuldenpolitik gibt es keinen effektiven Klimaschutz. Da es an allen Ecken und Enden am Geld fehlt, gleicht die Politik die Ampel-Regierung einem wilden Hin und Her mit dem Resultat, dass die Wut auf die Regierung weiter wächst. Das abrupte Ende der Elektroautoprämie, leere KfW-Fördertöpfe, zeitweilige Blockaden von EU-Vereinbarungen zum Ende des Verbrennermotors und schärfere Abgasregelungen für Lkw und Busse verspielen das Vertrauen in die demokratische Politik.
Die Schuldenbremse stellt sich als größtes Hindernis für eine effektive Klimaschutzpolitik heraus. Denn Steuererhöhungen für Wohlhabende und Erben sind kein geeigneter finanzpolitischer Ausweg. Solche Steuererhöhungen sind gerechtigkeitspolitisch sinnvoll, um den sozialen Zusammenhalt der Gesellschaft zu stärken. Sie sind aber Wasser auf die Mühlen all jener, die die Klimapolitik als unzumutbar und unvernünftig darstellen.
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