Ende der himmlischen Ruhe

Der neue Aufbruch zum Mond könnte Interessenskonflikte mit sich bringen

  • Ilka Petermann
  • Lesedauer: 5 Min.
Im »Weltraumvertrag« von 1967 ist die Ausbeutung extraterrestrischer Ressourcen – hier imaginiert durch eine KI – nicht geregelt.
Im »Weltraumvertrag« von 1967 ist die Ausbeutung extraterrestrischer Ressourcen – hier imaginiert durch eine KI – nicht geregelt.

Während mit dem Mondaufgang für die meisten gemeinhin ruhige Abend- und Nachtstunden beginnen, ging für den Astronomen Johann Friedrich Julius Schmidt die Arbeit erst richtig los. In unzähligen Nächten beobachtete, vermaß und skizzierte er die Oberfläche des Mondes und erstellte so die zu seiner Zeit genaueste Karte der erdzugewandten Seite des Mondes: Knapp 33 000 einzelne Krater sind in dem 1878 erschienenen Werk »Charte der Gebirge des Mondes« detailreich dargestellt und gaben Zeitgenossen umfangreiches Material zum Bewundern oder (für Schlaflose) zum Nachzählen.

Nun hatte die Selenographie, auch Mondkartierung genannt, eine lange Tradition. Die ersten bekannten Skizzen stammten etwa von Galileo Galilei, der mit dem Teleskop die Strukturen unseres Begleiters beobachtete und aufzeichnete. Und noch im 19. Jahrhundert war die händische Zeichnung der neu aufkommenden Fotografie überlegen, da anfänglich sehr lange Belichtungszeiten mit der Bewegung des Mondes nicht zusammengebracht werden konnten und die Detailtiefe der frühen Aufnahmen kaum für aussagekräftige Bilder ausreichte. Die erste gesicherte Aufnahme des Mondes, eine Daguerreotypie von 1840, aufgenommen von John Draper, zeigt unseren Trabanten daher auch in eher schlichter, fast kraterloser Schönheit.

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Bei aller wissenschaftlicher Begeisterung für die Kartographierung des Mondes blieb sie jedoch symbolischer Natur – denn den sonst üblichen Einsatz von (irdischen) Karten gab es nicht: Kein Regent suchte eine Bestimmung seines Gebietsanspruchs und kein Reisender sein Ziel.

Doch letzteres sollte sich in den 1950ern ändern – und zwar schnell! Der »Wettlauf ins All« zwischen den USA und der Sowjetunion verwandelte sich nach sowjetischen Erfolgen in einen »Wettlauf zum Mond«. Und dieses Ziel erreichten die USA – mit drei Astronauten, unter ihnen Neil Armstrong, der mit seinem großen Schritt in der lunaren Tiefebene »Meer der Ruhe« irdische Begeisterungsstürme auslöste. Seitdem betraten zwölf Menschen den Mond, Eugene Cernan zog im Dezember 1972 als letzter Mondreisender die Raumschifftür der Apollo-17-Mission hinter sich zu. Seitdem gab es zwar keine menschlichen Besucher mehr, doch hatten eine Vielzahl von unbemannten Missionen den Mond zum Ziel: Insgesamt fünf staatliche Raumfahrtorganisationen haben erfolgreiche weiche Landungen auf der Mondoberfläche durchgeführt. Nach den USA und der Sowjetunion folgten China, Indien, Japan, und mit der Sonde »Odysseus« des privaten US-Unternehmens »Intuitive Machines« ist kürzlich die erste kommerzielle Mondlandung sanft (wenn auch anschließend umgekippt) geglückt.

Nach all den gelungenen, aber doch recht unpersönlichen Mondbesuchen soll in den nächsten Jahren mit dem Raumfahrtprojekt »Artemis« der Nasa auch wieder die bemannte Mondfahrt in den Fokus rücken – und mit ihm über kurz oder lang auch die Frage nach dem »Gepäck«. Zwar gibt es bislang keine konkreten Pläne zum Aufbau von permanenten Mondbasen, doch wäre die Verfügbarkeit von Ressourcen wie Wasser und Rohstoffen von grundlegender Bedeutung. Mit ihrem Programm »Commercial Lunar Payload Services« setzt die Nasa etwa auf Verträge mit privaten Unternehmen und weiteren Institutionen wie Universitäten oder Raumfahrtbehörden anderer Nationen, die so Nutzlasten zur Suche nach Ressourcen auf den Mond bringen können. Der »Weltraumvertrag« von 1967 regelt zwar Grundsätzliches zu Tätigkeiten bei der Erforschung und Nutzung des Weltraums einschließlich des Mondes – zur Ausbeutung von Ressourcen oder gar bergbaulichen Tätigkeiten macht er jedoch keine Angaben.

Schön weich gelandet könnten so zukünftig zahlreiche Roboter und Rover den Mond nach Nützlichem abklopfen. Und bei so viel Geschäftigkeit befürchten Astronomen nun, dass es nicht nur im Meer der Ruhe mit eben jener bald vorbei sein könnte und dass damit einzigartige Chancen für die Wissenschaft verloren gingen.

So sind etwa die in ewigem Schatten liegenden Mondkrater als mögliche Orte von größeren Mengen Wassereis von Interesse. Gleichzeitig können die Regionen aber auch einen einzigartigen und bislang unveränderten Einblick in die Verteilung und die Herkunft von Wasser im Sonnensystem liefern – und damit auch Antworten auf die Frage, wie die Erde zu ihren gewaltigen Wasservorräten kam. Darüberhinaus gelten die eiskalten Krater auch als möglicher Standort für eine neue Generation von Infrarot-Teleskopen. Der Wellenlängenbereich des James-Webb-Teleskops (JWST), eingeschränkt durch Spiegelgröße und insbesondere die Temperatur seiner Komponenten, könnte mit einem lunaren Teleskop auf bislang noch kaum untersuchte Wellenlängen erweitert werden und so die schon spektakulären Aufnahmen des JWST ergänzen. So könnte auch die Suche nach kleinen Gesteinsplaneten weiter ausgedehnt werden, die besonders um kühle, sehr leuchtschwache Sterne kreisen.

Und auch im Radiowellenbereich könnte der Mond als astronomischer Außenposten dienen: ein Radioteleskop auf der erdabgewandten Seite des Mondes wäre vollständig vom permanenten irdischen Radau abgeschirmt und könnte so »hören«, was Astronomen bisher verborgen blieb – etwa Informationen aus der Entstehungszeit der ersten Galaxien. Sollten in Zukunft Satelliten den Mond umkreisen, um etwa Signale an Fahrzeuge auf der Mondoberfläche zu senden, könnte es mit der »himmlischen Ruhe« schnell vorbei sein.

Und dann erst das ganze Rollen, Bohren und Poltern! Seit der Apollo-17-Mission wurde der Mond als mögliche Basis für Gravitationswellendetektoren in Erwägung gezogen. Das damalige »Lunar Surface Gravimeter« war zwar in seiner Sensitivität nicht ausreichend, um tatsächlich Gravitationswellen zu detektieren – doch da der Mond als einer der seismisch ruhigsten Orte des Sonnensystems gilt, bietet sich unser Trabant nach wie vor als möglicher Ort für zukünftige Detektoren an. Umfangreiche Bodenaktivitäten könnten ein solches Experiment jedoch zum Scheitern bringen.

So bleibt zu hoffen, dass die 33 000 Krater allein auf der erdzugewandten Seite Astronomen und lunaren »Bergleuten« genügend Platz bieten.

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