CCS: »Habecks Pläne schaffen falsche Anreize«

Serpil Midyatli und Marc Timmer (SPD) über die Ablehnung von CCS in Schleswig-Holstein

  • Interview: Dieter Hanisch
  • Lesedauer: 4 Min.
Als vor gut zehn Jahren CCS schon mal vor der Zulassung stand, gab es große Proteste dagegen, insbesondere in Schleswig-Holstein.
Als vor gut zehn Jahren CCS schon mal vor der Zulassung stand, gab es große Proteste dagegen, insbesondere in Schleswig-Holstein.

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck will den Weg frei machen für die Technologie der CO2-Abscheidung und -Lagerung (CCS), die insbesondere in Schleswig-Holstein auf Ablehnung stößt. Das Klimagas soll in der Nordsee gelagert werden. Ist CCS aus Ihrer Sicht ein Glücksgriff oder ein Hochsicherheitsrisiko?

Serpil Midyatli: CCS ist alles andere als ein Glücksgriff. Für uns gilt der abfallrechtliche Grundsatz »Vermeiden vor Entsorgen«. So können etwa 95 bis 98 Prozent der Emissionen eingespart werden. In der Energiewirtschaft darf CCS keine Rolle spielen. Die Reduktion von CO2-Emissionen muss und kann durch den rasanten Ausbau erneuerbarer Energien und die Steigerung der Energie- und Ressourceneffizienz gelingen. Diese Bereiche sind für uns die zentralen Hebel zum Erreichen der Klimaneutralität.

Schaffen Habecks Pläne falsche Anreize?

Marc Timmer: Auf jeden Fall. Sie schaffen insofern falsche Anreize, als dass CCS auch für die Verpressung von CO2 aus Gaskraftwerken eingesetzt werden kann. Es steht zu befürchten, dass CCS somit als lebensverlängernde Maßnahme für fossil betriebene Kraftwerke missbraucht wird.

Interview

Serpil Midyatli ist Fraktionsvorsitzende der oppositionellen SPD im schleswig-holsteinischen Landtag.

Schleswig-Holstein galt bisher bundesweit als Bollwerk gegen CCS-Aktivitäten. Ändert der notwendige Weg hin zu Treibhausgasneutralität daran etwas?

Serpil Midyatli: Wir stehen zu unseren Landtagsbeschlüssen. Die SPD hat sich schon früh gegen den Einsatz dieser Technologie positioniert und bleibt auch weiterhin bei ihrer Einstellung. Die Argumente für den Einsatz von CCS sind aus unserer Sicht nicht überzeugend. Enttäuschend ist, dass selbst die Grünen in Schleswig-Holstein den Einsatz mittlerweile nicht mehr ausschließen. Auch die hier regierende CDU, die bislang gegen die Verpressung von CO2 war, hat ihre Haltung aufgegeben.

Wenn das CO2 in der Nordsee gelagert werden soll, müsste erst ein bundesweites Leitungsnetz für den Transport geschaffen werden. Wie soll das gehen?

Marc Timmer: In diesem Bereich ist noch alles offen. Es ist unklar, welche Kapazitäten die Leitungen haben müssten. Auch ist unklar, wer die Kosten in welcher Höhe tragen würde. Angesichts vieler Ungewissheiten wird die öffentliche Hand einen Großteil der Investitionen übernehmen müssen – ähnlich wie bei der atomaren Endlagerung. Wir haben außerdem genug andere leitungsbezogene Aufgaben, auf die man sich konzentrieren sollte. So braucht es dringend den Aufbau der Wasserstoffleitungen, neue Stromnetze im Zuge des Erneuerbare-Energien-Zubaus und Wärmenetze im Rahmen der Wärmewende.

Interview

Marc Timmer ist energiepolitischer Sprecher der SPD-Fraktion.

Wer sollte überhaupt für die Finanzierung herangezogen werden?

Marc Timmer: Grundsätzlich gilt das Verursacherprinzip. Da es allerdings viele Unbekannte im Rahmen einer CCS-Infrastruktur gibt, wird von mehreren Stellen gefordert, dass der Staat in Vorleistung geht oder als Garantiegeber auftritt. Zudem sind die Dauer der unterirdischen Entsorgung und mögliche daraus resultierende Risiken für Unternehmen wirtschaftlich nicht abbildbar. Daher würde es ohne die finanzielle Unterstützung des Staates nicht funktionieren.

CCS ist in Ihrem Bundesland durch überfraktionell mit großer Mehrheit getroffene Landtagsbeschlüsse von 2014 und 2022 ausgeschlossen. Sind die Beschlüsse nun womöglich obsolet?

Serpil Midyatli: Die abweichende Haltung anderer Landtagsfraktionen wird leider zur Aufkündigung der gemeinsamen Haltung in dieser Frage führen.

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In einer ersten Reaktion hat sich die schleswig-holsteinische SPD von Habecks Plänen distanziert. Welche Rolle spielt Ihre Partei als Teil der Koalition im Bund – oder handelt es sich um einen Alleingang des Wirtschaftsministers?

Serpil Midyatli: Es handelt sich bei dieser Reaktion um eine Positionierung der SPD-Landtagsfraktion. Diese steht unabhängig von den Entwicklungen in der Berliner Ampel-Koalition. Auffallend ist allerdings der teils heftige Gegenwind zu Habecks Vorstoß aus seinen eigenen Reihen.

Da selbst Umweltverbände bei diesem Thema unterschiedlicher Meinung sind, verwundert es nicht, dass in der breiten Öffentlichkeit eine große Verunsicherung besteht. Wie will die Nord-SPD die sensible Thematik in Zukunft behandeln?

Marc Timmer: Es ist nachvollziehbar, dass es zu diesem komplexen Thema unterschiedliche Auffassungen gibt. Das gemeinsame Ziel der Umweltverbände ist allerdings, die besten Maßnahmen für den Schutz unserer Umwelt zu finden. Auf dem Weg zur Entscheidung sind viele Aspekte zu berücksichtigen, zum Beispiel: Wirtschaftlichkeit, Vermeidung falscher Anreizwirkungen, alternative CO2-Minderungspotenziale wie Waldanbau oder Risiken im Rahmen der Endlagerung. In Abwägung dieser Aspekte kommen wir zu unserer ablehnenden Haltung. Dementsprechend werden wir auch weiterhin in den Austausch mit Bürgerinnen und Bürger treten, um Verunsicherungen entgegenzuwirken.

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