- Kultur
- Ukraine und Gaza
Kultur der Kriegstüchtigen
Ukraine, Gaza und das schwierige Verhältnis von Kunst und Staat
Seit Platon sie aus seinem Staat ausschließen wollte, stehen Künstlerinnen und Künstler unter Verdacht. In entspannten Jahren wird bloß verdächtigt, was sie tun oder lassen. In angespannten Zeiten wie den unseren steht auch ihr politisches Denken unter strenger Beobachtung. Ihr politisches Denken, selbst wenn es in ihren Werken gar keinen wahrnehmbaren Niederschlag findet, wie im Fall Teodor Currentzis.
Ob man ihn mag oder nicht, ist Currentzis derzeit der interessanteste Dirigent von klassischer Musik. Er zäumt die alten Schlachtrösser so völlig anders auf, dass es die einen schockieren, die andern elektrisieren muss. Weil er sich aber, heißt es, nicht eindeutig von Russlands Angriffskrieg in der Ukraine distanziert habe, wurde Currentzis im letzten Monat von den Wiener Festwochen ausgeladen. Milo Rau, Intendant der Festwochen, nannte die Entscheidung »alternativlos« und gab so seinen Eintritt in die von Margaret Thatcher gegründete TINA-Partei (There Is No Alternative) bekannt.
Allen, die klassische Musik hören, muss diese Ausladung, der etliche andere in der Branche vorausgingen, widersinnig erscheinen. Denn jahrzehntelang führten Dirigenten den Taktstock, die sich keineswegs eindeutig von den Angriffskriegen des Deutschen Reiches distanziert hatten. Eugen Jochum stand sogar auf Hitlers »Gottbegnadeten«-Liste, was seiner späteren Karriere keinen Abbruch tat. Sich sein Verstummen zu wünschen, wäre allerdings banausisch gewesen. Denn Jochums Einspielungen der Symphonien Anton Bruckners mit der Staatskapelle Dresden (1976–1980) bleiben unerreicht. Mit der Staatskapelle Dresden! Da mag es unter den Musikern Mitarbeiter der Staatssicherheit gegeben haben! Man hört es einfach nicht.
Mit unserem wöchentlichen Newsletter nd.DieWoche schauen Sie auf die wichtigsten Themen der Woche und lesen die Highlights unserer Samstagsausgabe bereits am Freitag. Hier das kostenlose Abo holen.
Hinter Raus Zwangsmaßnahme steht nicht etwa er selbst, sondern stehen die Mächte, die seit 2014 einen Krieg gegen Russland führen. Seit 2022 sieht sich nahezu jedes Museum, jeder Kunstverein genötigt, eine Ausstellung zur höheren Ehre der ukrainischen Nation aufzulegen. Das wäre trotz vieler chauvinistischer Kapriolen leicht zu ertragen, würden nicht auch wertvolle Verbindungen zu Russland gekappt und von Künstlerinnen und Künstlern Loyalitätseide verlangt, so, als ob sie in die USA einreisen wollten und beteuern müssten, keine, aber auch gar keine Sympathie für den Kommunismus zu hegen.
Das ist deshalb bemerkenswert, weil es lange die Ideologie des Westens war, er gewähre Meinungsfreiheit. Ja, unter Berufung auf diese Freiheit sind Länder überfallen worden. Nachdem sich Frankreich geweigert hatte, in den bislang mörderischsten Krieg des 21. Jahrhunderts (im Irak) zu ziehen, wurden 2003 in der Cafeteria des US-Repräsentantenhauses die Pommes frites, die im Englischen French Fries heißen, in »Freedom Fries« umbenannt.
Inzwischen sind wir mit der Worthülse »Freiheit« auch die Worthülse »Frieden« los. Es müssen neuerdings, ganz besonders in der Kultur, alle »kriegstüchtig« sein, es darf niemand Waffenstillstand fordern. Und damit befinden wir uns, wenigstens gedanklich, auf dem anderen Schlachtfeld, in Israel.
Die Berlinale zeichnete den israelischen Filmemacher Yuval Abraham für »No Other Land« aus, einen Film, der zeigt, wie im Westjordanland systematisch palästinensische Siedlungen von der Armee niedergewalzt werden. Man vergisst über den Schrecken von Gaza gern, dass die israelischen Streitkräfte im Westjordanland seit dem Überfall der Hamas am 7. Oktober rund 400 Menschen getötet haben. »Erst machten sie nur in der Nacht Razzia, nun muss man in jedem Moment mit ihnen rechnen«, berichtet eine Friseurin in Balata, nahe Nablus, der »New York Times« (8.2.24). Abraham erlaubte es sich, diese Zustände mit der Apartheid zu vergleichen, und löste damit den jüngsten Shitstorm von Staat und Springer-Konzern aus.
Die Goldene Himbeere für die dümmste Reaktion in dieser Sache gebührt Kulturstaatsministerin Claudia Roth. Roth, der vorgeworfen wurde, bei israelkritischen Bemerkungen Abrahams und seines palästinensischen Kollegen Basel Adra geklatscht zu haben, sagte, sie habe selbstverständlich nur dem Israeli, nicht dem Palästinenser applaudiert.
Abraham erklärte dem »Guardian« (28.2.24), Roths »Taktik von ›Teile und herrsche‹« erinnere ihn an die militärische Besatzung. Er habe Sorge um seinen Kollegen, der im Westjordanland lebt. Auch gegen ihn selbst seien Todesdrohungen eingegangen. »Dass ich als antisemitisch bezeichnet werde, wenn ich als Nachfahre von Holocaust-Überlebenden auf deutschem Boden stehe und Waffenstillstand fordere, ist nicht nur bodenlos, sondern bedroht buchstäblich jüdisches Leben.« Er frage sich, ob Deutschland so über die Schuld am Holocaust hinwegzukommen gedenke.
Doch Grund für das Canceln und Verunglimpfen von kritischen Künstlerinnen und Künstlern ist nicht nur der Wunsch, Geschichte zu klittern. Als weitere Gründe kommen geopolitische Interessen, autoritäres Denken und Furcht vor Fremden in Betracht. Das belegt ein Fall aus dem Saarland.
Nach Angriffen neokonservativer Blätter gegen die Künstlerin Candice Breitz wurde ihre für dieses Jahr geplante Ausstellung über Sexarbeit in Südafrika von der Modernen Galerie Saarbrücken abgesagt. Breitz, selbst Jüdin, hatte sich kritisch gegenüber der israelischen Regierung geäußert. Als regionale Künstlerinnen und Künstler erschrocken nachfragten, ob bei Unbotmäßigkeit nun auch ihr nächster Förderantrag abgelehnt werde, berief sich die Kultusministerin Christine Streichert-Clivot (SPD) auf die israelische Generalkonsulin Talya Lador-Fresher, die die Zensur begrüßt hat. Lador habe, so Streichert, »darauf hingewiesen, dass jede Freiheit Grenzen hat« (»Saarbrücker Zeitung«, 9.2.24). Die Freiheit, Sexarbeit in Südafrika zu thematisieren, endet also, wenn rassistische Minister »rassistisch« genannt werden.
Der Konsulin ist dabei nichts vorzuwerfen, sie vertritt nun einmal ihre Regierung und erkennt ganz richtig, die Kritik an dieser erkläre sich damit, dass »viele Kulturmenschen auf der linken Seite verortet sind«. (»Saarbrücker Zeitung«, 26.1.24) Erklärungsbedürftig ist vielmehr, dass eine Ministerin sich von der Vertreterin eines von Rechten geführten Staates loben lässt, wenn sie Freiheitsrechte in Deutschland beschneidet. Wäre ihr das Lob der ungarischen oder der italienischen Regierung ebenso willkommen?
Streichert wiederholte nicht nur die Lüge der »Taz« (19.11.23), Breitz stehe der BDS-Bewegung nahe (Breitz wäre dann eine der sehr wenigen BDS-Unterstützerinnen, die in Tel Aviv ausgestellt haben), sondern erklärte voll Horror, dieser Frau dürfe im Saarland keine »Bühne« geboten werden. Sie sei »Teil einer Diskussion«, von der »Mitglieder unserer saarländischen jüdischen Gemeinde ausgegrenzt werden und sich bedroht fühlen«. Die Gemeinde soll sich also von der Ausstellung einer Jüdin über Sexarbeit in der ohnehin stets leeren Modernen Galerie bedroht fühlen. Das ist entweder paranoid oder demagogisch. Die Ministerin mag übrigens beruhigt sein: Breitz erklärte in der letzten Woche in halb privatem Kreis, sie habe erst mal die Schnauze voll von Deutschlands »Gedankenpolizei« und streiche, wie viele Kolleginnen und Kollegen, die Segel.
Es sind derzeit zwei gegensätzliche Tendenzen zu verzeichnen: Zum einen sollen Kunst, Musik, Literatur den propagandistischen Zwecken ihrer kriegführenden und autoritären Finanziers dienen, vor allem dem Staat. Zum andern werden der stets ambivalenten, daher unzuverlässigen Kunst und allen, die sie ausüben, unterwühlende, gemeingefährliche, terroristische Absichten unterstellt. In einer Zeit der Repression werden sich aus Furcht vor der Obrigkeit und der ihr hörigen Presse viele selbst zensieren, Kultur wird verarmen; aber es gibt auch eine gute Botschaft: Die Kunst, die man längst schon für eingemeindet gehalten hätte, wird auf ihre alten Tage noch einmal Staatsfeindin Nummer eins.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.