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Kolumbien: »Rechte leistet großen Widerstand«
Der Friedensforscher Francisco Javier Daza spricht über den Friedensprozess in Kolumbien
In Kolumbien sind derzeit mehrere Friedensprozesse im Gange. Die aktuelle Linksregierung hat sie mit der Gesetzesinitiative »Paz total« (Vollkommener Frieden) in die Wege geleitet. Können Sie erläutern, was das Ziel ist und welche Parteien beteiligt sind?
Darunter versteht man die Bemühungen der derzeitigen Regierung, nach über 50 Jahren den bewaffneten Konflikt in Kolumbien zu beenden, der von den Dynamiken der Aufständischen, paramilitärischen Gruppen und kriminellen Banden bestimmt wird. Neben den beiden Guerillas, der Nationalen Befreiungsarmee (ELN) und einer Dissidentengruppe der ehemaligen Farc, mit denen bereits offizielle Verhandlungen geführt werden, gibt es weitere paramilitärische Akteure, bei denen noch nicht ganz klar ist, wie künftige Gespräche geführt werden sollen: der Golf-Clan, eine im Drogenhandel tätige Organisation, und die Autodefensas der Sierra Nevada, eine Selbstverteidigungsgruppe an der Karibikküste. Bisher fehlt für Gespräche mit diesen Gruppen noch eine rechtliche Basis. Kürzlich wurde außerdem bekannt gegeben, dass die Regierung Wege sucht, bald mit weiteren Farc-Dissidenten, der Segunda Marquetalia, Verhandlungen zu beginnen. Da die Regierung in einem offenen Schreiben das Wort »Verhandlungen« verwendet hat, ist davon auszugehen, dass der Staat vorhat, auch diese Gruppe als politische Organisation einzuordnen.
Francisco Javier Daza ist Friedensaktivist in Kolumbien. Er leitet das Forschungsteam für regionalen Frieden und Menschenrechte der kolumbianischen Stiftung Paz y Reconciliación (Pares), zu deutsch: Frieden und Versöhnung. »nd« sprach mit ihm über den Friedensprozess.
Der kolumbianische Staat führt offizielle Verhandlungen mit zwei Rebellengruppen: der größten noch aktiven Guerillabewegung in Lateinamerika, der ELN, und dem Estado Mayor (EM). An welchem Punkt sind die Gespräche?
Mit der ELN wird seit anderthalb Jahren verhandelt. Bisher wurde eine Waffenruhe zwischen der ELN und dem kolumbianischen Staat vereinbart. Dieses Abkommen dient als Absicherung, weiterhin am Verhandlungstisch zu bleiben. Es gab aber Situationen, die am Willen der ELN zur Waffenruhe zweifeln ließen, unter anderem die Entführung des Vaters des Fußballspielers Luis Díaz. Deshalb wurde im bislang letzten Verhandlungszyklus festgehalten, dass die ELN nicht weiter entführen wird. Dieses Thema gilt als sehr umstritten, da die ELN das Wort Entführungen anders auslegt, und zwar als »Einbehaltung zu wirtschaftlichen Zwecken«. Die ELN verlangt deshalb neue Wege der Finanzierung, zum Beispiel seitens des Staates. Das wird nicht passieren. Es wurde ein Multi-Geber-Fonds eingerichtet, der künftig für Frieden schaffende Maßnahmen, die am Verhandlungstisch beschlossen werden, aufkommen soll. Die ELN wird davon aber nicht finanziert. Generell haben die bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen der ELN und dem Staat nachgelassen. Die Feuerpause wird eingehalten. Dennoch haben sich beide Parteien über Verletzungen der Waffenruhe beschwert, und auch sonst gab es viele Spannungen, die in der Öffentlichkeit ausgetragen wurden. Meiner Meinung nach sollten die Delegationen künftig besser überdenken, wie sie der Bevölkerung bestimmte Dinge vermitteln.
Und wie laufen die Gespräche mit dem Estado Mayor (EM)?
Die Gespräche mit dem EM haben später und auf falschem Fuß begonnen: Es war nicht ganz klar, wie die Verhandlungen beginnen sollen und die Organisation war schlecht. Mittlerweile sind drei Verhandlungsrunden abgeschlossen. Besonders interessant ist, dass die Gespräche in verschiedenen Regionen des Landes stattfinden, nächstes Mal in der Hochburg des EM in Guajira. Dort wird ein Medienspektakel erwartet, da der Anführer des EM, Iván Mordisco, der sich nicht oft am Verhandlungstisch zeigt, auftauchen soll. Einer der Fortschritte ist die Bekanntgabe, künftig Entführungen zu unterlassen. Das kam für alle überraschend, da sie freiwillig war und genau in dem Moment verkündet wurde, als das Land von der Entführung des Vaters von Luis Díaz schockiert war. Auch mit dem EM hat die Regierung bis Mitte des Jahres eine Waffenruhe vereinbart.
Wie schätzen sie die Aussicht auf den Erfolg des »Paz total« ein?
Es gibt mehr Zweifel als Sicherheiten: Das größte Problem ist die Zeit. Präsident Petros Regierung muss im Jahr 2026 gehen und es ist nicht garantiert, dass die künftige Regierung mit dem Friedensprojekt weitermacht. Nächstes Jahr beginnt schon der Wahlkampf für die nächste Präsidentschaft. Besonders die Rechte leistet großen Widerstand gegen das Friedensprojekt. Die Zeit rennt und es besteht das dringende Bedürfnis, etwas Handfestes zu vereinbaren, damit wir nicht Gefahr laufen, dass die nächste Regierung dem »Paz total« den Garaus macht. Die bewaffneten Gruppen denken in anderen Zeiträumen, sie scheinen keine Eile zu haben. Durch die Waffenruhe agieren sie in einer Komfortzone. Auch die Zivilbevölkerung, besonders die Opfer des Konfliktes, haben bestimmte Erwartungen, die sie schnell erfüllt haben wollen.
Können das Einbeziehen der Bevölkerung in den Friedensprozess und regionale Verhandlungen mit dem EM eher zu nachhaltigem Frieden führen? Bei den Gesprächen mit der Farc-Guerilla 2012 bis 2016 wurde nicht so vorgegangen.
Das neue und bisher einmalige Vorgehen, die Zivilbevölkerung in die Gespräche einzubeziehen, gibt Hoffnung. Das Beteiligungskomitee, dass bei den Verhandlungen mit der ELN die Teilhabe verschiedener Sektoren der Gesellschaft gewährleisten soll, schafft eine neue Struktur innerhalb der Dialoge, da auch die Opfer und bisher benachteiligte Sektoren einbezogen werden. Dennoch fühlen sich viele Teile der Gesellschaft nicht in diesem Komitee repräsentiert. Das wirft die Frage auf, ob die Stimme der Zivilbevölkerung ausreichend am Verhandlungstisch beteiligt wird. Bisher wurden nur regionale Gespräche geführt, aber noch wurde nichts Konkretes an den Verhandlungstisch getragen. Generell trägt dieses Vorgehen dazu bei, dass die Bevölkerung Vertrauen in die Verhandlungen gewinnt und die Gespräche zu etwas führen können. Das ist wirklich etwas Positives.
Halten Sie den »Paz total« für realistisch und zukunftsträchtig?
Das ist ein schwieriges Thema, besonders weil noch nicht einmal der alte Friedensvertrag von 2016 mit der Farc umgesetzt wurde. Das lag am Widerstand der Vorgängerregierung. Demnach kommen zu den Herausforderungen des »Paz total« noch die Altlasten hinzu. Trotzdem geht es Schritt für Schritt vorwärts. Künftig muss sich die Regierung entscheiden, ob sie der Umsetzung des Friedensvertrages oder den neuen Verhandlungen mehr Aufmerksamkeit schenkt.
Die Guerilla-Gruppen werden als politische Organisationen betrachtet. Dadurch haben sie eine bestimmte Verhandlungsposition bei den Friedensgesprächen und auch mögliche Vorteile. Bei den kriminellen Organisationen und Drogenkartellen wie dem Golf-Clan und den städtischen Banden ist dies nicht gegeben. Was könnte diese bewaffneten Gruppen dazu bringen, sich auf einen Kompromiss mit der Regierung einzulassen und ihre Geschäfte aufzugeben?
Eine interessante Frage, die wir uns oft stellen, da eine Person, die Teil des Golf-Clans ist und damit gut leben kann, nicht unbedingt die Absicht hat, etwas an ihrer Situation zu ändern. Warum auch? Letztlich können diese Gruppen nur mit der Aussicht auf Strafmilderung und wirtschaftlichen Zuwendungen von staatlicher Seite dazu motiviert werden, ihre kriminellen Aktivitäten aufzugeben. Im vergangenen Jahr wurde darüber gesprochen, dass diese Organisationen zwischen vier und zehn Prozent ihres Kapitals behalten dürften und ihre Haftstrafen verringert würden. Diese juristischen und wirtschaftlichen Vorteile könnten die Gruppen in Richtung Frieden bringen, da er sich auch für sie auszahlt.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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