Werbung

Tesla: Von Grünheide über Wall Street bis Peking

Spekulation, Überproduktion, Handelskrieg – von Risiken und Nebenwirkungen des Versuchs, mit Elektroautos das Klima zu retten

Konkurrenz aus China: E-Autos des Herstellers BYD warten im Hafen von Suzhou auf ihre Verladung.
Konkurrenz aus China: E-Autos des Herstellers BYD warten im Hafen von Suzhou auf ihre Verladung.

In Grünheide wird an diesem Wochenende wieder gegen den Ausbau des Tesla-Werks demonstriert. Der US-Elektroautobauer will dort seine Jahresproduktion von zuletzt 300 000 auf eine Million Autos hochfahren. Tesla braucht dieses Wachstum – um seine gigantische Börsenbewertung zu rechtfertigen und um Konkurrenten aus dem Markt zu drängen. Denn am globalen Elektroautomarkt herrschen inzwischen Überproduktion und Preiskrieg. Hier stehen sich nicht nur die großen Autokonzerne gegenüber, sondern hinter ihnen auch die Regierungen der USA, Chinas und Europas. Für sie ist die Beherrschung grüner Technologien zu einer Frage der nationalen Sicherheit geworden. Ein Überblick über Klimarettung im Kapitalismus:

Klimaschutz: 2024 hat gute Chancen, zum wärmsten jemals gemessenen Jahr zu werden. Sowohl Januar wie auch Februar haben bereits neue Rekordmarken gesetzt. Laut Prognose der EU-Kommission könnte ein Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur über 1,5 Grad Celsius die EU-Wirtschaft zwischen 2031 und 2050 über 2400 Milliarden Euro an Wachstumsverlusten kosten. Die Politik arbeitet daher daran, den CO2-Ausstoß zu senken, auch im Transportsektor, der rund 15 Prozent der Treibhausgasemissionen ausmacht. Eine zentrale Rolle übernimmt hier das E-Auto. Zwar ist die Elektrifizierung des motorisierten Individualverkehrs ökologisch problematisch. Allerdings eröffnet das E-Auto den großen Kapitalstandorten die Aussicht, den Klimawandel zu bremsen und gleichzeitig ihren Industrien ein Wachstumsfeld zu bieten. »Der Klimaschutz ist für uns ein Wachstumsprogramm«, so EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen. Damit beginnt das große Rennen der Autobauer um den Markt für Elektromobilität.

Spekulation: Weit vorn liegt hier der US-Autobauer Tesla. Seinen Aufstieg verdankt er einerseits der politischen Förderung von E-Autos und andererseits einem massiven Einsatz von Spekulationskapital. Tesla hat in seiner Geschichte von Finanzinvestoren Milliarden eingesammelt und Milliarden verbrannt. Noch im Jahr 2018 zweifelt die US-Investmentbank JP Morgan öffentlich daran, ob Tesla je einen Gewinn erzielen könne, der »auch nur im Durchschnitt der Branche« liege. Doch die Kapitalmärkte setzten weiter auf Tesla und tun dies bis heute: Gemessen an seiner Börsenbewertung ist Tesla heute weit mehr wert als alle deutsche Autobauer zusammen. In dieser Bewertung drückt sich die Hoffnung als auch der Anspruch der Investoren darauf aus, dass Tesla sein rasantes Wachstum hält. Diesen Anspruch muss Tesla erfüllen – kein internationaler Konzern kann es sich leisten, potenzielle Geldgeber zu vergraulen. Um die Spekulation auf sein Wachstum zu rechtfertigen, betrieb Tesla in den vergangenen Jahren eine fulminante Expansion, auch auf Kosten der Belegschaft. Als »Produktionshölle« beschrieb Firmenchef Elon Musk vor einigen Jahren, was in seinen Werken vor sich ging – und laut Berichten aus dem Werk Grünheide immer noch geht.

nd.DieWoche – unser wöchentlicher Newsletter

Mit unserem wöchentlichen Newsletter nd.DieWoche schauen Sie auf die wichtigsten Themen der Woche und lesen die Highlights unserer Samstagsausgabe bereits am Freitag. Hier das kostenlose Abo holen.

Überproduktion: Die Erwartungen der Kapitalmärkte wurden zuletzt enttäuscht, was Teslas Börsenwert in wenigen Monaten um 300 Milliarden Dollar reduzierte. Der Grund: Zwar wächst der globale E-Automarkt noch, aber nicht mehr schnell genug, um die Wachstumsbedürfnisse von Börse und Autokonzernen zu befriedigen. Laut Branchendienst BloombergNEF verdoppelten sich 2021 die globalen Verkäufe von batteriebetriebenen Autos und Plug-ins, 2022 betrug das Wachstum 62 Prozent, 2023 noch 31 Prozent und für das laufende Jahr sind nur rund 20 Prozent prognostiziert.

Dem gegenüber steht ein rasant wachsendes Angebot, dass die Autokonzerne auf den Markt werfen, um dort Stellungen zu besetzen. Hier sind insbesondere die chinesischen Hersteller vorgeprescht, BYD aus Shenzen ist Ende 2023 an Tesla vorbeigezogen und gemessen an den verkauften Fahrzeugen zum größten E-Autokonzern der Welt aufgestiegen. Folge sind globale Überkapazitäten – es gibt schlicht zu viele E-Autos auf der Welt. Auf diese Lage reagieren die Konzerne mit Preissenkungen. Ausgehend von Tesla in China hat sich in den vergangenen Monaten eine Rabattschlacht entwickelt, mit der die Autobauer ihren Absatz in den Markt drücken wollen und dafür auf Gewinne verzichten. Ergebnis: Der Gewinn von Tesla schrumpfte von knapp 14 auf zehn Milliarden Dollar, dafür legte der Umsatz deutlich zu. Mit dieser Strategie sollen insbesondere neue Konkurrenten verdrängt werden: Zum Beispiel Nio aus Shanghai, dem Teslas Preiskrieg 2023 einen Verlust von knapp drei Milliarden Dollar bescherte.

Um ihre Stellung auszubauen oder zu halten und die Konkurrenten zu schädigen, setzen die etablierten Autobauer aber nicht nur auf Preissenkungen. Zudem weiten sie ihre Produktion deutlich aus, errichten neue Werke rund um den Globus, die immer produktiver werden. »Wir erreichen das nächste Level«, erklärte Musk. Die anderen ziehen nach, Volkswagen will in den nächsten fünf Jahren 120 Milliarden Dollar in seine Elektro-Pläne investieren. Diese Expansion verschärft das Grundproblem, die Überkapazitäten. Gleichzeitig ist sie alternativlos. Denn nur wer expandiert, erzielt die Kostenvorteile der Massenproduktion, die wiederum die Grundlage für Preissenkungen sind, mit denen neue Käufer angelockt werden.

Weltmarkt: Angesichts des umkämpften Marktes in China, der rund die Hälfte des globalen E-Automarktes ausmacht, suchen die Hersteller des Landes nach neuen Absatzmärkten weltweit. Der US-Markt ist ihnen weitgehend versperrt, unter anderem wegen hoher Importzölle, die bereits US-Präsident Donald Trump erlassen hatte. Also fällt der Blick von BYD & Co auf Europa. Das hat Brüssel alarmiert: Chinas »Überkapazitäten in geschützten Branchen fluten die globalen Märkte und könnten unsere industrielle Basis unterminieren«, warnte von der Leyen im November. Dabei geht es nicht nur um Autos. In den ersten drei Quartalen des Jahres 2023 stieg der Ausfuhrwert chinesischer E-Autos, Batterien und Solarpaneele um 45 Prozent. »China will das Amazon unter den Ländern sein«, sagte Damien Ma von der US-Denkfabrik Macropolo, »das Wir-machen-alles-Land«. Diese Entwicklung wird von der Regierung in Peking vorangetrieben. Angesichts eines schwächeren Wirtschaftswachstums und der Immobilienkrise erklärte das Politbüro der KPCh im Vorlauf zum laufenden Volkskongress, China müsse »die Entwicklung neuer Produktivkräfte beschleunigen«.

Handelskrieg: Angesichts der Konkurrenz durch chinesische Autobauer in China und weltweit warnte jüngst Elon Musk: »Offen gestanden meine ich, dass sie die meisten anderen Unternehmen weltweit ziemlich ruinieren, wenn keine Handelsschranken errichtet werden.« Der Westen hört seine Botschaft. »In jedem größeren Markt der Welt wird derzeit überlegt, wie man mit Zöllen die Chinesen draußen halten kann«, zitiert Bloomberg Daniel Rosen vom Forschungsinstitut Rhodium Group. Die US-Regierung, die bereits einen 27,5-Prozent-Zoll auf chinesischen Autos erhebt, erwägt, diesen Zoll zu erhöhen. Zudem hat sie Chinas Technologiegüter zu einer Gefahr für die Nationalen Sicherheit der USA erklärt.

Die EU, die nach eigenem Bekunden die globale »Heimat grüner Technologien« werden will, hat diese Woche erste Schritte für eine rückwirkende Erhebung von Importzöllen auf chinesische Elektro-Fahrzeuge eingeleitet. Peking gewähre den nationalen Konzernen Zuschüsse und damit unvertretbare Wettbewerbsvorteile, hieß es. Daher sei geplant, mit Erfassung dieser Importe durch den Zoll zu beginnen. Auch bei Solarmodulen werden Schutzmaßnahmen geprüft.

Nationale Sicherheit: Die Zölle, die Washington und Brüssel erheben und erwägen, sind Teil einer weiter gefassten Strategie, die darauf zielt, globale Lieferketten in den eigenen Einflussbereich zu bringen. So will man von China unabhängig werden und die Versorgung in Konflikt- und Krisenfällen sichern. Zudem wird versucht, China von modernster Technologie abzuschneiden, um den Aufstieg des geopolitischen Rivalen zu bremsen. Hierbei geht es um Künstliche Intelligenz, Computerchips, Militärgüter – aber auch um Autos. »Wie in allen Industrien stellt sich auch bei der Automobilindustrie die Frage, ob und wie wir in Zukunft global vorn mitspielen«, sagte Außenministerin Annalena Baerbock. Derzeit bestehe die »Chance, aus alten Fehlern zu lernen und Abhängigkeiten von einzelnen Märkten zu reduzieren und bei klimaneutraler Mobilität führend zu werden. Für unser Land ist das nicht nur eine wirtschaftliche, sondern auch eine Frage der Sicherheit«.

Klimaschutz und Arbeitsplätze: Der umstrittene Ausbau der Gigafactory in Grünheide ist also Teil eines weltumspannenden Kampfes um Börsenwerte und Marktanteile, um Technologie und Macht. Dieser Kampf hat inzwischen ein latentes Übermaß an Reichtum hervorgebracht: die Aktiennotierungen gelten als zu hoch, die Autoproduktion übersteigt die Nachfrage, es entstehen immer neue Produktionsstätten, deren Rentabilität fraglich ist. Dieses Übermaß an materiellem Reichtum drückt die Wachstumsperspektiven, woraus jede Regierung und jeder Konzern den Schluss zieht, die eigene Wettbewerbsfähigkeit zu steigern: Investitionen statt Sozialausgaben, lautet derzeit die Parole, die begründet wird mit der Notwendigkeit, das Klima zu schützen und Arbeitsplätze in der Industrie zu erhalten. Dass im Kapitalismus die Arbeit immer nur dem Zweck dient, Profit und Wachstum zu erzeugen, wird dabei gewendet: Es braucht Wachstum, um Arbeitsplätze zu retten – und das Klima natürlich auch.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -