Christlich-jüdische Zusammenarbeit: Das Boot droht zu kentern

Die christlich-jüdische Zusammenarbeit steht vor Problemen der heutigen Zeit

  • Matthias Krauß
  • Lesedauer: 4 Min.
Exkursion der GCJZ zum jüdischen Friedhof in Brandenburg/Havel
Exkursion der GCJZ zum jüdischen Friedhof in Brandenburg/Havel

Die jüdischen Gemeinden in Deutschland gedeihen keineswegs so uneingeschränkt, wie es in der Öffentlichkeit angenommen wird. So die Botschaft auf der zentralen Festveranstaltung zur Eröffnung des Jahres der Christlich-Jüdischen Zusammenarbeit (GCJZ) in Potsdam, zu der der Landtag gemeinsam mit der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Potsdam eingeladen hatte. Der Festredner Jascha Nemtsov nannte das »blühende jüdische Leben im besten Deutschland aller Zeiten« eine Phrase. Mit den christlichen Kirchen würden die jüdischen Gemeinden das Problem des Mitgliederschwunds teilen. Derzeit gebe es 105 Gemeinden in Deutschland, das seien 13 weniger als vor einigen Jahren. Dass die Mitgliederschaft »strukturell rückläufig« ist, käme auch darin zum Ausdruck, dass die deutschen jüdischen Gemeinden heute rund 18 000 weniger Mitglieder zählen als 2005. Dass vielfach ein anderer Eindruck entstehe, liege an der umfänglichen staatlichen Unterstützung, mutmaßte er.

»Wir sitzen in einem Boot«, sagte Nemtsov, der an der Musikschule »Franz Liszt« im thüringischen Weimar Professor für Musikwissenschaft am Lehrstuhl für Geschichte der jüdischen Musik ist. Und dieses Boot drohe eines Tages zu kentern. Die christlichen Kirchen in Deutschland hätten binnen eines Jahres 900 000 Mitglieder eingebüßt. Bei einer Fortsetzung dieser Entwicklung bestehe tatsächlich eine »Auflösungsgefahr«, sagte er in Gegenwart des katholischen Erzbischofs von Berlin, Heiner Koch, und des evangelischen Superintendenten Kristòf Bàlint.

Von der »größten Dummheit« der Kirchen sei auch die jüdische Gemeinde nicht frei, fuhr Jascha Nemtsov in seinem Vortrag fort. Er nannte das Streben, politisch sein zu wollen. »Das gilt besonders für die deutschen Protestanten.« Zunehmend würden sie auf das Alleinstellungsmerkmal verzichten, Menschen ein spirituelles Angebot zu unterbreiten und Gottes Wort zu verkünden. Man gefalle sich darin, alles Mögliche anzubieten, nur keine Spiritualität. Dafür aber »ganz viel Zeitgeist«. Verrichtet werde dies von »wenig glaubwürdigem Personal«.

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Dass es nun nicht mehr die »Woche der Brüderlichkeit« gebe, sondern das »Jahr der Christlich-Jüdischen Zusammenarbeit«, griff der Festredner auf. Der jüdische Witz, dass man eine Woche Freundschaft halten müsse und sich danach wieder ungeniert hassen könne, »funktioniert jetzt nicht mehr«. Jüdischer Humor verletze keinen Menschen – »außer Humorlose«, versicherte er. Der Musikwissenschaftler erinnerte daran, dass der Komponist Franz Schubert einst für einen hebräischen Psalm die Musik schuf, ein schönes und harmonisches Werk. Doch mochte er sich einem »idealisierten Bild« nicht hingeben. Die Werke von Johann Sebastian Bach beispielsweise seien voller Judenfeindschaft. Grundlage seien die tendenziösen, judenfeindlichen Darstellungen im Neuen Testament. »Bach konnte nichts dafür, er musste die Texte nehmen, wie sie sind.« Und ja, es gebe heute Judenfeindschaft in den christlichen Kirchen wie in der ganzen Gesellschaft. Der Professor kam auf den »Antisemitismus in Bildung und Kunst« zu sprechen, erinnerte an den »tosenden Applaus des Publikums« bei einschlägigen Äußerungen während der Berlinale. Gegen eine Antisemitismusklausel, die vom Berliner Senat als Förder-Vorbedingung vorgesehen war, hätten fast 6000 Unterschriften vorgelegen. Daraufhin sei diese Klausel »gekippt« worden.

Zuvor sagte Landtagspräsidentin Ulrike Liedtke (SPD), die jüdischen Gemeinden würden sich seit 1991 in das gesellschaftliche Leben Brandenburgs einbringen. Nach 1990 sei der Talmud neu ins Deutsche übersetzt worden, die deutschen Juden müssten nicht mehr auf Luthers Übersetzung zurückgreifen. Inzwischen gebe es auch eine Übersetzung von Immanuel Kants Werken ins Hebräische.

Der Vorsitzende der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit in Brandenburg, Tobias Barniske, rief zum Widerstand gegen Versuche auf, die deutsche Gesellschaft rechtsextrem umgestalten zu wollen. Einem solchen Streben würden sich inzwischen auch Vertreter des Bildungsbürgertums anschließen, tadelte er. »Das darf nicht passieren.« Juden würden derzeit sichere Räume vor Hass und Gewalt benötigen. Barniske begrüßte die Demonstrationen gegen rechts, wie sie in den vergangenen Wochen stattgefunden hätten. »Solche Demonstrationen würden wir gern auch gegen den Antisemitismus sehen.« Der Fraktionsvorsitzende der SPD im brandenburgischen Landtag, Daniel Keller, erklärte einen Tag später, die Wahl eines Landesbeauftragten gegen Antisemitismus werde um einen Monat verschoben. Als Grund dafür nannte er weiteren Gesprächsbedarf, den die Vertreter der jüdischen Gemeinden angemeldet hätten.

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