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Die Gelegenheit, Ich zu sagen
»Mein Name ist Estela«, Alia Trabucco Zeráns Agitprop-Roman aus dem zeitgenössischen Chile
Eine Frau aus dem armen Süden Chiles kommt in die Hauptstadt Santiago, um sich als Haushaltshilfe zu verdingen. Estela wäscht, putzt, kocht, macht die Einkäufe und betreut schließlich auch das Kind des sehr wohlhabenden Ehepaars. Sie bewohnt einen kleinen Verschlag hinter der Küche, abgetrennt durch eine Schiebetür aus Milchglas.
Totale Verfügbarkeit gehört hier zum Anforderungsprofil. Ganze sieben Jahre ist sie in diesem Haus angestellt und erlebt alles, was ein »Dienstmädchen« – sie ist eine 33-jährige Frau zu Beginn ihrer Anstellung – eben so miterleben muss. Die kleinen Gängelungen, Zurechtweisungen, Demütigungen, die Einsamkeit, Tristesse, die Langeweile und intellektuelle Anspruchslosigkeit ihrer Arbeit, die dazu führt, dass sie sich selbst nichts mehr zutraut, aber eben auch das kleine Glück, ein Kind aufzuziehen, und sei es auch nur ein Pflegekind.
Hinzu kommen die hohlen Gunstbeweise und wohlfeilen Freundlichkeitsbekundungen, die allesamt auch die Funktion haben, den Klassenunterschied zu zementieren. Das beginnt schon bei der Anrede. Für sie sind die beiden nur der Señor und die Señora, während sie selbstverständlich mit ihrem Vornamen angesprochen wird. Und es endet mit latent beleidigenden Scherzen, die vielleicht nicht unbedingt als Beleidigung gemeint sind, aber doch jedenfalls als Grenzziehungen. Etwa wenn das Paar eine Silvesterparty ausrichtet und der Señor noch einmal seine Großzügigkeit unter Beweis stellt: »Ein Abend wie jeder andere, sagte er, aber du kriegst das Dreifache. Und dann unter Gelächter: Das würde selbst ich in Erwägung ziehen.«
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Schließlich stoßen alle auf den Jahreswechsel an, und die Señora führt ihre »Estelita« den Gästen vor wie eine Kuh auf dem Viehmarkt: »Mögen all deine Wünsche in Erfüllung gehen. Vorsicht mit dem Champagner, nicht dass er dir zu Kopf steigt. Viel Glück und Liebe. Gesundheit und Geld. Geld und viel Glück. Zweiunddreißig Mal sagten sie das. Zweiunddreißig Mal sagte ich nichts. Die Señora wich mir nicht von der Seite. Ohne den Arm von mir zu nehmen, ihrem Publikum zulächelnd, stellte sie mich zur Schau. Und sie lächelte mit einem Lächeln, das nicht den anderen galt, sondern ihr, ihr selbst.«
»Mein Name ist Estela« fingiert einen Monolog. Alia Trabucco Zerán lässt ihre Protagonistin Rechenschaft ablegen. Der Anlass dafür ist ein bisschen konstruiert: Sie will endlich nach Hause, zurück auf ihre Heimatinsel im Süden, irrt durch Santiago, gerät eher zufällig in die Protestdemos 2019/20, mit denen die Plebejer gegen die enorme soziale Ungleichheit im Land aufbegehren, lässt sich hinreißen, schmeißt selber einen Pflasterstein und wird daraufhin niedergeschlagen.
Der Roman beginnt in einer Verhörzelle. Estela wird alleingelassen, vernachlässigt – tatsächlich hat ein UN-Bericht im Dezember 2019 diverse Menschenrechtsverstöße gegen die 7000 verhafteten Demonstranten aufgedeckt –, und um sich die Zeit zu vertreiben, Hunger und Durst zu vergessen, erzählt sie den imaginierten Menschen hinter der Spiegelwand von ihrer siebenjährigen Passionsgeschichte als Hausangestellte.
Es ist der um Sachlichkeit bemühte, abgebrühte, fast schon emotionslose Berichtston, der diesem Buch seine Wucht gibt. Estela will kein Mitleid, sie will einfach nur gehört werden. Als Mensch und nicht mehr nur als Arbeitskraft. Mehrfach beschreibt sie Dissoziationserfahrungen in ihrem harten, wenig reputierlichen, nicht selten anspruchslosen Arbeitsalltag. Ihre Existenz findet so wenig Beachtung, dass sie sich schließlich selbst nicht mehr spürt und wie eine Fremde von außen beobachtet. Die Gelegenheit, Ich zu sagen, die eigene Person endlich einmal in den Mittelpunkt zu rücken, ist eine Selbstermächtigung mit fast schon therapeutischer Wirkung. Im Reden setzt sie ihre Existenz sukzessive wieder zusammen.
Dabei versucht sie ihren Arbeitgebern durchaus Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Sie sind nicht besonders unfreundlich oder absichtlich gemein. Um sie geht es letztlich gar nicht. Sie bekommen deshalb auch keinen Namen, sondern treten hier nur als Stellvertreter einer Herrschaftstradition auf. Das Problem sind nicht diese beiden Individuen, sondern die Verhältnisse an sich.
Nicht umsonst endet dieser Roman mit den Protesten in Chile. Die Autorin liefert damit eine literarische Begründung nach. In einem wirtschaftlich prosperierenden Land, in dem die Lebenswelten so weit auseinanderklaffen, muss man sich nicht wundern, dass die Menschen für ökonomische Umverteilung auf die Straße gehen. Und Pflastersteine werfen.
Dass die Protagonistin mehr ist als ein Paradigma für die ausgebeutete Klasse, nämlich ein nicht unproblematischer Mensch mit Schwächen und einer Geschichte, zeigt die literarische Qualität des Romans. Als gutes linkes Agitprop-Elaborat allerdings leistet es auch einiges. Als Räuber in die Villa einbrechen und die Familie bedrohen, bekommt Estela fast noch mehr Hass zu spüren als die beiden Reichen. Einer der beiden zwingt sie, den Mund zu öffnen. »Da beugte sich der Junge nach hinten, zog seinen Speichel hoch und spuckte mir in den Mund. Scheißsklavin. Das sagte er.«
Alia Trabucco Zerán: Mein Name ist Estela. A. d. chil. Span. v. Benjamin Loy. Hanser Berlin, 240 S., geb., 24 €.
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