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Das Gefühl einer gewissen Dringlichkeit

Klaus Lederer über die Defizite der Linken, politischen Kassensturz und ein strategisches Dreieck

  • Gabriele Oertel
  • Lesedauer: 6 Min.

Ort, Zeit und Bedingungen nährten den Verdacht, bei dem jetzt erschienenen Buch Klaus Lederers »Mit links die Welt retten« handele es sich um eine Streitschrift wider die abtrünnige Ex-Linke-Politikerin Sahra Wagenknecht. Womöglich zur Enttäuschung ihrer selbst oder ihrer Unterstützer ist der Autor jedoch den Gesetzen und Verlockungen der heutigen Aufmerksamkeits- und Empörungsökonomie nur spärlich gefolgt.

»Die Probleme liegen tiefer«, macht Klaus Lederer schon im Vorwort mit Bezug auf Wagenknecht klar. Sein Exkurs zu Humanismus, Gleichheit, Utopie und Praxis fügt allerdings den vielen, bisweilen blutleeren Aufschreien linker Enttäuschung über die sich derzeit in engen Grenzen haltende Wirkmächtigkeit ihrer Ideen nicht eine weitere hinzu. Womöglich auch, weil der Autor viel tiefer, nachdenklicher und analytischer gräbt als bis zum Abgang der von ihm mal als umtriebige Medienunternehmerin, mal als ehemalige kommunistische Ikone bedachten Genossin von einst.

Vielleicht liegt es an dem »Gefühl einer gewissen Dringlichkeit«, mit dem der frühere Berliner Landesvorsitzende der Linkspartei und ehemalige Kultursenator der Hauptstadt sein Buch erklärtermaßen verfasst hat. Womöglich ist es die gewisse Dringlichkeit, die auch dem Leser in diesen aufregenden, schwierigen Zeiten nicht verborgen bleibt.

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Fest steht, Lederers Exkurs in die Niederungen linker Leerstellen ist anstrengend, aber mitnichten langweilig. Und dass im Blätterwald gemutmaßt wird, es handele sich um einen Comeback-Versuch des Verfassers, der sich vor geraumer Zeit aus der Spitzenpolitik verabschiedet hatte, dürfte das Interesse daran nicht eben schmälern. Noch dazu, wenn sich der Autor dazu bekennt, keine »großen Ausrufezeichen« und »ewigen Wahrheiten« zu verkünden, wovon die Leser zahlreicher linker Publikationen in jüngster Vergangenheit tatsächlich reichlich genossen haben.

In »Mit links die Welt retten« offenbart ein heute 50-Jähriger seine Sorge um die Zukunft seiner Partei (die gerade ihren Fraktionsstatus im Bundestag verlor), um die Aussichten für die Gesellschaft (die immer mehr nach rechts driftet) und die Gefahren für die Menschheit mit Klimakatastrophe, Migrationsproblemen, Kriegen, Hungersnöten. Und er tut dies, ohne dass auf jeder zweiten Seite möglichst laut und vernehmlich »Umverteilung« gerufen, martialisch wie erfolglos der 34. »heiße Herbst« angekündigt oder einer nostalgischen Rückbesinnung auf die gute alte Zeit »fossiler Sozialstaatlichkeit« das Wort geredet wird. Und selbst wenn der Titel solches nahelegt: auch ohne dass eine Rhetorik der Weltenrettung fröhlich Urständ feiert.

Das alles dürfte den Nerv vieler treffen und ist – verbunden mit den eigenen Wende- und Nachwendeerlebnissen – durchweg lesenswert. Auch wenn Lederers Ausflüge zu Marx, zur Großen Französischen Revolution, zu New Deal, Bretton Woods, Marshallplan bis hin zum Neoliberalismus gewiss manchem Historiker die Schweißperlen auf die Stirn zaubern oder zur Ergänzung bzw. Einordnung herausfordern, dürften sie für die Nachgeborenen zumindest lehrreiche Anregung sein und vielleicht sogar dem ein oder anderen einstigen Parteischüler wahlweise zur Auffrischung oder zu manchem Widerspruch gereichen.

Während sich der Streit um derart geraffte Historie wohl in überschaubaren Grenzen bewegen wird, steht das zu Lederers Befund über die Linke als Partei und gesellschaftliche Richtung kaum zu fürchten: Fehlenden politischen Kompass wie mangelnde kohärente Programmatik bemängelt er längst nicht allein. Vermutlich würde man im Berliner Karl-Liebknecht-Haus dem Autor unbedingt zustimmen, wenn er betont: »Wir können es uns nicht leisten, uns erst noch ein paar Jahre mit uns zu beschäftigen.« (Was freilich vor allem auf die lähmenden und zähen Kämpfe mit und um Wagenknecht abzielt, die sich allerdings auch nach der Abspaltung des BSW fortsetzen und Lederer jüngst veranlassten, die Führung der Linkspartei wegen der Kampfabstimmung über die Leitung der verbliebenen Bundestagsgruppe scharf zu kritisieren.)

Ob jedoch Lederers Analyse, bei »kaum einem Thema, das in den letzten zehn Jahren die öffentliche Wahrnehmung beherrscht, war Die Linke mit einer überzeugenden, konsistenten Haltung sichtbar«, von den Vorsitzenden der Partei geteilt wird, darf bezweifelt werden. Spannend bleibt deshalb, ob die Einladung des Autors zum »gemeinsamen Nachdenken«, zu radikaler »Neugier«, »Lernbereitschaft« und »Lust auf produktiven Streit« beim Vorstand wie der inzwischen stark gebeutelten und desillusionierten Basis auf echte Gegenliebe stößt.

Zumal Lederer sich selbst nicht überzeugt zeigt, »dass die Linke in ihrer Breite die Dramatik dieser Situation wirklich erkannt hat und damit politisch produktiv umgehen will«. Unter Verweis auf den Parteitag in Augsburg konstatiert er vielmehr Gesten der Selbstvergewisserung und ritualisierte Anklage der Verhältnisse, eine »Sehnsucht nach Klarheit, Einheit, Reinheit und moralischer Eindeutigkeit, ja Überlegenheit«, die ihn »an den Dogmatismus der einstigen Parteien in marxistisch-leninistischer Tradition« erinnert.

Derlei »Folklore« steht für den einstigen Landesparteichef im Gegensatz zu konkreten politischen Vorhaben. Zwar sei auch für ihn der Satz richtig, dass Die Linke gebraucht werde – allerdings nicht als trotzige Beschwörung der eigenen Relevanz, sondern um mit Mitteln der Politik praktischen Einfluss auf die Verhältnisse zu nehmen. »Das ist vielleicht nicht so chic und radikal wie Revolutionsreden, kann aber das Leben von Millionen Menschen zum Besseren verändern und verschafft der Partei Glaubwürdigkeit«, schreibt er den Skeptikern linker Regierungsbeteiligungen unter den Genossen ins Stammbuch. Gefragt sei »ein linkes Denken, das befreit ist von der eigenen Dogmengeschichte, von Selbstgerechtigkeit und Selbstbezogenheit. Das attraktiv ist, weil es sich den bestehenden Verhältnissen in ihrer Widersprüchlichkeit mit dem Ziel ihrer Verbesserung zuwendet, ohne seinen Kompass zu verlieren und ohne sich nur in routinierter Empörung zu erschöpfen.«

Lederers Depesche an die Linken, die gegenwärtig freilich nicht nur an der Partei gleichen Namens verzweifeln und damit weit mehr Sahra Wagenknecht im Blick haben als der Autor, ist ungeschminkt. Vielleicht wäre dem ein oder anderen Leser eine weiter ausholende Konfrontation mit der früheren Fraktionsvorsitzenden als die vorliegenden fünf namentlichen Erwähnungen lieber, weil bequemer gewesen. Manch einem womöglich auch ein demonstrativer Brückenschlag, der alles irgendwie wiedergutmachen würde. Und keinesfalls auszuschließen ist, dass der frühere Kultursenator von den einen wie den anderen die von ihm beklagte »unerträgliche linke Besserwisserei« zu seinem Buch zu spüren bekommen wird.

Doch derlei nicht seltene Spielchen werden nichts daran ändern, dass die Überwindung der von ihm sehr rational resümierten Defensive der Linken – wenn überhaupt – tatsächlich nur mit einem »politischen Kassensturz« und der mühsamen Politik der »kleinen Schritte« gelingen kann. Und vielleicht auch mit der tatsächlichen Wiederbelebung von Lothar Biskys strategischem Dreieck, an das Lederer erinnert. Denn das vom viel zu früh verstorbenen Parteichef oft angemahnte Zusammenspiel von Widerstand, Mitgestaltung und über das System hinausgehenden Alternativen ist denn doch etwas völlig anderes als der heute viel zitierte und praktizierte linke Pluralismus.

Klaus Lederer: Mit links die Welt retten. Für einen radikalen Humanismus. Kanon-Verlag, 223 S., geb., 22 €.

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