- Kultur
- Manfred Krug
Breite Ärsche und richtige Beine
Was ihm gerade einfällt: Manfred Krug und der Flohmarkt seiner Gedanken
Selbst dort, wo Nebel stiegen oder Schatten fielen: Er befand sich hauptsächlich »Auf der Sonnenseite«, wie einer seiner Defa-Filme heißt. Manfred Krug! Diese Vitalität, dieses freche Unmaß an Existenzlust. Manchmal schien es, die Natur hätte sich nach diesem Kerl ein Modell ihrer Mächtigkeit machen wollen. Der Schauspieler war in seinem weithin strahlenden Glanz doch Angehöriger einer selten gewordenen, weil charakterstarken Spezies: Er kam damit zurecht, nicht überall und zu jeder Gelegenheit öffentlich eine Meinung zu äußern. Er glaubte nicht an die Veredlung eines Kommentars durch autoritätshebende Prominenz. Er mochte gutgläubige Zuschauer nicht zwingen, seine Meinung für bedeutsam zu halten, nur weil das Publikum seiner Kunst zugeneigt war.
Wer freilich seine Bücher las, die Erzählungen wie das Erinnerte, der erfuhr rasch: Der Mann kann schreiben! Das beweist auch der Band »Mir fällt gerade ein …«, ein Sammelsurium des Beiläufigen, das acht Jahre nach dem Tod des Schauspielers erscheint. Krug als lässiger, eleganter, hundsgemein witziger Boulevardier, der mit der (scheinbaren!) Gemütlichkeit einer Brummbärenseele die Komödien- und Tragödienmöglichkeiten einer Situation, eines Gedankengangs aufreißt. Beobachtungen, Bemerkungen, Bekenntnisse – aufreizend leicht gleitet die Sanftheit ins Ironische. Maximen, Miniaturen, Mitteilungen vom Glücksumstand, am Leben zu sein. Ein »staunender Blick auf Weltall, Erde, Mensch«, so Herausgeberin Krista Maria Schädlich im Vorwort.
Der Buchtitel verweist aufs Banale, mit dem Krug kräftig unterm eigenen Scheffel fläzt. Aber auch Koketterie ist ja zweifelsfrei – Kultur. »Wir Schauspieler haben’s leicht. Wenn man uns einmal kennt, müssen wir den Leuten unsere Vorzüge nicht weiter erklären.« Und auf geht’s zum Flohmarkt. Wo Krug kramt und klönt, und so, wie er sich an einem »Schuhbedarfsschein« vom 14. März 1919 oder an einer alten Glühbirne vor 1900 erfreut, mit heilem Kohlefaden und einer elektrischen Klingel mit schöner Bronzeglocke, so erwärmt er sich an allem Absonderlichen, an absurden Erfindungen (etwa der kommunistischen Zeitung »Die Rote Fahne«, die er bezieht), anderen unerklärlichen Erscheinungen oder kuriosen Tieren wie dem australischen Wanderringelschwanzbeutler.
Alles wird ihm zur Fundgrube, er stöbert und stromert und sammelt, er findet und fabuliert. Und geht kurze Wege von der Wahrnehmung zur Weisheit. Über seine Frau Ottilie: »Seit sie sich nicht mehr geliebt fühlt, kocht sie nicht mehr so gut wie früher. Sie läßt die Suppe allein kochen. Nichts kocht allein.« Er betrachtet das Kino der US-Amerikaner: »Es ist unglaublich, daß aus einem so infantilen Volk derart komische und unterhaltsame Filme kommen können. Wahrscheinlich ist es so, daß sie nur aus einem infantilen Volk kommen können.« Er feiert alte Stummfilme – » … wie erotisch die Frauen, mit verschleierten Augen, mit nach innen gekehrten Blicken … breite Ärsche gab es noch, richtige Beine«. Und er hat ein Gefühl für wahren Wert: »Ich glaube, von allen Künstlern in allen Sparten sind mir Jazzmusiker mit Abstand die liebsten. Sie sind musikalisch, witzig, echt und meistens arm.«
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Dieser Autor belässt sich stets genussvoll bei sich selber, das war schon immer seine Stärke, er besaß allzeit ein freundschaftliches, nie verkrampft ehrgeiziges Verhältnis zu seinen künstlerischen Gegebenheiten. So erscheint er auch in diesen Notizen und Reflexionen nie wie einer, der zu viel weiß, aber immer wie einer, der weiß, worauf es ankommt. Wider alle Lektionen und Leitartikler, die uns täglich bedrängen und zu belehren suchen. Krug lächelt Katechisten weg, denn: Die schönste Seite des Menschen ist die Kehrseite.
Die Utopie im Kopf – so lehrte Krugs Spiel, und so erzählen seine Splitter – ist nicht automatisch auch das, was die Hände tun. Wir sind einfacher gestrickt, als wir tun. Sein und Bewusstsein – zwei, oft genug im Widerspruch. Vieles konnte seinen Filmgestalten übern Kopf und übers Herz wachsen, kaum was übers Maul. Dies genau ist die Art, wie Krug auch schreibend Gedanken formt. Er stößt vor, relativiert sich – um erneut knallige Punkte zu setzen. Er ärgert sich über den »DDR-Muff-Schwall«, der nun auch in den Westen eingesickert sei, und findet es bezeichnend, dass in der Bibel das Wort »Gehirn« nicht ein einziges Mal erscheint. Alles hier bleibt unprätentiös, wirkt schwerelos, da ist keine gesuchte Klugheit. Er schreibt, dass ihn Nietzsches »Irrewerden« ergreift, und freimütig gesteht er, am Set Zettel zu kleben, weil er sich Texte nicht merken kann.
Stücke aus dem Nachlass. Aber Krug lässt ja gar nicht nach. Er wirkt, als wirke er noch immer. Man sagt so leichthin: Volksschauspieler. Wenn dieser Komödiant denn einer war, dann im Sinne seiner Fähigkeit, das Menschliche, das Menschlistige gänzlich vom Schlepperdienst für erzieherische Zwecke zu befreien. Jeder einzelne kurze Text dieses Buches hat auf seine Weise schamlos recht. Spiel und Gegenspiel. Scherbenspuren, mal glitzernd, mal trüb, mal schneidend. Und Filmgeschichte auf einen Punkt gebracht: »Ach, bei Hans Moser ist keine Szene zu lang.«
Zum Büchlein gehören die Radierungen von Moritz Götze, dem Hallenser, über dessen Kunst Fiete-Jens Dwars geschrieben hat, sie sei »abstrakt und konkret, schnörkellos sachlich und abgründig verträumt oder vielmehr traumverloren«. Autor und Maler sehen des Menschen Freiheit dort, wo er jenem Hauptdruck nicht nachgibt, der auf uns lastet: der Welt fortwährend entsprechen zu sollen. Dies Sammelsurium als Ermunterung: In Einklang mit sich selber kommt nur, wer das Geringe der Existenz und deren Würde immer zusammendenkt.
Manfred Krug: Mir fällt gerade ein … Ein Sammelsurium. Hg. v. Krista Maria Schädlich; Radierungen v. Moritz Götze. Kanon-Verlag, 108 S., geb., 15 €.
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