Südkaukasus: »Ein Friedensvertrag ist möglich, ein Frieden nicht«

Armenien und Aserbaidschan versuchen weiter, ihren jahrzehntelangen Konflikt diplomatisch statt kriegerisch beizulegen

  • Bernhard Clasen
  • Lesedauer: 4 Min.
Armenien und Aserbaidschan sind bemüht, ihren jahrzehntelangen Konflikt und das Blutvergießen im Südkaukasus zu beenden.
Armenien und Aserbaidschan sind bemüht, ihren jahrzehntelangen Konflikt und das Blutvergießen im Südkaukasus zu beenden.

Seit Monaten führen die verfeindeten Länder Armenien und Aserbaidschan fieberhafte Verhandlungen um eine Friedenslösung. Bereits siebenmal hat sich in jüngster Zeit eine armenisch-aserbaidschanische Kommission getroffen, die strittige Fragen des Grenzverlaufs regeln will. Auch die Außenminister der beiden Staaten kommen regelmäßig an verschiedenen Orten zusammen. »Wir sprechen mit Aserbaidschan nicht über einen Waffenstillstand, sondern über einen Friedensprozess, über den Entwurf eines Friedensabkommens. Es ist uns gelungen, in vielen Punkten eine Einigung zu erzielen, aber es gibt sehr wichtige Schlüsselfragen, bei denen die Positionen der beiden Seiten noch weit auseinander liegen«, zitiert die russische Nachrichtenagentur Interfax den armenischen Außenminister Ararat Mirsojan zum Stand der Verhandlungen.

Grundsätzlich scheinen beide Länder durchaus bereit, endlich Frieden im Südkaukausus zu schaffen. Laut dem aserbaidschanischen Zentrum für Sozialforschung wollen 78,2 Prozent der Aserbaidschaner Frieden mit Armenien. Wladimir Wardanjan von Armeniens Regierungspartei begrüßt gegenüber dem Nachrichtenportal Azatutyun die Verhandlungen, sie seien »für den weiteren Prozess äußerst wichtig«.

Ein größerer Krieg ist unwahrscheinlich

Auch der armenische Analytiker Tigran Grigorjan sieht in dem Verhandlungsprozess eine positive Entwicklung. Einen größeren Krieg hält er für unwahrscheinlich. In diesem Jahr wird in Baku die Uno-Klimakonferenz COP29 stattfinden. Und eine größere Militärintervention wäre für das Image des Landes nicht gut, würde dessen propagandistischen Bemühungen einen großen Schaden zufügen, glaubt Grigorjan. Gleichzeitig glaubt er aber auch nicht an einen grundsätzlichen Fortschritt. »Ein Friedensvertrag ist möglich, ein Frieden nicht«, resümiert er.

Nun fordert Aserbaidschan von Armenien die »sofortige Befreiung« von vier Dörfern. Es ist nicht auszuschließen, dass Aserbaidschan seine Forderung militärisch durchsetzen wird. »Diese vier Dörfer, Baganis Ayrim, Ashagi Askipara, Kheirimli und Gizilgajyli wurden immer als aserbaidschanisches Territorium anerkannt und waren auf der Karte verzeichnet, mit der Aserbaidschan und Armenien im März 1992 in die Uno aufgenommen wurden«, rechtfertigt Eldar Sejnalow, Direktor des aserbaidschanischen Menschenrechtszentrums, gegenüber »nd« die aserbaidschanische Forderung. »Und das heißt, diese vier Dörfer gehören de jure zu Aserbaidschan«.

Baku nicht wirklich an Frieden interessiert?

Die in Jerewan tätige armenische Journalistin Alla Manweljan ist da anderer Ansicht: »Ich glaube, Baku versucht, den Friedensprozess zu boykottieren und deshalb kommt man nun darauf. Diese Dörfer waren nie umstrittenes Gebiet. Und jetzt auf einmal sollen sie umstritten sein. Offensichtlich tut man das, weil man den Friedensprozess stören will, oder gar eine neue Aggression, von Russland provoziert, plant.«

Nach wie vor ist der Hass in Armenien auf die Aserbaidschaner und in Aserbaidschan auf die Armenier sehr groß. Dies zeigt auch der Umgang mit den Gräbern der jeweils anderen Nation. 1988 hatten die Bewohner des in Armenien gelegenen aserbaidschanischen Dorfes Dsjunaschoch dieses aus Angst vor antiaserbaidschanischen Pogromen verlassen, hatten ihr Dorf mit den Bewohnern des armenischen Dorfes Kerkentsch in Aserbaidschan getauscht. Die Bewohner beider Dörfer hatten sich gegenseitig versprochen, die zurückgebliebenen Gräber zu ehren. Übrig geblieben ist von diesem Versprechen nichts. Bei einem Besuch in Dsjunaschoch im November 2023 wurde mir der Besuch des Friedhofes von Grenzpolizisten verwehrt. Und bei meinem Besuch in Kerkentsch im November sah ich, dass armenische Grabsteine auf dem Boden verstreut lagen.

Paschinjan warnt vor möglicher Eskalation

Der Weg zu einem Friedensvertrag ist noch weit. Armeniens Premier Nikol Paschinjan scheint zu Kompromissen bereit zu sein und bekommt dafür viel Gegenwind. Kritikern einer Zusammenarbeit mit Aserbaidschan bei der Feststellung des Grenzverlaufs widersprach er: »Unser Ziel ist es, einen Krieg zu verhindern. Deshalb haben wir beschlossen, den Prozess der Regelung des Grenzverlaufs in diesen Regionen zu beginnen«, zitiert ihn das Portal jamnews am Dienstag. Natürlich könne man einfach aufstehen, den Saal verlassen, sagen, dass man bei dieser Arbeit an der Regelung des Grenzverlaufs nicht mitmache. »... Aber dann haben wir Ende der Woche Krieg«, so Paschinjan.

Sollte es zeitnah zu einem Friedensvertrag kommen, muss dieser mit Leben gefüllt werden. Die Pflege von Gräbern des jeweils anderen Volkes wäre ein wichtiger Beitrag zur Festigung eines Friedensprozesses.

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