- Politik
- Klimabewegung
Hungerstreik für eine Regierungserklärung
Klimaaktivist Wolfgang Metzeler-Kick vom Bündnis »Hungern bis ihr Ehrlich seid« fordert von Bundeskanzler Olaf Scholz Ehrlichkeit in der Klimakrise
Noch geht es Wolfgang Metzeler-Kick »voll okay«, wie er »nd« sagt. An einigen Tagen sei er nicht ganz so leistungsfähig, nach einem Einkauf zum Beispiel restlos erschöpft gewesen. An einem anderen Tag habe er dafür sogar einen Umzug geschafft – und das, obwohl der Klimaaktivist aus München seit zwei Wochen nichts gegessen hat. Seit dem 7. März ist Metzeler-Kick im Hungerstreik und verbindet damit eine Forderung an Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD).
Dieser solle eine Regierungserklärung abgeben, die die Klimakatastrophe als »eine existenzielle Bedrohung der menschlichen Zivilisation« benennt. Außerdem solle Scholz erklären, dass der CO2-Gehalt der Atmosphäre viel zu hoch sei, der 1,5-Grad-Pfad des Weltklimarates dringend eingeschlagen werden müsse und dafür »radikales Umsteuern jetzt notwendig« sei. Dass alle vier Punkte wissenschaftlich belegt sind, hat der Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung bestätigt.
Zusammen mit etwa zwei Dutzend weiteren Aktivist*innen aus der Klimagerechtigkeitsbewegung hat Metzeler-Kick für diesen Hungerstreik das Bündnis »Hungern bis ihr Ehrlich seid« ins Leben gerufen. Der Name – ein Appell an die Politik – ist Programm. Ehrlichkeit, das bedeutet für den 49-jährigen Ingenieur für technischen Umweltschutz, öffentlich darauf aufmerksam zu machen, dass jetzt schon viel zu viel CO2 in der Luft ist, das eigentlich herausgenommen werden müsste – stattdessen bewege sich die Welt aber »komplett in die falsche Richtung«.
Mit unserem wöchentlichen Newsletter nd.DieWoche schauen Sie auf die wichtigsten Themen der Woche und lesen die Highlights unserer Samstagsausgabe bereits am Freitag. Hier das kostenlose Abo holen.
Daran kann eine Regierungserklärung zwar nicht direkt etwas ändern. Doch viele Menschen verdrängten den aktuellen Zustand des Klimas – das könnte eine Regierungserklärung des Bundeskanzlers durchaus beeinflussen, hofft Metzeler-Kick. Bislang »benehmen wir uns wie ein Krebspatient, der leugnet, dass er Krebs hat. Es geht nicht darum, etwas weniger zu rauchen.« Doch die Politik verschweige die Wahrheit.
Wenn sich das ändere, könnten darauf vielleicht auch die notwendigen Schritte folgen. So ähnlich sei es bei Corona gewesen: Die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) habe zu Beginn der Pandemie in einer Regierungserklärung vorgerechnet, wie viele Tote zu erwarten seien. »Dann wurden die Maßnahmen verschärft. Diese Ehrlichkeit war dafür erst einmal notwendig«, sagt Metzeler-Kick. Außerdem sei ihm wichtig gewesen, dass die Forderung ja eigentlich leicht zu erfüllen sei – bevor er sein Leben aufs Spiel setzte.
Nach demselben Prinzip haben sieben junge Klimaaktivist*innen vor zweieinhalb Jahren ein Gespräch mit Scholz, der damals noch Kanzlerkandidat war, über einen Klimanotstand durchgesetzt. Allerdings hatte dieser erst zugesagt, als zwei von ihnen in der vierten Hungerstreikwoche auch noch das Wasser abgesetzt hatten. Metzler-Kick plant, seinen Hungerstreik deutlich länger durchzuziehen. Zurzeit trinke er täglich noch 215 Milliliter mit Wasser verdünntem Multivitamin-Saft, wodurch er körperlich nicht so schnell abbaue. Erst wenn es auf die EU-Wahlen zugehe, werde er wohl »eskalieren« und erst den Saft, dann auch das Wasser absetzen. »Wenn Scholz mich verhungern lässt, soll seine Partei wenigstens noch ein paar Prozentpunkte einbüßen«, sagt er.
Natürlich habe er nicht vor zu sterben und werde während des Hungerstreiks auch medizinisch begleitet. Doch größere Angst als vor dem trockenen Hungerstreik habe er vor der Ohnmacht. Davor, dass auch weiterhin alle Worst-Case-Klimaszenarien eintreten. »Wir rasen volle Kanne in die Klimahölle – diesen Albtraum halte ich nicht aus.« Er habe selbst mal bei BMW gearbeitet, einem Konzern, der die Klimahölle eher weiter befeuert. Deshalb wollte er umschulen zum Krankenpfleger, brach die Ausbildung jedoch ab, um sich der Letzten Generation anzuschließen.
Für seinen Aktivismus saß er im November 2022 bereits 18 Tage in der Justizvollzugsanstalt Stadelheim in München. Dort bestreikte er schon einmal die Nahrungsaufnahme – im Gefängnis gilt dies als das letzte verbliebene Protestmittel. Nun, über ein Jahr später, stelle er fest, dass er generell schon alle friedlichen Möglichkeiten zu protestieren ausgenutzt habe, »außer Tomatensauce auf Bilder schmeißen«. Eigentlich bleibe ihm also auch in der Freiheit nur noch der Hungerstreik, um den Druck auf die Politik zu erhöhen. Den jetzigen Zeitpunkt habe er auch von dem aktuell herrschende Wetterphänomen El Niño abhängig gemacht, eine Meereserwärmung, die die Klimakrise in vielen Teilen der Welt noch verschärft.
Am Montag startet das Bündnis »Hungern bis ihr Ehrlich seid« ein Klimacamp im Berliner Spreebogenpark, in der Nähe des Bundeskanzleramts, wo Metzeler-Kick zelten und öffentlich hungern wird. Sein Mitstreiter Richard Cluse will sich dem Hungerstreik anschließen, wie er am Sonntag in Karlsruhe verkündete. Dort erinnerte das Bündnis am dritten Jahrestag des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts zum Klimaschutzgesetz an »die bisher ausgebliebene gesetzliche Umsetzung einer verfassungskonformen Klimapolitik«. Das Camp in Berlin soll auch für Vorträge und Workshops genutzt werden, zudem hofft das Bündnis auf weitere Mitstreiter*innen.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.