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Fotografin Espe Pons: Abwesend und doch spürbar anwesend
Die katalanische Fotografin Espe Pons widmet sich in ihrem Werk »Tierra« den unter der Erde ruhenden Verlierern des Spanischen Bürgerkriegs
Während des Spanischen Bürgerkriegs, der vor 85 Jahren, im März 1939, mit dem blutigen Sieg der Franco-Putschisten endete, ist auf beiden Seiten die Kamera als Waffe eingesetzt worden. Eindrückliche Bilder dienten als dokumentarisches wie propagandistisches Mittel dazu, den eigenen Anspruch auf die Rechtmäßigkeit des eigenen Kampfes zu unterstreichen und das Agieren des Gegners in der Öffentlichkeit anzuprangern. Trotz der militärischen Niederlage der Spanischen Republik behielten die prorepublikanischen Fotografen die Nase vorn. So setzten sich, nicht nur aus ästhetischen Gründen, etwa Aufnahmen wie der bekannte Schnappschuss des Kriegsreporters Robert Capa, der den Tod eines im Feld gefallenen republikanischen Soldaten festhielt, eher durch als entsprechende Fotomotive aus dem Franco-Lager.
In der konzeptionellen Fotografie der Gegenwart wird das Bild des spanischen Krieges weiterhin durch Engagement geprägt, als ob der letzte Schuss noch nicht verhallt wäre. Ungewöhnlich ist der Ansatz der Katalanin Espe Pons, geboren 1973 in Barcelona. Ihr Zugang zum historischen Thema ist ein räumlicher. Für ihr Werk »Tierra« begab sich die Fotografin auf Spurensuche an unterschiedliche Orte in Spanien, an denen republikanische Opfer des Bürgerkriegs und der franquistischen Repression anonym und kollektiv verscharrt worden waren.
»Tierra« bedeutet sowohl Erde als auch Land. Beide Dimensionen werden von Espe Pons beleuchtet. Den Rahmen ihrer Motive bilden unspektakuläre Landschaften, aber auch ummauerte Friedhöfe, Spuren menschlicher Zivilisation. Zu sehen sind scheinbar harmlose Wiesen, idyllisch anmutende Waldlichtungen und Hügel, aber auch Denkmale, die von den Bemühungen der gegenwärtigen Regierung zeugen, gegen den zähen Widerstand der Konservativen eine Rehabilitierung der Opfer des Franquismus durchzusetzen.
Der Band enthält rund 100 Fotomotive von Espe Pons in Farbe. Hintergrundinformationen (in Spanisch und Englisch) zur historischen Tragik des Geschehens bieten separate Textblöcke aus der Feder von Sachverständigen. Was auf den ersten Blick wie eine Dokumentation wirkt, geht in Wirklichkeit in Richtung Kunst. Wer die fokussierten Orte des Grauens und der unvollendeten Trauer betrachtet, wird weniger mit dem Abgebildeten als dem Abwesenden konfrontiert. Die Räume erscheinen als stumme Erinnerungsträger für unheilvolle Aktionen, als Platzhalter für skelettierte Menschen, die für den Betrachter namenlos und unsichtbar bleiben. Eine abgebildete Schaufel erscheint als Metapher für das, was unter der Erdoberfläche liegt.
Entgegen dem Trend in den Medien, Ausgrabungen zu veranschaulichen, exhumierten Opfern per DNA-Analyse forensisch »ein Gesicht zu verleihen«, wird in »Tierra« auf gängige Formen der Konkretisierung verzichtet, das Abstraktionsniveau bis zur letzten Aufnahme gehalten. In Anlehnung an das Nachwort von Ofelia Ferrán vom College of Liberal Arts der Universität Minnesota ließe sich hinzufügen, dass die Zeitmontage der »trügerisch simplen« Bildkompositionen von der Künstlerin dem Betrachter als Auftrag mit auf den Weg gegeben wird.
Erinnerung und Landschaften bildeten schon immer die Hauptthemen der Fotografie von Espe Pons. Während sich die Katalanin anfangs noch ganz auf einer abstrakten Ebene bewegte, nähert sie sich ihren Objekten in letzter Zeit verstärkt auch unter einem gesellschaftskritischen Blickwinkel.
2019 thematisierte sie vor dem Hintergrund einer persönlichen Auseinandersetzung mit dem Schicksal eines Großonkels, der in Barcelona vom Franco-Regime hingerichtet worden war, erstmals den Bürgerkrieg und die Nachkriegszeit. Als Ergebnis dieser Reflexion entstand das Werk »Sota la llum del mar« (Unter dem Meereslicht). Die Aufnahmen waren auch außerhalb Spaniens im Rahmen von Ausstellungen zu sehen, unter anderem in den USA im Jersey City Theater. Und »Tierra« schaffte es prompt zu einer Nominierung für einen französischen Fotosachbuchpreis (Recontres d’Arles).
Mit dem kurz darauf folgenden Band »Flucht« bietet Espe Pons ein weiteres Werk, das sich dem Thema Antifaschismus widmet, biografisch-geografische Fluchtpunkte aus Walter Benjamins Exil fotografisch verarbeitet. Für ihr neues, noch laufendes Projekt kehrt sie wieder zu den Akteuren des Spanischen Bürgerkriegs zurück. Diesmal sollen die Frauen der Internationalen Brigaden im Zentrum stehen.
Wie in diesem Fall das Konzept einer fotografischen Umsetzung aussehen wird, verriet die Fotokünstlerin dem Verfasser dieses Artikels nicht; sie hüllte sich in ein sanft lächelndes Schweigen. Ob nun »Tierra«, »Flucht« oder die Interbrigadistinnen – eine Übersetzung der Bücher und auch eine Ausstellung der Fotografien von Espe Pons hierzulande wäre sehr zu begrüßen.
Espe Pons: Tierra. Madrid, 268 S., 124 Fotos, geb., 43 €.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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