Goldstandard des Faktenchecks

Sheila Mysorekar über Zeiten von Fake News, KI-generierten Bildern und perfekt gefälschten Fotos

Es war ein ungewöhnlicher Schritt, den mehrere große Nachrichtenagenturen Mitte März gingen: Reuters, AFP, AP und Getty Images zogen ein Foto zurück, das sie vorher veröffentlicht hatten; ein Akt, den man in der Branche einen »photo kill« nennt. Es handelte sich um ein Foto der Kronprinzessin Kate von Großbritannien mit ihren Kindern; es gab einen begründeten – und später bestätigten – Verdacht, dass das Bild manipuliert worden war. Die Nachrichtenagenturen reagierten konsequent und untersagten eine weitere Verbreitung dieses Fotos.

Jetzt könnte man sich fragen, warum so viel Aufhebens darum, ob der Jackenärmel irgendeines englischen Prinzen retuschiert wurde? Machen wir doch alle, oder? Gudrun fotoshoppt wild an den Fotos von ihrer Betriebsfeier rum, bis sie schlanker als Annika von der Buchhaltung aussieht, und das Foto von dem Riesenkarpfen, das Hans-Jürgen nach seinem Angelausflug herumzeigt, ist auch nicht so ganz echt. Vor allem die Größe des Karpfens nicht.

Warum also all das Gedöns um ein albernes Familienfoto irgendwelcher Royals? Der Punkt ist: es ging nicht um den belanglosen Inhalt des Bildes, sondern ob das Foto echt war oder nicht. Presseagenturen leben von dem Vertrauen, dass ihnen entgegengebracht wird. Wir müssen uns darauf verlassen können, dass die Nachrichten und Fotos, die sie veröffentlichen, der Wahrheit entsprechen. Die Wahrheit und nichts als die Wahrheit. Egal, ob es der Prinzessin Kate persönlich war, die das Foto digital verschönert hat – entscheidend ist, dass Presseagenturen nur Bilder veröffentlichen, die nicht manipuliert worden sind. Man kann sich diesbezüglich auf sie verlassen. Dieses Vertrauen ist ihre Währung.

Sheila Mysorekar

Sheila Mysorekar ist Vorsitzende der Neuen Deutschen Organisationen, einem Netzwerk postmigrantischer Organisationen. Für »nd« schreibt sie die monatliche Kolumne »Schwarz auf Weiß«. Darin übt sie Medienkritik zu aktuellen Debatten in einer Einwanderungsgesellschaft.

In einer Zeit, wo es unendlich viele und einfach zugängliche Möglichkeiten gibt, Fotos und Videos zu fälschen, zu verändern oder direkt digital zu generieren, fällt den professionellen Medien eine zentrale Rolle zu: nur sie sind imstande, bei Texten oder Bildmaterial fachgerechte Faktenchecks durchzuführen. Während wir auf sozialen Medien ungebremst von Informationen, Videos und Fotos überflutet werden, von denen wir nicht wissen, ob sie zutreffen, echt sind oder in irgendeiner Trollfabrik produziert wurden, können wir den professionellen Medien vertrauen. Wir können die Tagesschau anschalten, eine der großen Tageszeitungen aufschlagen (natürlich nicht die »Bild«), oder einen der öffentlich-rechtlichen Radiosender anmachen und einigermaßen sicher sein: Was uns dort präsentiert wird, haben professionelle Medienschaffende zuvor auf den Wahrheitsgehalt geprüft; sie haben mehrere Quellen gecheckt und eine Rückwärtssuche von Bildern durchgeführt, um sicherzugehen, dass es keine Fälschungen sind. Wir können diesen Medien glauben; sie haben sich unser Vertrauen erarbeitet.

In den Informationskriegen der Neuzeit ist Wahrheit die Goldwährung. Und genau dafür braucht man Profis; genau das macht den Unterschied aus zwischen ausgebildeten Journalist*innen und Leuten, die einfach irgendwas im Internet schreiben.

Die meisten Menschen nehmen an, dass Journalismus ein anspruchsloser Beruf sei, denn »jeder kann ja schreiben« bzw. Fotos knipsen. Sowas würde niemand über einen Chirurgen sagen: »Also, Leute aufschneiden ist ja keine Kunst, auch nicht schwerer als mit dem Messer ein Schnitzel halbieren!« Tatsache ist, dass Medienschaffende ebenso wie Chirurg*innen Fachleute sind. Ihr Fachwissen dient heutzutage nicht nur dazu, die Öffentlichkeit zu informieren, sondern auch herauszufinden, welche Informationen im Medienkosmos falsch sind. Ihr Job ist also auch, die alltägliche Informationsflut für uns nach Lüge und Wahrheit zu filtern. Im Englischen nennt man dies »Gatekeeping«, was man in etwa mit »Türsteher« übersetzen kann.

Bei den laufenden Kriegen – ob Israel-Gaza oder Russland-Ukraine – sehen wir, dass Informationen und Bilder massiv manipuliert werden, um die internationale Öffentlichkeit zu beeinflussen. Deswegen sind die etablierten Medien, eben die Profis, permanent unter Attacke: Sie werden als »Systemmedien« oder »Lügenpresse« diffamiert – von jenen, in deren Interesse es liegt, dass die Öffentlichkeit Lügen und Wahrheit nicht auseinanderhalten kann. Umso wichtiger, dass wir unseren Medienschaffenden vertrauen: Sie kämpfen für die Wahrheit. Selbst bei Familienfotos aus dem Buckingham Palace.

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