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Mehrere Bundesbehörden rüsten Gesichtserkennung auf
Polizeiliche Fotodatenbank durchbricht Fünfmillionenmarke
»Jetzt wird deutlich, wie gut die Polizeiarbeit funktionieren würde, wenn sie durch Technik, KI und Gesichtserkennung unterstützt würde«, hatte der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP) anlässlich der Verhaftung der RAF-Gesuchten Daniela Klette gesagt. Was der Funktionär verschweigt: Seit 2008 gibt es unter dem Kürzel GES ein Gesichtserkennungssystem beim Bundeskriminalamt (BKA), das von allen Landespolizeien, der Bundespolizei sowie dem Zoll genutzt wird. Damit können unbekannte Personen anhand von Fotos identifiziert werden – sofern sie bereits mit einem Lichtbild in der größten bundesweiten Polizeidatenbank Inpol gespeichert sind.
Sowohl die Zahl der Abgleiche als auch der Treffer steigt jährlich rasant. Ähnliches gilt für die Personen, zu denen biometrische Fotos für einen Abgleich vorliegen: Deren Zahl liegt nun erstmals über 5 Millionen, schreibt das Bundesinnenministerium in der Antwort auf eine Anfrage der BSW-Gruppe im Bundestag. Demnach speichert das BKA im GES rund 7,3 Millionen Bilder zu 5,1 Millionen Menschen – eine Zunahme gegenüber dem Vorjahr um rund zehn Prozent. Wegen vorgeschriebener Löschfristen wurden rund 358 000 Fotos aus der Datei entfernt, im gleichen Zeitraum kamen aber fast eine Million Fotos hinzu.
Die Gesichtsbilder in der BKA-Datei stammen aus erkennungsdienstlichen Behandlungen, die entweder von der Polizei oder von Ausländerbehörden vorgenommen werden. Rund 3,1 Millionen dieser ED-Behandlungen mit Gesichtsbild wurden wegen des Verdachts einer Straftat oder anderer Vergehen von der Polizei durchgeführt, rund 4,2 Millionen stammen von nicht polizeilichen Behörden, etwa wenn ein Asylgesuch gestellt wird.
Das BKA will die Gesichtserkennung nun weiter verbessern. Nachdem die Wiesbadener Behörde bereits auf eine 3D-Technik umgestiegen ist, wird nun an einer Methode zur künstlichen Alterung von Gesichtern getüftelt. Damit könnten alte Fahndungsfotos wie jene zu den RAF-Gesuchten, auf denen die Menschen in jungen Jahren abgebildet sind, bearbeitet und auf einen mutmaßlich aktuellen Stand gebracht werden. Mit diesen Bildern könnten anschließend auch Polizeidatenbanken durchsucht werden. An dem Forschungsvorhaben des BKA ist die Hochschule Darmstadt beteiligt.
Bislang nicht bekannt war, dass letztes Jahr auch die Bundespolizei zwei Systeme zur »teilautomatisierten Videoauswertung« beschafft hat. Anders als beim BKA, wo einzelne Fotos mit der Inpol-Datei abgeglichen werden, soll die Anwendung eine Videoauswertung von »Massendaten« erleichtern. Ein ähnliches System hatten die Landespolizeibehörden zur Strafverfolgung nach dem G20-Gipfel 2017 in Hamburg eingesetzt und damit rund 3 Terabyte an Video- und Fotodateien bearbeitet.
Der Antwort auf die BSW-Anfrage zufolge nutzt die Bundespolizei die Software »Investigator« von Digivod aus Meerbusch in Nordrhein-Westfalen, die bereits in einem BKA-Forschungsprojekt erprobt wurde. Die Software kann laut der Firma auch Material aus Überwachungskameras verarbeiten und nutzt dazu Videoanalyseverfahren, die auch aus »Deep-Learning-Netzwerken« bestehen. Ermittler können nach Gesichtern, aber auch nach Personen mit einer bestimmten Kleidung suchen. Die Bundespolizei will die beiden Systeme im »Stand-Alone-Modus« nutzen. Bei Bedarf können diese also schnell an einem Ort massenhaft zu verfolgender Straftaten installiert werden. »Ausschließlich ein kleiner und fest begrenzter Personenkreis« soll die Software dann bedienen.
Ebenfalls neu ist, dass nun auch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) den Einsatz einer neuen Gesichtserkennungssoftware prüft. Das System würde den bereits seit Jahrzehnten praktizierten Abgleich von Fingerabdrücken ergänzen. Damit will die Behörde erkennungsdienstliche Maßnahmen von Menschen im Asylverfahren verbessern. Lichtbilder aus dem Ausweis der Antragsteller würden dann mit dem Foto aus der ED-Behandlung abgeglichen, um die Identität der Person zu verifizieren. Eine Entscheidung für einen konkreten Hersteller ist dazu noch nicht gefallen, schreibt das Innenministerium.
Der Beschreibung zufolge ist nicht geplant, dass das BAMF die neue Plattform zur Suche in größeren Datenbanken einsetzt – hierzu nutzt die Behörde nach eigenen Angaben bereits eine »Spezial-Software«. Damit will das BAMF sicherstellen, dass die Person nicht bereits unter einem anderen Aktenzeichen oder Namen registriert wurde. Mit dieser Technik sind deutsche Ausländerbehörden auch bereit für eine neue Ausbaustufe der europäischen Fingerabdruckdatei Eurodac, die nach Beschluss einer neuen Verordnung auch Gesichtsbilder enthalten soll.
Schließlich befasst sich auch das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) mit Anwendungen zur Gesichtserkennung. Dabei geht es um Sicherheitsaspekte und die Untersuchung möglicher Täuschungsversuche. Dazu hat das BSI mit dem Biometrie-Evaluations-Zentrum an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg eine Testumgebung eingerichtet, an der auch ein »KI-Modell zur Gesichtserkennung« erprobt wird. Mit künstlich erzeugten Trainingsdaten werden dort reale Szenarien durchgespielt. Unter anderem soll die Technik mit Kosmetik veränderte Gesichtszüge bei der Passkontrolle erkennen. Dazu werden die Lichtbilder im Ausweis mit Infrarotbildern der betreffenden Person abgeglichen.
Laut BSI können Gesichtserkennungssysteme mit weiteren Methoden ausgetrickst werden. Hierzu gehört etwa das Morphing, bei dem die Gesichtsbilder mehrerer Personen miteinander verschmolzen werden, sodass das entstehende Lichtbild all diese Merkmale enthält. Beim Grenzübertritt können zudem das Tragen einer Brille mit speziell bedrucktem Gestell oder ein spezieller Aufnäher auf der Mütze »bedeutsame Auswirkungen« auf die Wahrscheinlichkeit haben, mit dem Abgleich der Gesichter einen Treffer zu erzielen.
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