Klimapolitik: »Das fossile Kapital bleibt am Drücker«

Der Wiener Politikwissenschaftler Ulrich Brand hält den »grünen Kapitalismus« für gescheitert

  • Interview: Raul Zelik
  • Lesedauer: 8 Min.

Herr Brand, die österreichische Sozialdemokratie wird seit einem Jahr von Andreas Babler geführt – einem Provinzbürgermeister, der aus einem Arbeiterhaushalt kommt und sozialistische Positionen verteidigt. In Graz regiert die Kommunistin Elke Kahr. In Salzburg kam der KPÖ-Kandidat kürzlich auf sensationelle 38 Prozent. Was ist da los?

Es gibt in der Bevölkerung großen Unmut über die konservativ-grüne Regierung und eine Offenheit für Verteilungsfragen. In der SPÖ gab es vor einem Jahr so etwas wie ein Momentum. Eine kleine, aber gut vernetzte Gruppe hat den Bürgermeister Andi Babler von einer Kandidatur überzeugt und in sehr kurzer Zeit eine Kampagne auf die Beine gestellt. Weil sich die damaligen Parteigrößen täglich in den Medien beharkt haben, konnte Babler auf dem Parteitag im Juni 2023 eine Mehrheit hinter sich bringen.

Die Frage ist jetzt natürlich, wie dieser »Babler-Moment« inhaltlich gefüllt werden kann. Ich hatte ihn unlängst in meiner Ringvorlesung und war beeindruckt, wie inhaltlich klar er sich positioniert. Gleichzeitig kann er auf praktische Beispiele verweisen. In seiner Gemeinde Traiskirchen, wo sich das größte Erstaufnahmezentrum Österreichs für Geflüchtete befindet, hat er mit seinem sehr erklärenden Stil die Bevölkerung von der Solidarität mit Geflüchteten überzeugt. Und er organisiert sozial-ökologische Projekte wie die »Volxküche«, die regionale und gesunde Küche für Kinder in den Bildungseinrichtungen anbietet. Mit diesem Kurs hat er bei den Bürgermeisterwahlen 70 Prozent geholt.

Gleichzeitig legt auch die KPÖ zu.

Die KPÖ steht für bezahlbare Mieten und praktische Unterstützung bei sozialen Problemen. Und sie strahlt Glaubwürdigkeit aus. Die Grazer Bürgermeisterin Elke Kahr ist vom internationalen World Mayor Price unlängst zur »Bürgermeisterin des Jahres« gekürt worden, der Salzburger KPÖ-Kandidat Kay-Michael Dankl tritt ganz ähnlich wie Kahr auf. Es gibt in der Bevölkerung einfach ein großes Misstrauen gegenüber der etablierten Politik. Und diese drei Politiker*innen stehen für große persönliche Integrität.

Das sind ja keine sogenannten Linkskonservativen, sondern Politiker*innen, die soziale und ökologische Fragen zusammenbringen. Was macht die österreichische Linke besser als die deutsche, dass es bei Ihnen zu funktionieren scheint?

Interview
SBK

Ulrich Brand, Jg. 1967, ist Professor für Politikwissenschaften an der Universität Wien und beteiligte sich viele Jahre an den Debatten im Umfeld der lateinamerikanischen Linksregierungen. Gemeinsam mit seinem Berliner Kollegen Markus Wissen verfasste er 2017 das Buch »Imperiale Lebensweise«, in dem die ökologische Dimension der globalen Ungleichheitsverhältnisse untersucht
wird. Jetzt erschien ihr neuer Titel »Kapi­talismus am Limit. Öko-imperiale Spannungen, umkämpfte Krisenpolitik und solidarische Perspektiven«
(Oekom, 304 S., br., 24 €).

Der Vergleich hinkt insofern, als die KPÖ landesweit bisher weniger Stimmen als die Linke in Deutschland hat. Aber der entscheidende Grund für das Hoch der KPÖ ist, dass in der Partei nicht gestritten wird. Übrigens auch bei der SPÖ: Seit der Wahl von Babler ist der Streit in der Sozialdemokratie sachlicher geworden. Die Wähler*innen honorieren das. Die Profilierungssucht von Einzelnen kommt bei den Leuten nicht gut an.

Die KPÖ nimmt der Sozialdemokratie keine Stimmen weg?

Bei den Wahlen in Salzburg-Stadt hat die KPÖ vor allem Nicht-Wähler*innen mobilisiert. Die SPÖ wiederum hat stark Stimmen von der ÖVP erhalten. Ich denke, da gibt es durchaus Potenzial. Und ein linker Aufbruch, bei dem sich auch die in Österreich eher liberalen Grünen verändern, könnte das politische Szenario wirklich auf den Kopf stellen.

Alle wissen ja, dass wir eine grundlegende Transformation brauchen. Österreich wird von der Klimakrise besonders stark betroffen sein. Den Umbau der Gesellschaft fair zu gestalten und soziale und ökologische Anliegen zusammenzubringen – das könnte eine echte Alternative zum Rechtspopulismus sein.

Damit sind wir bei Ihrem Buch »Kapitalismus am Limit«, das Sie mit Markus Wissen geschrieben haben und das diese Woche erscheint. Inwiefern haben Sie gegenüber Ihrem letzten Titel »Imperiale Lebensweise« nachgeschärft?

Ich würde sagen, wir haben 2017 unterschätzt, wie schnell die ökologische Krise den Alltag erreicht. Überschwemmungen, Dürren, Missernten – das ist jetzt wirklich spürbar.

Zweitens war der Aufstieg der autoritären Rechten erklärungsbedürftig. Ich denke, wir können eine allgemeine Verunsicherung beobachten. Von rechts wird das Problem der wachsenden sozialen und ökologischen Unsicherheit überhaupt nicht bearbeitet, aber der Unmut aufgegriffen. Zu dieser Stimmung gehört auch die sogenannte verunsicherte Männlichkeit. Wir beziehen uns da auf den Begriff der »Petro-Maskulinität« von Cara Daggett. Die Männlichkeit der letzten Jahrzehnte beruhte sehr stark auf dem fossilen Kapitalismus: PS-starke Autos sind ein Symbol dafür.

Und drittens schließlich erläutern wir, warum der »grüne Kapitalismus« zwar eine dominante Strategie ist und sich im New Green Deal der EU-Kommission niedergeschlagen hat, aber scheitern wird.

Warum wird bei den Umweltmaßnahmen gerade ständig zurückgerudert? Der Klimawandel stellt doch auch für die ökonomischen Eliten ein unkalkulierbares Risiko dar.

Das fossile Kapital ist weiter am Drücker. Exxon Mobil hat 2022 fast 60 Milliarden Dollar Gewinn gemacht, BP die größten Gewinne der Unternehmensgeschichte ausgewiesen. Es gibt enorme Kräfte, die sich in eine FDP-Union-AfD-Politik übersetzen – also in einen Anti-Ökologismus.

Der zweite Grund ist, dass der Europäische Green Deal – ebenso wie das Ausgabenpaket von Biden in den USA – allein die Dekarbonisierung im Blick hat. Die Energiebasis soll verändert werden, ohne die Wachstums- und Konkurrenzlogik infrage zu stellen. Doch alle Studien zeigen, dass die versprochene Entkoppelung von Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch unmöglich ist.
Und drittens schließlich bleibt die herrschende Lebensweise trotz ihrer Krisenhaftigkeit attraktiv, weil sie einen Großteil der Kosten nach außen abwälzt. Das ist ja auch unser zentrales Argument in »Imperiale Lebensweise«. Der »grüne Kapitalismus« führt das fort: Die Ressourcen für die Energiewende werden unter unmöglichen Bedingungen anderswo beschafft.

Aber auch die linken Gegenprojekte kommen nicht recht vom Fleck. Sie haben in Lateinamerika schon in den 2010er Jahren mit Bewegungen zusammengearbeitet, die ökologische und soziale Forderungen zusammenführen wollten. Die lateinamerikanischen Linksregierungen haben die Ausbeutung von Bodenschätzen allerdings eher noch intensiviert. Woran lag das?

Die strukturelle Antwort wäre, dass die imperiale Lebensweise für viele Menschen immer noch attraktiv ist und den Alltag organisiert. Auch ärmere Menschen träumen vom American Way of Life. Die eher konjunkturelle Antwort lautet, dass es für die Linksregierungen in Lateinamerika erfolgversprechend war, mit den Rohstoffexporten ihre Sozialpolitik zu finanzieren.

Damit sind wir bei einer zentralen Frage: Wie kann ein ökologischer Umbau aussehen, der die Existenzängste vieler Menschen ernst nimmt?

Der Begriff des »Infrastruktursozialismus« könnte hier eine Antwort sein – also öffentlich organisierte Bedingungen für ein gutes Leben für alle. Die liberale Transformationsvorstellung geht davon aus, dass der Staat Rahmenbedingungen festlegt, die Unternehmen grün investieren und die Konsument*innen sich an die Vorgaben halten. Unsere Theory of Change müsste sein, die physischen und sozialen Infrastrukturen zu schaffen, die ein gutes Leben ermöglichen. Mit welchen Infrastrukturen können wir den Individualverkehr überflüssig machen? Mit welcher Infrastruktur können wir eine regionale, saisonale Landwirtschaft ermöglichen? Das ist ja das Absurde: Man hat die Bäuer*innen über Jahrzehnte in die industrielle Landwirtschaft getrieben und wirft ihnen das jetzt vor.

Sie machen sich jetzt stark für eine staatliche Makropolitik. In Ihrer politischen Praxis hingegen setzen Sie oft eher auf soziale Bewegungen als auf Parteien. Dabei scheint heute beides in der Krise: Im Augenblick gibt es weder linken Reformismus noch bedeutende Basisbewegungen.

Wenn ich von öffentlichen Infrastrukturen spreche, rede ich natürlich vom Staat und linken Parteien. Aber öffentliche Infrastrukturen – wie zum Beispiel die gemeinwohlorientierten Wohnungsbaugesellschaften – müssen gesellschaftlich erkämpft werden. Regierungsparteien können Projekte fördern oder stoppen, aber politisiert werden die Vorhaben zuvor durch Bewegungen. Partei- und Bewegungspolitik würde ich nicht in der Gegenüberstellung sehen. Sie müssen sich ergänzen.

Ist ökosozialistische Politik nicht auch deshalb schwierig, weil wir es hier mit unterschiedlichen Zeithorizonten zu tun haben? Die ökologische Krise rückt zwar näher, aber ihre sozialen Folgen wird sie erst in Jahrzehnten richtig entfalten. Die soziale Frage – wie schaffe ich es bis zum Ende des Monats – ist hingegen immer schon konkret.

Absolut. Das war ja auch das Dilemma der progressiven Regierungen in Lateinamerika: Sie mussten unmittelbare soziale Probleme bearbeiten und wollten gleichzeitig eine längerfristige Transformation einleiten. Ich denke aber auch, dass wir heute in einer anderen Situation sind. Markus Wissen und ich sprechen von »solidarischer Resilienz«. Das Problem der Anpassung an die Klimaveränderungen steht bereits auf der Agenda, wird allerdings eher technisch verstanden: höhere Dämme, Katastrophenhilfe...

Eine linke Antwort könnte lauten: Wie schützen wir uns besser und solidarischer? Beispielsweise: Die Landwirtschaft muss so umgebaut werden, dass die Ernährungssicherheit gewährleistet bleibt. Wir stärken kollektive Verkehrssysteme, die sich auch mit viel weniger Energie betreiben lassen.

Was könnten SPÖ oder KPÖ konkret vorschlagen, um diese »solidarische Resilienz« sichtbar zu machen?

Der Klimawandel wird die Ungleichheit weiter vertiefen. Wenn sich Städte aufheizen, muss linke Politik gerade in ärmeren und dicht bebauten Vierteln die Lebensbedingungen verbessern. Wir brauchen mehr Grünflächen, keine Glashochhäuser, deutlich weniger Bodenversiegelung, Rückbau von Autobahnen. Zugleich müssen politische Maßnahmen ergriffen werden, damit es nicht zu einer »grünen Gentrifizierung« kommt.

International geht es darum, die »Klimaschulden« des Nordens zu begleichen und den Süden bei der Anpassung zu unterstützen. Klimaflüchtlinge, die ihre Existenzgrundlage verloren haben, müssen hierzulande willkommen geheißen werden. Glaubwürdige linke Politik besteht darin, dass der unvermeidbare sozial-ökologische Systemwechsel gerecht und nicht zu Lasten der Schwächeren geschieht. Und dass die Schwächeren an der Gestaltung der Veränderungen teilhaben.

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