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  • Georg Kolbe Museum Berlin

Noa Eshkol: Dreifache Wiederentdeckung

Die Choreografin, Textilbildnerin und politische Künstlerin Noa Eshkol im Georg Kolbe Museum Berlin

  • Tom Mustroph
  • Lesedauer: 4 Min.
Noa Eshkol (vorn) bei der Aufführung von »Peacocks« im Ohel Theater, Tel Aviv
Noa Eshkol (vorn) bei der Aufführung von »Peacocks« im Ohel Theater, Tel Aviv

Ungeahnte Aktualität kommt dieser Ausstellung zu. Zum 100. Geburtstag von Noa Eshkol führt das Georg Kolbe Museum in Berlin in das Werk der am 28. Februar 1924 im Kibbuz Degania in Palästina geborenen Choreografin, Textilkünstlerin und Tanztheoretikerin ein. Auch der Titel, »No Time to Dance«, könnte kaum aktueller sein. Die hier gewürdigte Künstlerin war ein eminent politischer Mensch. Sie setzte sich mit dem Eroberungs- und Vernichtungskrieg der Nazis, dem Holocaust und dem antifaschitischen Widerstand auseinander, zugleich aber auch mit dem israelisch-palästinensischen Konflikt.

Als die Ausstellung geplant wurde, ging es vor allem darum, das komplexe Werk der israelischen Künstlerin der Vergessenheit zu entreißen. Inzwischen kommt einzelnen Arbeiten aber Signalwirkung zu. In ihrem Wandteppich »Palestinian Vase in a Window« ist eine arabische Kufiya das zentrale Element. Das rot-weiß gemusterte Tuch markiert, als Viereck ausgebreitet, ein Fenster, in dem weitere Stoffreste eine Vase und Blumen nachbilden. Dass eine Israelin ein Palästinensertuch für eine Arbeit verwendet, ist schon ein starkes Statement. Damals wie heute.

Noa Eshkol begann mit Textilien zu arbeiten, als der Jom Kippur-Krieg 1973 ausbrach. Bis dahin war sie vor allem als Choreografin tätig. Doch: »Jetzt ist keine Zeit zum Tanzen«, beschloss sie damals. Ein Tänzer ihres Ensembles wurde zur Armee eingezogen. Und so begann Eshkol, Stoffreste zu sammeln und sie zu dynamischen Kompositionen zusammenzufügen, die vielfach abstrakt sind. Darin ihren tänzerischen Interpretationen und Inszenierungen ähnelnd. Zugleich stehen die großformatigen und farbintensiven Wandteppiche im Kontrast zu ihren eher minimalistischen Choreografien. Aber natürlich griff sie bei ihren stofflichen Kreationen immer wieder auch auf musikalische Prinzipien, Erfahrungswelten und Motive zurück, wie etwa einer Fuge.

Einige Teppiche weisen figurative Elemente auf. Neben der Arbeit mit der Kufiya trifft das auf »Arab zu ihren minimalistischen Choreografien with Birds« und »Birds in the Negev« zu. Über den bescheidenen Häusern eines arabischen Dorfes segeln Vögel mit ausgebreiteten Schwingen. »Birds in the Negev« zeigt über einer raffinierten Komposition, die Dreidimensionalität suggeriert, ganze Schwärme gefiederter Wesen über die Wüste gleiten.

Es ist stets viel Bewegung in den Textilbildern der Noa Eshkol. Das verwundert freilich nicht. Denn sie lebte den Tanz, lebte für den Tanz, war ganz eine Tänzerin. Gemeinsam mit dem Architekten Abraham Wachmann hat sie ein ausgeklügeltes System der Aufzeichnung tänzerischer Bewegungen entwickelt. Jede Drehung, jede Beugung der Gliedmaßen wurde dabei minutiös erfasst. Das Pendant hierzu findet sich auf einzelnen Teppichen wieder. »Die Eshkol-Wachman-Bewegungsnotation«, kommentierte Noa Eshkol dereinst selbst, »ist ein Denkwerkzeug, das Menschen die Kunst des Beobachtens lehren kann, d.h. sie dazu ermutigen kann, nach der höchsten Ebene des Sehens zu streben.« 

Das Museum im Berliner Westend bietet auch Einblicke in Noa Eshkols erste Berufung, den Tanz, den sie mit politischen und historischen Inhalten füllte. 1953 beispielsweise schuf sie eine Massenchoreographie, die zum zehnjährigen Jahrestag des Aufstandes im Warschauer Ghetto an das Leid und die Verzweiflung, aber auch den heldenhaften Widerstandsgeist und Widerstandwillen der von den Nazis zum Tod in den Vernichtungslagern gedachten Juden erinnerte. Die Ausstellung zeigt Ausschnitte aus der originalen Choregrafie, aber auch ein Reenactment durch Ome Kieger im Jahr 2020. Interessant ist, dass Noa Eshkol bei der Würdigung des Ghettoaufstandes auf Kompositionen des Pioniers elektronischer Musik, Herbert Brün, zurückgriff. Traumatische Geschichte verknüpft sich hier mit maschineller Moderne. Dem Motiv der Maschinen oder maschinisierter Vorgänge als nicht nur nützlich, sondern auch monströs und mörderisch, begegnet man auch auf den Textilarbeiten.

Das Werk von Noa Eshkol verdient über die aktuellen Aufladungen hinaus wiederentdeckt zu werden. Die 2007 in Cholon, Israel, gestorbene Choreografin war eine Meisterin der Konzentration und Intensität. Sie verzichtete fast völlig auf Kostüme und Requisiten, vertraute allein der Kraft der Bewegung. Die von ihr mitentwickelte Eshkol-Wachmann-Movement-Notation hat neben der rein praktischen Funktion auch ästhetische Qualitäten und wirkt zeitlos, gegenwärtig. Ihre lange Zeit weniger beachtete Beschäftigung mit Textilien widerum fügt sich nahtlos in die heute wiedererwachte, wachsende Wertschätzung der Textilkunst als eigenständige Kunstgattung ein.

Dem Georg Kolbe Museum ist mit der Ausstellung ein echter Kunstgriff gelungen. Zumal auch eine enge Verbindung der Geehrten zum Namensgeber des Museums, Georg Kolbe, an dessen einstiger Wirkstätte auffällig ist. Bildhauer wie Tänzerin verschrieben sich der Bewegung. Mit einem Unterschied: Während Noa Eshkol Bewegungen auf der Bühne feierte, fror Georg Kolbe sie in seinen Skulpturen ein.

»Noa Eshkol. No Time to Dance«, bis 25. August 2024, Georg Kolbe Museum, Sensburger Allee 25, 14055 Berlin, geöffnet täglich 11 bis 18 Uhr, dienstags geschlossen, Eintritt 8 Euro, erm. 5 Euro.

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