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Als die Gewerkschaften noch bauten
Wo die GEHAG erfolgreich war und warum sie scheiterte
Berlin, die 1920er Jahre: Die Räterepublik war gescheitert, die Inflation galoppierte, und in den Mietskasernen der neu gegründeten Einheitsgemeinde Groß-Berlin hausten Arbeitende und Arbeitslose wie eh und je in dunklen, überbelegten Wohnungen. Das waren die Rahmenbedingungen, als am 14. April 1924 Vertreter des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes ADGB, der Bauhütten und verschiedener Arbeitergenossenschaften im ADGB-Haus in der Inselstraße die Gründung der »Gemeinnützige Heimstätten, Spar- und Bau-Aktiengesellschaft«, kurz GEHAG, besiegelten, um, wie es in der Satzung heißt, »gesunde Wohnungen zu angemessenen Preisen für die minderbemittelten Volksklassen zu schaffen.«
Wider Erwarten und gegen den erbitterten Widerstand der Konservativen und der Immobilienlobby wurde das Unternehmen ein Erfolg und baute bis 1933 mehr als 10 000 helle und luftige Wohnungen in einem bis dahin für die »minderbemittelten Volksklassen« unvorstellbaren Standard: mit Balkon, Bad und teilweise Zentralheizung, darunter die Hufeisensiedling in Neukölln, die Wohnstadt Carl Legien in Pankow und die Weiße Stadt in Reinickendorf, die heute allesamt als Musterbeispiele für das Neue Bauen gelten und Weltkulturerbe sind.
Was waren die Gründe für diese Erfolgsgeschichte? Für Reinhard Wenzel, Geschäftsführer des August-Bebel-Instituts, der zum 100. Geburtstag Groß-Berlins die Ausstellung über Neues Bauen mitkonzipierte, kamen verschiedene Umstände zusammen, die den Gewerkschaften diesen Einstieg in den Wohnungsbau nahelegten. »Die Wohnbedingungen der Arbeiter waren katastrophal, die Gewerkschaften standen unter Druck, verloren Mitglieder, die Angriffe des Kapitals auf die Errungenschaften der Weimarer Republik wurden stärker.« Bei Gewerkschaften und SPD wuchs die Befürchtung vor unkontrollierbaren Aufständen und Chaos, wenn es keine Antwort auf die Wohnungskrise gebe.
Für ADGB und SPD sollte die GEHAG mehr als ein Wohnungsunternehmen werden. Sie sollte ein Schritt auf dem Weg zum Sozialismus sein. Dazu Reinhard Wenzel: »Es war eine Sozialisierung ohne Enteignung. Durch Gründung gemeinwirtschaftlicher Betriebe sollten konkurrenzfähige Betriebe aufgebaut, die kapitalistischen Betriebe niedergerungen und so Schritt für Schritt der Kapitalismus überwunden werden.«
Die Bedingungen schienen günstig, das in Berlin zu realisieren. Zum einen ermöglichten die Bauhütten-Betriebe, die aus der Arbeitslosen-Not geborenen Selbsthilfeorganisationen der Bauarbeiter, kostengünstiges Bauen. Gleichzeitig betrieb das Berliner Stadtparlament eine aktive Förderung des gemeinnützigen Wohnungsbaus. 1921 wurde mit den Stimmen von SPD, USPD und KPD eine, wie es im Beschluss vom 10. Mai heißt, »vorausschauende Bodenvorratswirtschaft« für »größere Siedlungskomplexe« mit »Kleinwohnungen« für die »minderbemittelte Bevölkerung« auf den Weg gebracht. Treibende Kraft war Baustadtrat Martin Wagner, ein durchsetzungsstarker Mann mit klaren Vorstellungen vom Großsiedlungsbau, der »auch schon mal ohne Baugenehmigung baute« (Wenzel). Auf Betreiben von Wagner wurde 1924 republikweit die Hauszinssteuer eingeführt, eine Abgabe für Besitzer von Altbauten.
Die Erfolge der ersten Jahre schienen diesen Überlegungen recht zu geben. Die GEHAG und ihr Hausarchitekt Bruno Taut bauten mit großzügigen, lichtdurchfluteten Siedlungen Alternativen zu der düsteren Mietskasernenwelt des Kapitalismus und legten damit den Grundstein für den Mythos des »Neuen Bauens«, der den Blick auf das Berlin jener Jahre bis heute prägt.
Von den ursprünglichen Zielen der Bekämpfung der Wohnungslosigkeit aber blieb man weit entfernt. Von den knapp 200 000 in den 1920er Jahren in Berlin erbauten Wohnungen schuf die GEHAG gerade mal 10 000. Und in den Wohnungen wohnten auch nicht die »minderbemittelten Volksklassen.« Es zogen in großer Zahl Facharbeiter, Angestellte und Beamte aus dem klassischen SPD-Milieu ein.
Der Aufstieg der GEHAG währte sieben Jahre und endete, als die Regierung Brüning 1931 die Hauszinssteuer abschaffte und die Wohnungsförderung zurückfuhr. Die Bautätigkeit der GEHAG kam zum Erliegen. Wenzel: »Das ist das grundsätzliche Dilemma des sozialen Wohnungsbaus. Er ist von politischen Konstellationen abhängig. Ändert sich die Politik, ist auch der Wohnungsbau schnell am Ende.«
Als schließlich 1933 die Nazis die Gewerkschaften enteigneten und die GEHAG in die Deutsche Arbeitsfront DAF eingliederten, war vom vielversprechenden Aufbruch der Anfangsjahre kaum noch etwas übriggeblieben.
Nach 1945 wiederholte sich die Geschichte vom Aufstieg und Fall der GEHAG in erschreckender Weise. Dabei begann es auch dieses Mal vielversprechend. 1952 war die Reorganisation der GEHAG im Westteil Berlins abgeschlossen. (Im Ostteil wurden die Bestände von der Kommunalen Wohnraumverwaltung übernommen). Statt Aufsehen erregender Einzelsiedlungen eines Bruno Taut setzte man nun auf Masse und leistete so einen erheblichen Beitrag zur Bekämpfung der Nachkriegswohnungsnot. Mit Mitteln des sozialen Wohnungsbaus stieg die GEHAG auf zu einem der großen gemeinnützigen Wohnungsunternehmen in Westberlin.
Der Boom endete abrupt Anfang der 1990er, als sich der Staat aus der Wohnungsförderung zurückzog und einen Großteil des gemeinnützigen Wohnungsbestandes verkaufte. Es begann die Zeit der »Heuschrecken«, wie auch Karl-Heinz Peters, langjähriger Vorstandsvorsitzender der GEHAG und unermüdlicher Kämpfer für die Gemeinnützigkeit, diese renditehungrigen Anlegertrusts bezeichnete. Am 26. November 1998 verkaufte der Senat 75 Prozent der GEHAG und Peters konstatierte in einem Nachruf resigniert: »Die GEHAG ist mit 74 Jahren verstorben.«
Heute gehört ein großer Teil der früheren GEHAG-Wohnungen dem Immobiliengiganten Deutsche Wohnen/Vonovia. Der schmückt sich auf seiner Webseite mit den hellen, luftigen Bauten des Bruno Taut, die die GEHAG in den 20ern errichtete und von denen sechs inzwischen Unesco-Weltkulturerbe sind. Die 1998 von der Deutschen Bank AG gegründete Deutsche Wohnen blicke »auf eine lange Historie« zurück und stehe in der Tradition der »Schaffenskraft ihrer Vorgängerunternehmen«. Von den gewerkschaftlichen Wurzeln und den Hoffnungen der Arbeiterbewegung auf eine selbstverwaltete und gemeinwirtschaftliche Alternative im und zum Kapitalismus, die damit verbunden waren, ist dort nichts mehr zu lesen.
Lesen Sie am Dienstag, 9. April in »nd.DerTag«: Wohnen im Weltkulturerbe – die Wohnstadt Carl Legien
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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