Israel: Gegenwind für Netanjahu

US-Regierung geht auf Distanz zu Israels Regierung

  • Oliver Eberhardt
  • Lesedauer: 5 Min.
Zehntausende protestieren mit den Familien der Geiseln in Tel Aviv gegen Israels Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu.
Zehntausende protestieren mit den Familien der Geiseln in Tel Aviv gegen Israels Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu.

Die Demonstranten sind zurück. War es vor einem Jahr die umstrittene Justizreform, die wochenlang die israelische Bevölkerung auf die Straßen trieben, ist es nun der Gaza-Krieg – oder vielmehr der Umgang der Regierung damit. Zwar erreichen die Teilnehmerzahlen längst noch nicht jene der Proteste gegen den Justizumbau, aber es werden von Mal zu Mal mehr.

Denn aus israelischer Sicht ist der Krieg sechs Monate nach dem Massaker an rund 1200 Menschen im Süden Israels in eine Sackgasse geraten. Die Befreiung der verbliebenen rund 100 Geiseln, die von Hamas und Islamischem Dschihad festgehalten werden, ist nach wie vor in weiter Ferne. Von einer vollständigen Zerstörung der beiden Organisationen spricht man kaum noch ernsthaft. Und international wird Israel nun als Paria gesehen: Die öffentliche Meinung hat sich von der anfänglichen Solidarität nach dem 7. Oktober 2023 vielfach zu kompletter Ablehnung gedreht.

Im September müsse Israel ein neues Parlament wählen, forderte Oppositionsführer Benny Gantz Mitte der Woche am Ende einer Rede und schloss sich damit als Letzter der Neuwahlforderung aller anderen Oppositionsparteien an. Der Unterschied: Die anderen würden am liebsten schon vor dem Sommer wählen. Doch Netanjahu und sein rechtskonservativer Likud weisen das alles von sich. Denn noch kann man auf eine stabile Koalition mit den ultrarechten Religiösen Zionisten und den beiden ultraorthodoxen Parteien bauen.

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Aber der Gegenwind erreicht auch international Orkanstärke. Vor allem US-Präsident Joe Biden, aber auch die Demokraten im Kongress gehen nun auf Distanz zu Netanjahu und seiner Regierung. Chuck Schumer, demokratischer Mehrheitsführer im Senat, forderte gar Neuwahlen in Israel.

Im Weißen Haus sucht man derweil nach einer Antwort auf die Situation: Die öffentliche Meinung in den Vereinigten Staaten wendet sich überwiegend gegen Israels Kriegsführung im Gazastreifen, und es sind vor allem potenzielle Wähler der Demokraten, die die schärfste Kritik äußern. Ein Kommentator des Nachrichtensenders CNN geht bereits davon aus, dass Gaza nicht nur Netanjahu, sondern auch Biden die Wiederwahl kosten könnte.

Aber was tun? In vielen westlichen Staaten liebäugeln Politiker mit dem Gedanken, die Zweistaatenlösung auch gegen den Willen Netanjahus zu forcieren, indem man Palästina als unabhängigen Staat anerkennt, es zum Vollmitglied bei den Vereinten Nationen macht. Die palästinensische Autonomieregierung, die de facto nur Teile des Westjordanlands kontrolliert, stellte Mitte der Woche einen entsprechenden Antrag bei der Uno.

Aber verändern würde das erst einmal nichts. Palästina wäre weiterhin besetzt, die Siedlungen wären immer noch da und der Gaza-Krieg ginge trotzdem weiter. Zudem zeigt sich nun sehr deutlich, dass auch die Hamas zerstritten ist. Vertreter der Regierung Katars, die zusammen mit Ägyptens Führung versucht, Waffenstillstände und Gefangenenaustausche auszuhandeln, beklagen, dass das, was sie mit der Führung des in Doha ansässigen Politbüros besprechen, viel zu oft letztlich scheitert, weil Yahya Sinwar, Gaza-Chef der Hamas, nicht mitspielen will.

Und längst zeichnet sich ab, dass nicht nur der Krieg selbst ein Problem ist, sondern auch die Zeit danach. Ein Bericht der Weltbank beziffert die Höhe der Kriegsschäden auf rund 18,5 Milliarden Dollar. Nicht einberechnet sind die marode Infrastruktur und die Schäden aus den vorangegangenen Kriegen, die nie vollständig beseitigt wurden.

Dass das so ist, lag zum einen an den strengen Einfuhrkontrollen für Baumaterialien, die Israel und Ägypten über viele Jahre durchsetzten. Es lag aber auch daran, dass das knappe verfügbare Material von der Hamas-Regierung zum Bau von Tunneln und Raketen eingesetzt wurde.

Und während der Gaza-Krieg noch in vollem Gange ist, bereitet sich die Region schon auf den nächsten Konflikt vor. Noch begnügen sich Israels Militär und die libanesische Hisbollah mit vereinzelten Schusswechseln, doch die Gefechte werden intensiver.

Im Hintergrund versucht man in Israel schon seit Monaten, Militär und Infrastruktur auf einen Kriegsausbruch im Norden vorzubereiten – mit eher mauen Ergebnissen. In einem Briefing für Politiker hatten Vertreter der Strom- und Wasserversorger keine guten Nachrichten: Im Falle eines Kriegsausbruchs müsste man vor allem Gaskraftwerke abschalten; lange Stromausfälle und wahrscheinlich auch eine regionale Trinkwasserknappheit wären die Folge. Der Grund: Die Hisbollah ist militärisch um einiges schlagkräftiger als die Hamas; zudem liegen wichtige Infrastruktur-Einrichtungen im Norden.

Israels Militär hat deshalb nun eine Urlaubssperre verhängt; außerdem sollen noch mehr Reservisten einberufen werden. Das Problem dabei: Sie fehlen dann am Arbeitsplatz, was wiederum die ohnehin schon schwer angeschlagene Wirtschaft weiter belasten wird.

Auch die libanesische Regierung möchte unbedingt einen Krieg verhindern. Ministerpräsident Nadschib Mikati appellierte mehrfach öffentlich an die Hisbollah-Führung, alles zu tun, um einen offenen Konflikt mit Israel zu vermeiden. Nach Angaben von libanesischen Regierungsmitarbeitern soll er auch mit dem iranischen Präsidenten Ebrahim Raisi telefoniert haben. Die iranischen Revolutionsgarden unterstützen die Hisbollah militärisch.

Doch Mikatis Möglichkeiten sind extrem begrenzt. Das Land befindet sich in einer sehr tiefen Wirtschaftskrise. Aber vor allem ist er nur übergangsweise im Amt und hat damit nur eingeschränkte Befugnisse. Der Libanon ist derzeit ohne Präsidenten, der einen neuen Regierungschef ernennen könnte. Zwölfmal hat das Parlament bisher versucht, den höchsten Posten des Landes zu besetzen.

Libanon, Israel und die palästinensischen Gebiete – die wirtschaftlichen und sozialen Folgen einer Ausweitung des Kriegs wären überall katastrophal. Und was in dieser Situation auffällt, ist die Abwesenheit von Versuchen der internationalen Gemeinschaft, die Konflikte auf diplomatischem Wege zu beseitigen: Anders als sonst gibt es keine ernstzunehmenden Vorschläge für Friedenskonferenzen, keine Lösungsansätze.

So mancher hofft nun auf einen US-Präsidenten Donald Trump und darauf, dass er, wie auch immer, neue Impulse für eine Lösung des Nahostkonflikts liefern wird. Aber er war es auch, der im Mai 2018 das Atomabkommen mit dem Iran aufkündigte und damit den Revolutionsgarden neuen Auftrieb gab.

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