Scheuer geht – ein schmerzlicher Verlust

Andreas Koristka weint dem früheren Verkehrsminister Andreas Scheuer eine letzte Träne nach

In diesen wechselhaften Zeiten kann man sich auf wenig verlassen. Die Krisen der letzten Jahre haben nicht nur am deutschen Urvertrauen gerüttelt, dass uns der Kapitalismus zeitlebens mit Toilettenpapier versorgen kann. Sie haben auch die Hoffnung gedämpft, dass Gerhard Schröders mäßigender Einfluss auf Wladimir Putin eine atomare Apokalypse verhindern könnte. Doch es gab eine Konstante, die Halt verlieh: Andi Scheuers Präsenz in der Bundespolitik. Der heilige Proporz der CSU hatte den Niederbayer einst in das Verkehrsministerium gespült. Dies war der beste Ort für den Visionär und seine hehren politischen Überzeugungen.

Scheuer machte nie einen Hehl aus seiner Ansicht, das Wohlergehen Deutschlands sei fest an die Bedingung gekoppelt, dass sämtliche Innenstädte mit E-Scootern vollgeschissen werden müssen. Denn nur ein Volk, das dazu gezwungen ist, bei jedem Gang zum Supermarkt E-Scootern auszuweichen, über E-Scooter zu stolpern, E-Scooter aus bloßer Wut umzuschmeißen, zu bespucken, mit einem Vorschlaghammer auf sie einzuschlagen, sie mit Benzin zu übergießen und zu verbrennen, während man ihre Erfinder und Erbauer mit allerhand Flüchen direkt in die Hölle wünscht, erhält sich die geistige und körperliche Frische, um im marktwirtschaftlichen Wettbewerb mit anderen Völkern bestehen zu können.

Doch Andreas Scheuers Ideologie auf Elektro-Roller zu beschränken wäre falsch. Denn Flugtaxis sind für ihn ähnlich wichtig. Wenn man nämlich die E-Scooter durch die noch sperrigeren Flugtaxis austauschen würde, könnte man die Gehwege noch besser unpassierbar machen. Dies käme Scheuers Utopie einer besseren Welt entgegen, in der man keine zwei Meter mehr auf dem Gehweg laufen kann.

Man muss Scheuers Grundüberzeugungen nicht teilen. Aber mit der Beharrlichkeit, mit der er für seine Ideen stritt, hob er sich wohltuend von einer Politkaste ab, die nicht mehr für ihre eigenen Werte einsteht, sondern sich von der Industrie und ihren Lobbyisten irgendwelche Flitze in den Kopf setzen lässt.

Andreas Koristka

Andreas Koristka ist Redakteur der Satirezeitschrift »Eulenspiegel«. Für »nd.DieWoche« schreibt er alle zwei Wochen die Kolumne »Betreutes Lesen«. Alle Texte unter dasnd.de/koristka.

Umso schmerzlicher ist es, dass Andi Scheuer nun auf eigenen Wunsch vorzeitig aus dem Bundestag ausscheidet, um als Unternehmensberater zu arbeiten. Die deutsche Politik verliert einen echten Charakterkopf mit Hornbrille. Glücklich wird hingegen die Firma sein, die sich von ihm beraten lässt. Denn Scheuer kann seine ganze Expertise einsetzen, um jede Firma gewaltig nach vorne zu bumsen, wenn es nicht gerade die Autobahn GmbH ist.

Allein durch seinen modischen Geschmack, geprägt vom Voralpen-Chic, kann er jeden Mitarbeiter gut aussehen lassen. Außerdem kann er Angestellten erklären, wie man sich einen Kaffee bringen lässt und wie man Verkehrsministern Vorverträge in Höhe von 243 Millionen Euro aufschwatzen kann. Diese Fähigkeiten sind nicht unerheblich für den Erfolg eines Unternehmens.

Für die einfachen Menschen da draußen bleibt nur die Trauer, einen wie Scheuer verloren zu haben. Der einzige Trost: Wir haben ja Volker Wissing. Aber wie lange noch?

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