• Politik
  • 75 Jahre Tarifvertragsgesetz

DGB: Sozialpartnerschaft statt Klassenkampf

Schon vor der Gründung der Bundesrepublik regelten britische und US-Besatzer das Verhältnis von Kapital und Arbeit in der BRD

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 3 Min.

Wirtschaftlich stand Westdeutschland nach dem Zweiten Weltkrieg vor dem Nichts. Zwar war die ökonomische Basis trotz erheblicher Kriegsschäden weitgehend intakt, doch es fehlten zunächst als Schmiermittel eine harte Währung und auch wichtige politische Rahmenbedingungen. Die Alliierten stritten, ob und wie die deutsche Wirtschaft angekurbelt werden sollte. Geradezu berüchtigt ist bis heute der Morgenthau-Plan, der eine Deindustrialisierung anstrebte. US-Finanzminister Henry Morgenthau wollte – wie auch linke Ökonomen in den alliierten Militärverwaltungen für Deutschland – das Großkapital zerschlagen und verhindern, dass Deutschland je wieder einen Angriffskrieg führen könne.

Gegen diesen Plan machte der britische Premier Winston Churchill mobil: Deutschland müsse man »fett, aber impotent« machen, so dessen Losung. Großbritannien war durch den Krieg bei den USA hoch verschuldet, und Churchill sorgte sich um die Kosten der britische Besatzungszone. Doch der heraufziehende Kalte Krieg mit der Sowjetunion ließ US-Amerikaner und Briten zusammenrücken: Im Juni 1948 folgte in den Westzonen die Währungsreform, mit der die neue Deutsche Mark die alte inflationäre Reichsmark ablöste. Und im Mai 1949 wurde mit der Unterzeichnung des Grundgesetzes in Bonn die Bundesrepublik Deutschland gegründet.

Noch vorher war mit dem Tarifvertragsgesetz am 9. April 1949 die Basis einer korporatistischen Volkswirtschaft geschaffen worden. Beschlossen vom Wirtschaftsrat der britischen und US-amerikanischen Besatzungszone, galt das Gesetz aufgrund von Artikel 123 des Grundgesetzes in der BRD fort. Erst 1953 wurde es auf das ehemalige Gebiet der französischen Besatzungszone ausgedehnt. »Seitdem vollzieht sich das Tarifgeschehen in der Bundesrepublik in dem durch dieses Gesetz gesteckten Rahmen«, hebt die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung anlässlich des 75-jährigen Jubiläums die maßgebende Bedeutung des Gesetzes hervor.

Indes hatten sich die Gewerkschaften seinerzeit mit ihrer Forderung nach einer grundlegenden Umgestaltung der Wirtschaftsordnung nicht durchsetzen können. Einig waren sich Alliierte, Parteien, Unternehmer und eben die Gewerkschaften aber über die Wiederherstellung eines »freiheitlichen Tarifsystems«. Die britische Verwaltung setzte zudem die Möglichkeit eines Eingreifens des Staates in das Tarifgeschehen durch, etwa indem dieser einen Tarifvertrag für alle Unternehmen einer Branche allgemeinverbindlich erklären kann.

Die Zustimmung der Gewerkschaften und des damaligen DGB-Vorsitzenden Hans Böckler basierte auch auf der Erwartung, dass in der ersten Wahl zum Bundestag die SPD gewinnen würde. Dann könne man die Frage um das künftige Wirtschaftssystem »zwischen zwei Ideologien« neu stellen, wie es Böckler formulierte. Es kam bekanntlich anders: Konrad Adenauer (CDU) gewann die Wahl, und Ludwig Erhard bestimmte bis 1963 als Minister den wirtschaftspolitischen Kurs.

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In seiner Substanz stellte das Tarifvertragsgesetz eine Melange aus britischem und US-Arbeitsrecht dar. Damit die westdeutsche Wirtschaft »fett« werde, flossen zudem die schlechten Erfahrungen mit den politischen Richtungsgewerkschaften der Weimarer Republik mit ein. So erhielten parteiübergreifende Industriegewerkschaften eine starke Stellung. Entgegen der (linken) Idee einer zentralen Gewerkschaftsorganisation, die geschlossen dem Kapital entgegentritt, sollte es bald mit dem DGB einen Dachverband geben. Sozialpartnerschaft statt Klassenkampf war mehrheitsfähig.

Das Tarifvertragsgesetz umfasst nur 15 Paragrafen. Vertragsparteien sind demnach Gewerkschaften, einzelne Arbeitgeber sowie Arbeitgebervereinigungen und Handwerksinnungen. Die historische Bedeutung des Gesetzes zeigte die Welle an Tarifauseinandersetzungen, die nach Inkrafttreten über die junge Republik rollte und die westdeutsche Arbeitswelt prägte. Trotz deutlicher Gehaltssteigerungen blieben die Arbeitseinkommen deutlich hinter den Gewinneinkommen zurück, die Lohnquote sank in den 50er Jahren von rund 65 auf 60 Prozent. Viele Gewerkschafter überraschte es obendrein, dass in der Praxis auch Millionen Nichtmitglieder von den Tarifverträgen profitierten. Das erschwert es Gewerkschaften bis heute, genügend Mitglieder zu gewinnen.

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