Frankreich kürzt bei Sozialausgaben

Die Regierung Emmanuel Macrons verschärft Regelungen für Arbeitslose und Kranke

  • Ralf Klingsieck
  • Lesedauer: 4 Min.

Im vergangenen Jahr fehlten in Frankreich aufgrund der stagnierenden Konjunktur auf der Einnahmeseite 21 Milliarden Euro an Steuern und Sozialabgaben. Jetzt soll in derselben Größenordnung auf der Ausgabenseite gestrichen werden. Präsident Emmanuel Macron und seine Regierung lehnen
Steuererhöhungen oder Sonderabgaben für Konzerne mit Superprofiten prinzipiell ab. Darum konzentrieren sich die Sparpläne auf die Sozialausgaben und gehen zu Lasten der schwächsten Franzosen. Priorität hat für Premierminister Gabriel Attal eine Reform der Arbeitslosenversicherung. Es ist bereits die dritte Reform seit dem Amtsantritt von Macron 2017.

Bei 5,1 Millionen Beschäftigungslosen liegt die Arbeitslosenrate, die 2017 9,5 Prozent betrug, gegenwärtig bei 7,5 Prozent. Auch wenn das immer noch deutlich mehr ist als der EU-Durchschnitt von 5,9 Prozent, sei es für Frankreich der niedrigste Stand seit 40 Jahren, betont die Regierung. Sie verweist auf 2,4 Millionen neu geschaffene Arbeitsplätze seit 2017.

Die Beschäftigungslosen kosten die Arbeitslosenversicherung und den Staatshaushalt pro Jahr rund 45 Milliarden Euro. Hier sieht die Regierung Sparpotenzial. So ist geplant, den Zeitraum für die Zahlung von Arbeitslosengeld von heute 18 auf künftig zwölf Monate zu kürzen und auch die Höhe der auszuzahlenden Hilfe zu reduzieren. Ferner soll die Dauer der Einzahlung in die Arbeitslosenversicherung, bis man dort Anspruch auf eine Zahlung erworben hat, um mehrere Monate verlängert werden.

Durch diese Art von Maßnahmen sollen Beschäftigungslose mit aller Macht in Arbeitsverhältnisse gedrängt werden. Auch wenn diese weit abseits von ihrer Qualifikation liegen. So hofft man die rund 100 000 Arbeitsplätze zu besetzen, die seit Jahren im Bauwesen oder in der Hotellerie- und Gastronomiebranche offen sind. »Wenn es nach Premier Attal ginge, müsste ein Ingenieur, der älter als 50 ist und keinen Arbeitsplatz findet, der seiner Qualifikation entspricht, einen Job als Tellerwäscher in einem Restaurant akzeptieren«, empört sich François Hommeril, Präsident der Angestellten- und Führungskräftegewerkschaft CFE-CGC.

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Sparmaßnahmen im Gesundheitswesen

Außerdem plant die Regierung eine Reihe von Sparmaßnahmen im Gesundheitswesen. So soll in der Privatwirtschaft ein »Karenztag« eingeführt werden, an dem bei Krankschreibungen weder ein Krankengeld durch die Krankenversicherung noch ein Tagegeld durch das Unternehmen gezahlt wird. Im Öffentlichen Dienst existiert dieser Tag schon seit Langem. Die Gewerkschaften lehnen den Plan strikt ab, »schon aus Gründen der öffentlichen Gesundheit«, wie die CFDT-Nationalsekretärin Florence Puget betont. »Wenn beispielsweise ein ansteckend Kranker zur Arbeit geht, um Lohnverlust zu vermeiden, gefährdet er nicht nur sich, sondern auch seine Kollegen oder andere Menschen,« begründet sie ihre Haltung.

Weiterhin soll Zusatzpersonal eingestellt werden, um »Sozialhilfebetrüger« oder Ärzte aufzuspüren, die Krankschreibungen aus Gefälligkeit ausgeben. Bereits 2023 wurde die »Schutzgebühr«, die auf Medikamentenpackungen erhoben und weder von der Krankenkasse noch von den Zusatzkassen erstattet wird, von 50 Eurocent auf einen Euro verdoppelt. Sie soll Patienten zu einem sparsamen Umgang anhalten. Jetzt soll noch eine Strafgebühr für jeden Arzttermin eingeführt werden, den ein Patient erhalten, aber nicht wahrgenommen hat. Geplant ist eine Strafe von zehn Euro, von denen je fünf Euro an den Arzt und an die Krankenkasse gehen. All diese Pläne zeugen von einer neuerlichen neoliberalen Kursänderung der Wirtschaft- und Sozialpolitik. Gewerkschaften und linke Parteien laufen Sturm dagegen, aber auch bei der rechten Opposition und im Regierungslager regen sich Bedenken.

Umsetzung ohne Parlamentsvotum

Für die Arbeitslosenreform fehlt eine Mehrheit im Parlament. Premier Attal will sie deshalb per Regierungsdekret und somit ohne ein parlamentarisches Votum durchsetzen. Damit die Widerstände nicht Ausmaße ähnlich der Rentenreform 2023 annehmen, stellt Attal eine Arbeitsgruppe in Aussicht. Diese soll prüfen, ob Unternehmen mit inflationsbedingten Superprofiten mit einer Sonderabgabe belegt werden sollten. Dabei geht es vorrangig um Energiekonzerne, die von der durch den Ukraine-Krieg ausgelösten Krise profitieren.

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