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70 Prozent mehr europaweite Fahndungen
Staaten müssen neue Verordnung für Schengener Informationssystem umsetzen
Die Zahl der Einträge im Schengener Informationssystem (SIS) ist im Vergleich zum Vorjahr um rund 70 Prozent angestiegen. Das hat das Bundesinnenministerium bereits vor einigen Wochen in der Antwort auf eine Kleine Anfrage der BSW-Gruppe im Bundestag beauskunftet. Grund dafür ist eine Neufassung des Grenzkodex von 2018, die nun verpflichtend umgesetzt werden muss. Nun liefert das SPD-geführte Innenministerium weitere Details.
Das SIS ist das größte EU-Fahndungssystem, an das auch die Schengen-Staaten Schweiz, Norwegen, Island und Liechtenstein angeschlossen sind. Möglich ist die Ausschreibung von Personen oder Sachen durch Polizeien oder Geheimdienste. Gemäß dem neuen Grenzkodex dürfen jetzt allein in Deutschland 2000 weitere Bundes-, Landes- und Kommunalbehörden die Datenbank nutzen.
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Zur Verhinderung der Wiedereinreise abgelehnter Asylsuchender speichern auch Ausländerbehörden Personen im SIS. Diese Einträge nach Artikel 24 des Schengener Grenzkodex bilden die größte Anzahl aller deutschen Fahndungen im SIS. Das teilte das SPD-geführte Ministerium auf Nachfrage des BSW-Abgeordneten Andrej Hunko mit. Diese Antwort liegt dem »nd« vor. Demnach haben sich die deutschen Artikel-24-Fahndungen im vergangenen Jahr um rund ein Sechstel auf 70 432 erhöht.
An zweiter Stelle der Zahlen im SIS steht die Kategorie »Rückkehrentscheidung«, die ebenfalls Asylsuchende betrifft, nachdem ihr Antrag negativ beschieden wurde. Gemäß dem neuen Grenzkodex müssen diese Entscheidungen jetzt von allen Schengen-Staaten verpflichtend im SIS gespeichert werden. Auch viele der rund 24 000 SIS-Ausschreibungen zur Aufenthaltsermittlung für Justizbehörden, etwa wenn Schriftstücke zugestellt werden sollen, betreffen vermutlich Asylsuchende.
Die im SIS hinterlegten EU-Haftbefehle haben im Vergleich zum Vorjahr gleichfalls leicht zugenommen, diese Zahl liegt nun bei 6316. Neu ist die Kategorie »schutzbedürftige Minderjährige«, wozu deutsche Behörden 752 Personen eingetragen haben. Diese sollen zu ihrem eigenen Schutz am Reisen gehindert werden, etwa wenn wenn eine Entführung droht oder die Gefahr bestünde, dass sie Opfer von Menschenhandel, einer erzwungenen Eheschließung oder von Genitalverstümmelung werden.
Die ebenfalls neue Kategorie »schutzbedürftige Erwachsene« gibt die Bundesregierung bislang mit null an. Einen leichten Rückgang auf 5603 Personen gab es indes bei der Suche nach vermissten Minderjährigen.
Deutsche Polizeibehörden fahnden mithilfe des Artikels 36 im SIS-Grenzkodex weiterhin nach rund 4000 Personen zur verdeckten Kontrolle, die Betroffenen werden dabei ohne ihr Wissen an die ausschreibende Stelle gemeldet. Um die Hälfte auf fast 1500 angestiegen sind Einträge für gezielte Kontrollen, zu deren Anlass die Beamten beim Antreffen der Person auch ihr Gepäck durchsuchen und die Erkenntnisse an die ausschreibende Polizei oder den Verfassungsschutz weitergeben soll.
Ebenfalls neu ist die Kategorie »unbekannte gesuchte Person«, wozu deutsche Behörden aber noch keinen Eintrag vorgenommen haben. Die Mitgliedstaaten können dazu Fingerabdruck- oder Handflächenabdruckdaten mutmaßlicher Täter zur Fahndung ausschreiben, wenn diese nach terroristischen oder schweren Straftaten gefunden wurden. Tauchen die Spuren anderswo auf, erhält die Behörde eine Nachricht. Deutsche Stellen haben diese Funktion jedoch im vergangenen Jahr noch nicht genutzt.
»Der massive Anstieg europaweiter Fahndungen zeigt, dass sich die Befürchtungen im Zusammenhang mit der Reform des Schengener Informationssystems bewahrheitet haben«, sagt der Fragesteller Hunko zum »nd«. EU-weit hätten nun unzählige Behörden Zugriff auf eine noch größere Sammlung sensibler Daten, für deren rechtmäßige Verwendung niemand garantieren könne.
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