Starker Maler, schwacher Mensch

Eine Ausstellung, gerade in Hamburg zu sehen, lässt den spanischen Maler Ignacio Zuloaga wiederentdecken

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: 6 Min.
Lauernder Blick der Pariser Salondame: Ignacio Zuloaga, »Porträt der Gräfin Mathieu de Noailles«, Öl auf Leinwand, 1913
Lauernder Blick der Pariser Salondame: Ignacio Zuloaga, »Porträt der Gräfin Mathieu de Noailles«, Öl auf Leinwand, 1913

Kann Kunst erst für Aufsehen sorgen und wie nie dagewesen aus dem Bewusstsein der Öffentlichkeit verschwinden? Das Beispiel des spanischen Malers Ignacio Zuloagas gibt da zu denken – letztlich über die Frage nach dem Verhältnis von Kunst und Macht. Anfang des 20. Jahrhunderts gilt Zuloaga, der lange in Paris lebte und arbeitete, als ebenso großes künstlerisches Ereignis wie Pablo Picasso, der andere Spanier in Paris.

In Deutschland zeigt ihn im Jahr 1900 der Berliner Kunstsalon Schulte, wo Rainer Maria Rilke seine Bilder entdeckt. Er ist von ihnen so ergriffen, dass er ihn zwei Jahre später, als in Paris sein Buch über den Bildhauer Auguste Rodin schreibt, unbedingt treffen will. Er notiert: »Er war neben Rodin der der einzige Mensch, mit dem ich mich während des Pariser Aufenthalts tief und lange berührte und dessen Wichtigkeit und Wert ich fühle und sagen kann.« Er beschließt sogar, eine Monographie über den merkwürdigen Spanier zu verfassen (die dann ungeschrieben bleibt).

Bis zu Ersten Weltkrieg wächst Zuloagas Ruhm rasant, dann lässt die internationale Wirkung nach. Die erste große Ausstellung seiner Bilder wurde in Spanien erst wieder 2019 gezeigt. Hierzulande ist die nun in Hamburg (und zuvor in München) gezeigte umfangreiche Ausstellung »Mythos Spanien. Ignacio Zuloaga« – mit über achtzig Gemälden, Leihgaben aus aller Welt, die erste seit über hundert Jahren.

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Wie konnte der einst so Bekannte zum großen Unbekannten werden? Sieht man die Ausstellung, zeigt sich nach und nach das Problem, das sich mit diesem zweifellos großen Künstler verbindet. Naheliegenderweise sieht sich Zuloaga in der Tradition von El Greco, Velázquez und Goya. Seine Themen: der spanische Katholizismus, den er hasst und gegen den er eine Art mystischer Volksfrömmigkeit setzt, der Stierkampf als Folklore und blutiger Ernst zugleich, das Mysterium Frau (nur seine Cousinen, die er häufig malt, dürfen ohne Hintersinn lachen) und natürlich die Figur des traurigen Ritters Don Quijote.

All das gehört zum Mythos Spanien, der titelgebend für diese von Nerina Santorius und Carlos Alonso Pérez-Fajardo kuratierte Ausstellung wurde. Damit ist nach der Macht von Tradition im Verhältnis zur traditionslosen Gegenwart gefragt – und der künstlerischen Mittel, diesen Widerspruch sichtbar zu machen.

Als Zuloaga 1900 in Paris gefeiert wird, lehnt eine spanische Jury sein Gemälde »Am Vorabend der Corrida« (1898) für die Pariser Weltausstellung ab (der belgische Staat erwirbt es schließlich). Zuloagas Bilder, die aus der Tradition schöpfen, haben offensichtlich etwas, das die Traditionalisten verstößt, vielleicht sogar abstößt. Und Picasso? Der steckt gerade in seiner blauen Periode, zeigt in provokanter Monochromatik das Elend der Bettler, die Hoffnungslosigkeit der Liebe. Auch Picasso schöpft aus der spanischen Tradition, der Stierkampf etwa bleibt auch ihm ein lebenslanges Thema. Aber der Wille zur eigenen Form ist bei ihm der entscheidende Malantrieb. Zuloaga dagegen bleibt der Werktradition verhaftet, verfremdet sie jedoch auch wieder, zum Teil durch pathetische Überhöhung oder ironische Brechung, dann wieder durch farbige Hintergrundflächen, die bewusst antinaturalistisch wirken.

Hat sich der europaweit erfolgreiche Maler Zuloaga nicht entschlossen genug aus dem Dunstkreis des zurückgebliebenen Spaniens entfernt? Sein späteres Schicksal scheint diese These zu bestätigen. Darin ging es ihm ähnlich wie Francisco de Goya, der einerseits »Die Erschießung der Aufständischen« (1814) schafft und andererseits die Macht der Inquisition fürchtet, so sehr, dass er schutzsuchend die Familie von König Karl IV. malt. Auf dem Bild sehen König und Königin dann aus, so ein bissiger zeitgenössischer Kritiker, »wie ein Bäcker und seine Gemahlin nach einem Lotteriegewinn«. Verzweifelt signalisiert Goya so der Nachwelt, dass er eben doch kein bloßer Hofmaler sei. Lion Feuchtwanger hat über den schier unlösbaren Widerspruch zwischen Kunst und Macht seinen Goya-Roman geschrieben und Konrad Wolf – hinter sich das Trauma des »Kahlschlagplenums« der SED von 1965, das der Kunst die Freiheit auszutreiben versuchte – dreht darüber seinen immer noch hochaktuellen Goya-Film.

Auch Zuloaga ringt um Eigenständigkeit und Distanz zur herrschenden Tradition und zur Kirche. Zu entdecken gibt es viel in Bilderwelten Zuloagas. Fast schwarze Himmel und leuchtende Gesichter! Da sehen wir auf »Das Opfer der Fiesta« (1910) etwa einen Torero – nach seinem Kampf – in pittoresker Landschaft vorbeireiten. Seinen Speer hält er gesenkt, seinen Kopf auch. Der Schimmel, auf dem er sitzt, trottet mit geschlossenen Augen voran. Hellrotes Blut klebt am weißen Fell. Zieht da Cervantes' Don Qujote auf seiner Rosinante vorüber? Das Gesicht des müden Toreros scheint von verständnisloser Derbheit.

Wo habe ich dieses Gesicht nur schon gesehen? Gerade eben im Raum nebenan, auf dem Bild »Der Kardinal« (1912), wo ein Greis, der offenbar an nichts mehr zu denken imstande ist, in einem prächtigen roten Gewand, auf seinem Lehnstuhl sitzend, über eine Landschaft blickt, als säße er hier im Theater. Tatsächlich erfahre ich dann, dass Zuloaga hier sein immer gleiches Lieblingsmodell malte: einen alten, recht hässlichen Bauern.

Zuloaga also ist nicht ohne Hintersinn und bösen Witz. Doch da er seine Farben auf so ungewöhnliche Weise leuchten lassen kann, sogar dann noch, wenn er eher monochromatisch oder Ton in Ton malt (wie auf seinem Porträt des Philosophen Ortega y Gasset von 1917), wird er als Porträtmaler immer beliebter – und kann sich vor Aufträgen kaum retten. Gern möchte man von seinen »berühmten« Porträts sprechen, aber seit über hundert Jahren waren diese nicht mehr in Ausstellungen zu sehen. So auch das »Porträt der Dona Rosita Gutiérrez« (1914/15), einer in Würde erstarrten Alten mit schwarzem Kleid und Fächer, das das Museum in Bilbao 1915 in dem Glauben ankaufte, es handele sie hier um eine adlige Dame. In Wirklichkeit jedoch stellt es eine altgewordene spanische Prostituierte und Bordellbesitzerin in Paris dar.

Der Erfolg seiner Porträts lag wohl auch in einer Stilisierung, die etwas Manieristisches hat. Oberflächliche Ähnlichkeit interessiere ihn nicht, sagte er einmal, dafür gäbe es die Fotografie. Auch von Anna de Noailles gibt es ein prachtvolles Gemälde aus dem Jahre 1913, jedenfalls auf den ersten Blick. Die berühmt-berüchtigte Pariser Salondame liegt ausgestreckt wie ein schönes Reptil in einer imaginären Sofa-Landschaft und schaut den Betrachter lauernd an. Ist er ein lohnendes Opfer? Rilke jedenfalls war ständig auf der Flucht vor den Nachstellungen der lärmigen und aufdringlichen Dame, die ständig Liebesgedichte (ihre eigenen) deklamierte.

Aber warum fiel Zuloaga so schlagartig ins Vergessen, oder sollte man sagen, wurde er ins Dunkel der Nichtbeachtung gestoßen? Auch darüber schweigt die Ausstellung nicht, denn es gehört zur Lebens- und Werkgeschichte des 1945 gestorbenen Malers. Der spanische Traditionalismus hatte ihn nach dem Ersten Weltkrieg radikalisiert und Zuloaga sich zu einem militanten Nationalisten entwickelt. Und während Picasso sein Bild »Guernica« als Anklage gegen die faschistische Gewalt malte, hatte Zuloaga das Pech, dass General Franco seine Bilder gefielen. So prallen in diesem Malerleben dann ästhetische und moralische Kategorien in der Beurteilung von Kunst aufeinander. Der Mensch versagt, aber seine Werke sind vielleicht klüger als er?

»Mythos Spanien. Ignacio Zuloaga 1870 – 1945«, bis zum 26. Mai, Bucerius Kunst Forum, Hamburg

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