Kein Requiem für die Sorben

Regisseurin Grit Lemke über gefährdete Heimat, sorbischen Widerstandsgeist und ihren neuen Film »Bei uns heißt sie Hanka«

Sorbische Identität ist für die Protagonisten in Grit Lemkes Film weit mehr als Feiertagstradition.
Sorbische Identität ist für die Protagonisten in Grit Lemkes Film weit mehr als Feiertagstradition.

Grit Lemke, Sie haben mit »Bei uns heißt sie Hanka« einen Dokumentarfilm über die sorbische Identität gedreht. Darin sagt der Schriftsteller Jurij Koch: Es grenzt an ein Wunder, dass wir uns 1600 Jahre gehalten haben. War das für Sie ein überraschender Gedanke?

Das war ein Grundmotiv, als ich mit dem Film angefangen habe. Ich hatte so etwas wie ein Requiem im Kopf, fast einen Film über das Sterben. In der Niederlausitz, anders als in der Oberlausitz, gibt es nicht mehr viele Muttersprachler. Die letzte Generation, für die Sorbisch eine Alltagssprache war, stirbt aus. Die sprechen ein Dorfsorbisch – teilweise auch Konsumsorbisch genannt –, das man nicht in der Schule lernt. Eine Mischung aus Deutsch und Niedersorbisch. Wir haben viel mit diesen alten Leuten gedreht, um zu sagen: Guckt euch das an, das ist bald verschwunden. Aber das kam dann nicht in den Film.

Der Film ist ganz und gar kein Requiem, er hat auch etwas Heiteres, Optimistisches.

Weil während der Arbeit daran viel Neues passierte. Dass sich junge Leute, wie die Künstlerin Hella, mit diesem Erbe, mit der Sprache beschäftigen und sich das auf ihre Weise aneignen. Da entsteht eine junge sorbische Subkultur, und das hat die Richtung des Films verändert. Irgendwann wusste ich: Das wird gar kein Requiem, sondern es geht weiter.

Interview

Grit Lemke, geboren 1965 in Spremberg in der Niederlausitz im südlichen Brandenburg, beschäftigt sich als Autorin und Dokumentarfilmerin immer wieder mit ihrer sorbisch geprägten Heimatregion. Unter anderem legte sie den Film »Gundermann Revier« und das Buch »Die Kinder von Hoy« (Hoyerswerda) vor. Sie arbeitete für das Dokumentarfilmfestival Leipzig und das Filmfestival Cottbus. An diesem Donnerstag kommt ihr Film »Bei uns heißt sie Hanka« in ausgewählte Kinos – eine Spurensuche nach Heimat und Identität.

Der Film beginnt mit einer langen Kamerafahrt über ein grünes Feld, bis im Hintergrund die riesigen Kühltürme eines Kraftwerks auftauchen. Damit ist ein Ton vorgegeben: die gefährdete Heimat in der Braunkohleregion, der Konflikt zwischen Natur und Arbeitsplätzen. Das gab und und gibt es auch in anderen Regionen, aber in der Lausitz hat das eine andere Dimension, denn es geht hier um die Existenz eines Volkes.

Mir geht es um die Frage, was da zu verschwinden droht. In Nordrhein-Westfalen oder im Saarland gab es auch Umbrüche wegen des Bergbaus, aber dort hat niemand seine Muttersprache, seine Kultur verloren. Da ging es um das Dorf, um den Hof, aber nicht um die ganze Heimat. Für die Sorben ist dieses dörfliche Umfeld die Heimat. Wenn das Dorf weg ist, ist die Dorfgemeinschaft weg, und dann geht nach der Umsiedlung die Sprache verloren.

Die Sorben sind von der Geschichte gleich mehrfach gebeutelt: durch die Unterdrückung und Verbote in der Nazizeit, durch Verlust von Kulturlandschaft wegen der Braunkohle, durch die Abwanderung vieler junger Leute nach der Wende 1989/90.

Die Sorben wurden seit mindestens 1000 Jahren unterdrückt. Nach der Ankunft der Deutschen in der Lausitz hat es keine 100 Jahre gedauert, bis die wendische Sprache das erste Mal verboten wurde. Das hat nicht erst im Nationalsozialismus angefangen. Da spielte auch die Kirche ein Rolle. Luther war ein Sorbenhasser, er bezeichnete sie mal als die schlechteste aller Nationen. In Preußen wurden die Sorben wirklich unterdrückt, in Sachsen nicht. Was vielleicht auch damit zu tun hatte, dass der sächsische König auch König von Polen war. Die Preußen haben das Sorbische nie toleriert, das war eine Germanisierung mit voller Härte. Selbst in den Anfängen der DDR, in den 50er Jahren, hat die evangelische Kirche sorbische Pfarrer aus der Lausitz ausgewiesen und anderswohin versetzt.

Der Film erzählt vor allem von Hanka, die eigentlich Anna heißt, eine junge Frau, die Jura studiert, einen Sorben heiratet, seine Sprache lernt. Ist das eine typische Geschichte oder eher die Ausnahme, das Besondere, das Sie zeigen wollen?

Es gibt eine gewisse Renaissance. Hanka kommt in diese sorbische Familie, lebt dort, da lernt man die Sprache. Wie soll das auch sonst gehen? Deshalb spricht sie kein Schulsorbisch, sondern den Dialekt dieser Gegend. Sie ist ein Beispiel dafür, dass da etwas nachwächst. Ich erzähle auch von jungen Sorben, die sich mit Antifaschismus beschäftigen, mit Feminismus. Es gibt sorbische Queerness, natürlich. Junge Sorbinnen und Sorben machen Musik, Filme, Kunst und nähern sich so ihrer Identität. Meine Protagonist*innen sind ein Teil davon.

Hankas Hochzeit zieht sich durch den ganzen Film. Das ist einerseits eine irre Party, andererseits von einer großen Würde getragen. Wieviel davon findet man im Alltag wieder?

Diese Hochzeit ist auch ein politisches Statement, mit diesem Bekenntnis zum Sorbischen. Dazu kommt, dass da Niedersorben und Obersorben gemeinsam gefeiert haben. Das ist ziemlich ungewöhnlich, denn es sind bei allen Gemeinsamkeiten zwei unterschiedliche Kulturen mit unterschiedlichen Sprachen. Die eine ist sehr protestantisch geprägt, die andere vor allem katholisch. Dieses Gemeinsame ist vielleicht Teil eines neuen Selbstbewusstseins. Was den Alltag betrifft, findet man das in der Oberlausitz eher wieder als in der Niederlausitz. Auf den ersten Blick könnte man meinen, da stirbt vieles ab. Aber wenn man genauer hinschaut, dann gibt es da doch etwas, dann ist da auch Zukunft.

Die Menschen in Ihrem Film geben viel Persönliches preis. Wie schafft man das in einer Zeit, in der jeder, der sich in die Öffentlichkeit begibt, mit Angriffen und Beschimpfungen rechnen muss?

Ich glaube, der Knackpunkt ist, dass der Film nicht aus einer deutschen Perspektive erzählt ist, sondern aus einer sorbischen. Ich bin seit vielen Jahren Teil dieser Community. Alle, die in dem Film zu sehen sind, kannte ich schon vorher, aus beruflichem und ehrenamtlichem Engagement zum Beispiel. Da ist Vertrauen entstanden. Auch Vertrauen darauf, dass es nicht der übliche Außenblick auf Sorben wird.

Sie meinen: kein exotischer Blick auf die Folklore?

Ja, denn das ist dann immer auch ein kolonialer Blick auf eine sogenannte Minderheit, die sich aber in Teilen heute als indigenes Volk versteht. Was auch wichtig ist: Wir haben mit den Leuten so gesprochen, wie ich normalerweise mit ihnen kommuniziere, teils sorbisch, teils deutsch. Da entsteht ein anderes Gespräch als das, was sie mit einem deutschen Team nur auf deutsch führen müssten.

Sie haben als Erwachsene Sorbisch gelernt. Wie hat das Ihren Blick auf die Heimat verändert?

Das hat mein ganzes Leben verändert. Ich merke, dass es vieles gibt, was ich nicht wusste, was aber mit mir zu tun hat. Ich verstehe den Kolonialismus besser, dem die Sorben lange ausgesetzt waren. Das Verhältnis zu einer Kultur ändert sich, wenn man die Sprache versteht und spricht. Man wechselt komplett die Perspektive. Und man merkt dann, wie präsent die Sprache ist, in Familiennamen, Ortsnamen, geografischen Bezeichnungen. Inzwischen meine ich, wenn die Lausitz eine zweisprachige Region sein soll, müsste jeder Mensch dort Sorbisch und Deutsch lernen.

Was bedeutet Heimat für Sie? Der Begriff ist ja politisch umstritten.

Der ist von den Rechten gekapert worden, aber er gehört ihnen nicht. Für mich ist er ein Gefäß, in das ich was hineintue. Er beschäftigt mich in meiner Arbeit schon sehr lange, als etwas Verletzliches, Fragiles, Bedrohtes. Seit meiner Kindheit erlebe ich, wie die Heimat zerstört wird. Dörfer werden abgebaggert, das Land ist weg. Eigentlich sollte Heimat Schutz geben, aber ich habe das Gefühl, dass ich meine Heimat schützen muss.

In Teilen der Linken wird der Heimatbegriff als konservativ oder reaktionär abgelehnt.

Das ist dumm. Denn damit spielt man den Rechten in die Tasche. Heimat ist eine anthropologische Konstante, jeder Mensch braucht sie. Man kann doch nicht Menschen, die aus Syrien oder der Ukraine kommen, deren Heimat im Krieg zerstört wurde, ernsthaft erzählen, dass Heimat ein faschistisches Konzept ist. Das ist zynisch und letztlich aus einer kolonialen Position gesprochen.

Im Film gibt es eine kurze Sequenz von einem rechten Aufmarsch in Cottbus, mit einem großen Banner »Unser Volk zuerst«. Wie beobachten die Sorben den Rechtstrend, das Erstarken der AfD, deren drohende Wahlerfolge in Sachsen und Brandenburg?

Die Stimmung in der Lausitz ist sorbenfeindlich und es ist kein Wunder, dass es gerade dort so viel Fremdenfeindlichkeit gibt. Der Fall der zwei jungen Brandenburger Lehrer, die sich gegen rechte Umtriebe an ihrer Schule wandten und letztlich die Region verlassen mussten, spielte sich in Burg ab, im Spreewald. Sorbische Jugendliche werden zusammengeschlagen, erst Ostern wieder, sorbische katholische Kreuze werden abgesägt, sorbische Straßenschilder mit Nazisymbolik überklebt. Immer nur die sorbischen Zeilen, nie die deutschen. Ich versuche den Zusammenhang zu zeigen zwischen sozialer Entwurzelung und einer Ablehnung alles Fremden. Sogar des Fremden in sich selbst. Und das gibt es, denn auch diejenigen Lausitzer, die sich als deutsch verstehen, haben ein slawisches Erbe. Man muss sich nur den Dialekt anhören, die Familiennamen ansehen. Wer das alles ablehnt, betreibt Selbstverleugnung, daraus wird Selbsthass und vielleicht auch Hass auf andere.

Was war bei der Arbeit an diesem Film die überraschendste Erkenntnis für Sie?

Es gab überraschende Erkenntnisse über die Deutschen. Von der ersten Sekunde an war dieser Film ein einziger Kampf, das kenne ich von anderen Projekten nicht derartig extrem, diese Borniertheit und Ignoranz. Da kann man schon wütend werden. Diese Wut trägt auch Ignac in sich, der Mann von Hanka, und mittlerweile kann ich ihn da gut verstehen.

Nach Ihrem Film über den Liedermacher Gerhard Gundermann und dem Buch » Kinder von Hoy« ist »Bei uns heißt sie Hanka« wieder eine Beschäftigung mit der Lausitz. Warum ist diese Region eine so reiche Quelle für immer neue Geschichten?

Weil sie alle großen Konflikten unserer Zeit in sich trägt. Die kann man da beobachten wie in einem Brennglas. Die ökologische Katastrophe, der Widerspruch zwischen Energiehunger und Zerstörung einer großartigen Natur, das haben wir in der Lausitz seit 100 Jahren. Dann die ethnische Frage, also ein deutscher Kolonialismus gegen ein indigenes Volk mit langer Tradition. Die großen Utopien des 20. Jahrhunderts und ihr Scheitern, die Wende mit all ihren erneuten Umbrüchen. Das alles findet man in der Lausitz in einem überschaubaren Rahmen.

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