Studie zweifelt an Widerstandsfähigkeit der Thüringer Demokratie

Verfassungsrechtler sieht wegen Björn Höcke hohen Handlungsdruck

  • Sebastian Haak
  • Lesedauer: 3 Min.
Dass Björn Höcke Ministerpräsident in Thüringen werden will, »macht die Sache schon noch mal besonders zugespitzt hier«, sagt Max Steinbeis vom »Thüringenprojekt«.
Dass Björn Höcke Ministerpräsident in Thüringen werden will, »macht die Sache schon noch mal besonders zugespitzt hier«, sagt Max Steinbeis vom »Thüringenprojekt«.

Aus Sicht von Wissenschaftlern ist die Thüringer Landesverfassung sehr anfällig für Versuche von Parteien wie der AfD, die Demokratie mit rechtsstaatlichen Mitteln zu untergraben – so wie das in Ungarn oder Polen geschehen ist. Bis zur Landtagswahl am 1. September sei noch Zeit, um zumindest einige gravierende Schwachstellen der bestehenden Regelungen in der Verfassung, aber etwa auch der Geschäftsordnung des Landtags zu beheben, sagte der Gründer des Verfassungsblogs, Maximilian Steinbeis, am Mittwoch in Erfurt.

Allerdings sei dazu schnelles Handeln all derer erforderlich, die die Demokratie in Thüringen resilienter machen wollten. »Das sind Veränderungen, die heute passieren müssen, weil es nach der Wahl möglicherweise zu spät sein wird.« Schnelles Handeln setze aber einen gemeinsamen politischen Willen der im Landtag vertretenen Parteien jenseits der AfD voraus. »Das Gefährlichste wäre, naiv und unvorbereitet in die Landtagswahl zu gehen«, sagte Steinbeis.

Wahljahr Ost

Das Wahljahr 2024 ist kein beliebiges. Schon lange nicht mehr war die Zukunft der Linken so ungewiss, noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik waren die politische Landschaft und die Wählerschaft so polarisiert, noch nie seit der NS-Zeit war eine rechtsextreme, in Teilen faschistische Partei so nah an der Macht. Wir schauen speziell auf Entwicklungen und Entscheidungen im Osten, die für ganz Deutschland von Bedeutung sind. Alle Texte unter dasnd.de/wahljahrost.

Im bundesweiten Vergleich ist die Thüringer Landesverfassung laut Steinbeis zwar nicht übermäßig anfällig für einen Missbrauch durch »autoritär-populistische Parteien« wie die AfD. »Ich bin mir sicher, dass wir verschiedene Sachen auch in anderen Landesverfassungen finden könnten.« Wegen der schwierigen politischen Mehrheitsverhältnisse in Thüringen, und weil an der Spitze des als rechtsextrem eingestuften Thüringer AfD-Landesverbandes Björn Höcke stehe, sei der Handlungsdruck im Freistaat jedoch höher als in anderen Bundesländern. »Das macht die Sache schon noch mal besonders zugespitzt hier.«

Der Verfassungsblog ist ein wissenschaftliches Fachforum, auf dem sich unter anderem Juristen und Politikwissenschaftler seit Jahren zu verschiedensten Themen rund um Verfassungen überall auf der Welt austauschen. Dort war vor etwa einem Jahr das »Thüringenprojekt« initiiert worden, bei dem unter anderem auch Nachwuchswissenschaftler am Beispiel des Freistaats untersuchten, wie eine autoritär-populistische Machtübernahme in Deutschland geschehen könnte.

Als autoritär-populistisch gelten Parteien nach der Definition des Thüringenprojektes dann, wenn sie versuchen, die Macht unter anderem mit der Erzählung zu gewinnen, es gebe ein »wahres Volk«, das von angeblich »korrupten Eliten« ausgebeutet wird.

Sollte die AfD bei der Thüringer Landtagswahl eine Sperrminorität – also mehr als ein Drittel der Sitze im Parlament in Erfurt – erringen, könnte sie nach der derzeitigen Rechtslage unter anderem die Wahl von Verfassungsrichtern blockieren, hieß es bei der Präsentation der Ergebnisse des Thüringenprojekts. Das sei deshalb problematisch, weil damit die Kontrolle des Regierungshandelns eingeschränkt werden könne. Problematisch sei zudem, dass sowohl der oberste Polizist Thüringens, der Polizeipräsident, als auch der Chef der Verfassungsschutzes als politische Beamte jederzeit ohne Angaben von Gründen in den einstweiligen Ruhestand geschickt werden könnten; also auch durch eine Landesregierung mit AfD-Beteiligung.

Um diese und einige andere Schwachstellen der derzeitigen Rechtslage zu beseitigen, haben die Macher des Thüringenprojekts insgesamt sieben Handlungsempfehlungen vorgelegt, die theoretisch noch vor der Landtagswahl umzusetzen wären. Beispielsweise schlagen sie vor, festzuschreiben, dass weder der Polizeipräsident noch der Verfassungsschutzchef politische Beamte sind und dass die Entscheidung über die Kündigung von Staatsverträgen vom Ministerpräsidenten an den Landtag übergeht.

Steinbeis selbst wollte keine Prognose dazu abgeben, für wie wahrscheinlich er es hält, dass die gemachten Vorschläge auch wirklich noch umgesetzt werden. Er wisse, dass die Zeit knapp sei. Bleibe es bei den bisherigen Regelungen, drohe dem Land aber eine Verfassungskrise, »die echt vermeidbar wäre«.

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