Rüstungskonzern profitiert von Geflüchtetenunterkünften in Berlin

Töchter des umstrittenen Unternehmens Serco betreiben Unterkünfte für Geflüchtete in der Hauptstadt – und sorgen für Kritik am Senat

Für Mutti, den Rüstungskonzern: Die European Homecare ist Deutschlands größter Betreiber von Flüchtlingsunterkünften.
Für Mutti, den Rüstungskonzern: Die European Homecare ist Deutschlands größter Betreiber von Flüchtlingsunterkünften.

Von Rüstung über Gefängnisse bis hin zu Abschiebeeinrichtungen – im Geschäftsmodell der global agierenden Serco Group hat so einiges Platz. Mit der European Homecare (EHC), einem Essener Sozialdienstleister, schluckte der umstrittene Konzern aus Großbritannien zuletzt den größten Betreiber von Geflüchtetenunterkünften in Deutschland. Weil Sercos Tochterfirmen auch in Berlin diverse Geflüchteteneinrichtungen unterhalten dürfen, gerät der schwarz-rote Senat nun unter Druck. In einer Schriftlichen Anfrage an den Senat hat die Linke-Abgeordnete Elif Eralp Auskunft über Sercos Aktivitäten verlangt. Die Antwort liegt »nd« vor Veröffentlichung vor.

»Serco ist ein Unternehmen ohne Skrupel, das Sprengköpfe fertigt und Waffen in die ganze Welt verschickt«, sagt Eralp, migrationspolitische Sprecherin der Linksfraktion. Es könne nicht sein, dass ein Rüstungskonzern mit dem Betrieb von Geflüchtetenunterkünften Geld verdient, während seine Waffen in ebenjenen Konflikten eingesetzt werden, die Menschen zur Flucht zwingen. »Hier wird aus menschlichem Leid maximal Profit geschlagen.«

Dabei sind es nicht einmal die Waffengeschäfte alleine, wegen denen Serco immer wieder in die Kritik gerät. Als Menschenrechtsorganisationen 2022 den Vereinten Nationen einen Bericht über schwere Misshandlungen in australischen Abschiebegefängnissen vorlegen, stehen Serco-Beschäftigte im Fokus. Als sich 2023 ein Geflüchteter in einem Waldstück seiner Unterkunft erhängt und erst nach drei Wochen gefunden wird, ist es die Serco Group, die das betroffene Flüchtlingsheim in Rheinland-Pfalz betreibt. Und auch in Dresden beklagt der Sächsische Flüchtlingsrat »menschenunwürdige Zustände« in einer Geflüchtetenunterkunft des Konzerns.

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Die Antwort des Berliner Senats zeigt: Neben der im Dezember 2023 übernommenen EHC ist mit der ORS Deutschland ein zweites Tochterunternehmen Sercos derzeit in Berlin tätig. Zwischen 2021 und 2024 wurde die ORS laut Senat mit dem Betrieb von insgesamt drei Gemeinschaftsunterkünften in Pankow und Steglitz-Zehlendorf beauftragt. Bemerkenswerterweise soll die Zusammenarbeit zum 1. Mai bereits wieder ihr Ende finden. Wie die Senatssozialverwaltung mitteilt, hat das zuständige Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) die Verträge mit der ORS vor Kurzem »außerordentlich gekündigt«. Die Gründe werden nicht genannt.

Die Abgeordnete Eralp begrüßt den Schritt. »Es ist gut, dass der Senat der Tochterfirma ORS außerordentlich gekündigt hat. Auch mit Blick auf die von Serco-Tochterfirmen betriebenen Geflüchtetenunterkünfte in anderen Bundesländern«, sagt die Linke-Politikerin. Nach den Hintergründen der Kündigung will sich Eralp weiter beim Senat erkundigen.

Was aber bleibt, ist das Engagement der EHC. Zwischen Mitte 2020 und Ende 2023 war das Unternehmen für zwei Gemeinschaftsunterkünfte und eine Aufnahmeeinrichtung in Berlin zuständig. Derzeit betreibt die EHC noch eine Aufnahmeeinrichtung am Kurt-Schumacher-Damm in Reinickendorf. »Auch der EHC muss unbedingt gekündigt werden«, fordert Eralp. Es sei jetzt am Senat, zu prüfen, wie die Zusammenarbeit mit dem Unternehmen beendet werden könne, ohne sich rechtlich angreifbar zu machen. »Soweit das rechtlich nicht möglich erscheint, sind unangekündigte Qualitätskontrollen in der EHC-betriebenen Geflüchteteneinrichtung am Schumacher Damm vorzunehmen.«

Der Senat sieht in der Beauftragung der Firma hingegen kein Problem. »Die EHC ist als mittelständisches Unternehmen auf soziale Dienstleistungen spezialisiert. Dem Senat ist nicht bekannt, dass es an der Rüstungsproduktion beteiligt ist oder den Betrieb von Einrichtungen zum Abschiebegewahrsam in anderen Bundesländern wahrnimmt«, teilt das Haus der Sozialsenatorin Cansel Kiziltepe (SPD) mit.

Doch auch ohne direkte Beteiligung an Waffengeschäften durch das Tochterunternehmen befürchtet Eralp gravierende Nachteile für die Menschen in den Unterkünften. Anders als bei »human arbeitenden Einrichtungen« wie der Awo oder der Volkssolidarität stünden bei rein profitorientierten Unternehmen grundlegend andere Einstellungskriterien im Vordergrund. Die Linke-Abgeordnete fordert deshalb: »Es sollten in Vergabeverfahren für den Betrieb von Geflüchtetenunterkünften ethische Standards und Kriterien gelten, die eine Vergabe an Rüstungskonzerne und deren Tochterfirmen verhindern.«

Ob sich derzeit weitere Unternehmen der Serco Group um den Betrieb von Flüchtlingunterkünften in Berlin bewerben, gibt die Sozialverwaltung mit Verweis auf eine mögliche Beeinträchtigung des fairen Wettbewerbs nicht bekannt. Der Betreibervertrag mit der EHC endet mit Ablauf des Jahres 2025.

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