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Solidarität bei G20-Verfahren: »Wir sind jeden Tag da«
Der Hamburger Punker Ale Dumbsky über die Unterstützung von Angeklagten im Hamburger G20-Verfahren
Ale, wie bist du zum SolidaritätsServiceTeam gekommen?
Die Geschichte läuft, seitdem der erste G20-Prozess losgegangen ist. Seitdem sind wir begleitend immer dabei. Die ursprüngliche Kerngruppe war eine etwas andere. Mit meiner Gruppe haben wir uns viel um russische Gefangene gekümmert. Ich weiß gar nicht, wann ich hier dazugestoßen bin, aber es hat sich ganz prächtig entwickelt.
Was wollt ihr erreichen?
Unsere Kundgebungen strahlen in drei Richtungen. Zum einen machen wir es für die Besucher. Wir wollen die Solidarität für Prozessbeobachter ein bisschen leichter machen, damit sie vielleicht jeden Tag kommen. Das ist auch für die Gefangenen super. Wir haben einen G20-Prozess begleitet, da war nur der erste Termin öffentlich, weil einer der Beschuldigten zur Tatzeit jugendlich war. Das heißt, die Öffentlichkeit war ausgesperrt. Und wir waren den ganzen Prozess über da, obwohl niemand rein konnte. Die Angeklagten haben in ihrer Prozesserklärung gesagt, wie wichtig das für sie war. Unsere Präsenz ist auch ein Signal ans Gericht, an die Richter und an die Staatsanwälte: Wir vergessen das nicht. Also wir sind jeden Prozesstag da. Glaubt mal nicht, dass wir unsere Gefangenen so ausfaden lassen. Wir sind nicht nur am Anfang und am Ende da. Sondern jeden Tag.
Ale Dumbsky spielte bei den Goldenen Zitronen und war 30 Jahre lang treibende Kraft beim Musiklabel Buback Tonträger. Inzwischen betreibt der Hamburger Punker einen kleinen Musikverlag. Er ist aktiv bei Anarchist Solidarity, die seit Kriegsbeginn ukrainische Geflüchtete aus Polen in die Hansestadt bringt.
Warum ist es dir persönlich wichtig, dazustehen und Support zu geben?
Das ist jetzt vielleicht ein bisschen kitschig, aber wenn du mal vorne gesessen hast, dann fühlt sich das ganz anders an, wenn der Raum hinter dir voll ist.
Du stehst mit einem kleinen blauen Fahrzeug vor dem Strafjustizgebäude. Was kann man damit machen?
Laut korrekter Beschreibung ist es ein sogenanntes Kastenmoped. Eine Ape, ein Dreirad, sehr schmal und sehr kurz, und du kommst damit überall durch. Es ist günstig und du kriegst echt viel rein. Ich nehme die auch als Lautsprecherwagen mit dicken Lautsprechern auf dem Dach. Der normale Lautsprecherwagen ist viel größer und viel schwerer. Und der muss dann meistens im ersten Gang fahren, was total nervig ist. Und die Ape schiebst du ganz einfach.
Eine Kaffeemaschine ginge auch rein?
Geht auch rein. Das ist auch so perspektivisch ein bisschen der Plan. Wir würden natürlich gerne eine Espressomaschine drinhaben. Die Maschine zieht aber ziemlich viel Strom. Bis jetzt ist die Ape komplett autark. Also das letzte Ding, was wir uns besorgt haben, sind der Tisch, wo der Kaffee draufsteht und die Keksdose. Es gibt noch zwei Arten Milch. Hafer und Soja. Es gibt auch zwei Arten Zucker. Weiß und braun. Und der Tisch hat natürlich eine Tischdecke. Damit die Tischdecke nicht wegweht, haben wir Metallanhänger. Ich wollte gerade sagen, es macht uns vielleicht auch ein bisschen weniger angreifbar durch die Polizei. Aber das stimmt nicht. Sie haben schon wirklich alles probiert, um uns zu schikanieren oder die Kundgebung unmöglich zu machen. Und irgendwann gab es einen neuen Gerichtspräsidenten. Der hat angeordnet, dass wir keine Transparente mehr an das Geländer am Gericht hängen dürfen. Es könnte sonst der Eindruck entstehen, dass das Gericht hinter den Forderungen auf dem Transparent steht. Aber ich sage mal so: Generationen kommen und gehen – und wir stehen da immer noch.
Jetzt begleitet ihr den Rondenbarg-Prozess, der bis August terminiert ist.
Rondenbarg ist speziell. Speziell deshalb, weil es der erste Prozess über das ist, was dort vor fast sieben Jahren beim G20-Protest passiert ist. Es gab so viele Verfahren, die erst abgearbeitet werden mussten. Wir haben schon gewitzelt, dass wir hier wahrscheinlich noch in zehn Jahren stehen, bis der letzte Rondenbarg-Prozess stattfindet. Die zweite Wahrnehmung ist, dass es kein einziges Verfahren gegen einen Polizeibeamten gab. Das ist jetzt, würde ich sagen, auch so ein bisschen in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Die Bilder hat jeder gesehen. Es ist schon sehr brutal gewesen in der eh schon brutalen Situation.
Staatsanwaltschaft und Gericht hätten das Verfahren ja auch gerne eingestellt.
Das kommt dazu. Erfreulicherweise sind die beiden verbliebenen Angeklagten ganz klar. Sie haben gesagt, dass dieser Prozess zu wichtig ist, für alles, was noch kommt. Wir erleben gerade eine richtig harte Repressionswelle, die immer weitergeht.
Gibt es Grenzen, oder unterstützt ihr alle?
Ich glaube, womit wir richtig Probleme haben, ist, wenn es wirklich um so autoritäre Tankies oder irgendwelche kommunistische Sekten geht. Weil wir das schon so lange machen, sind wir in der Wahrnehmung die Anarchisten, die wesentlich mehr gewuppt kriegen.
Was bedeutet es für dich, hier und heute Anarchist zu sein?
Es gibt auf der ganzen Welt drei hässliche, üble Gebäude. Das ist die Polizeiwache. Das ist das Gericht. Und das ist der Knast. Und bekannterweise ist das auf der ganzen Welt so, und ich halte das für zutiefst verabscheuungswürdig, sowohl was den menschlichen Umgang unter Menschen angeht, als auch was das vermeintliche Ziel ist. Resozialisierung ist schon an und für sich ein hässliches Wort. Und hier: Gleich um die Ecke ist auf der einen Straßenseite der Knast, auf der anderen ist die Messe. Das sagt sehr viel über die Pfeffersack-Stadt aus.
Hamburg ist in bestimmten Bereichen liberaler als andere Städte, Justiz und Polizei sind es, seit Ronald Schill 2001 Innensenator wurde, nicht mehr. Woher kommt das?
Generationen des Hamburger Bürgertums werden sich immer schämen, dass sie Schill gewählt haben. Das ist so abgefahren. Der Mann sitzt in der Favela in Brasilien und kokst. So was kann man sich nicht mal einfallen lassen. Und wenn er Geld braucht, kommt er hier in solche Reality Shows. Ich gucke mir das alles an! Je länger er das macht, desto unangenehmer ist es für das Bürgertum. Das zweite Ding ist: Ich denke, dass die Hamburger SPD daraus den Schluss gezogen hat, dass das Thema innere Sicherheit nie mehr eine Wahl entscheidet. Deshalb sind sie so brutal und so hart. Und deshalb hat der Bürgermeister nach Gutsherrenart gesagt, dass es keine Polizeigewalt bei G20 gegeben hat. Und die Gerichte scheinen das ja ähnlich zu sehen. Um den Gipfel sind so viele Sachen passiert, die ich abstrakt natürlich weiß. Aber wenn es tatsächlich passiert, dann ist es doch so erstaunlich. Es herrscht also ein ziemlich repressives Klima. Das war vor Schill etwas anders. Und momentan findet gerade ein Rollback statt. Seit zwei Jahren ist es so, dass die Polizei Demonstrationen wegen bestimmter Transparente aufstoppt. Ein Klassiker ist ein Bild von einem Polizeiauto, das auf dem Rücken liegt und brennt. Dieses Transparent ist wirklich echt alt und hat viel erlebt. Und jetzt ist es Anlass, eine Demo zu stoppen oder aufzulösen.
Bei der linksautonomen G20-Demo »Welcome to Hell« sind die Goldenen Zitronen am Fischmarkt aufgetreten. 1987, zu Zeiten von »Porsche, Genscher, Hallo HSV«, warst du Schlagzeuger der Band.
Ich finde es sehr gut, dass es sie gibt. Inhaltlich und auch musikalisch. Was ich amüsant finde: Zur Anfangszeit war ich der Einzige in der Band, der politisch als Linksradikaler unterwegs war. Und die anderen drei nicht.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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