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Venedig-Biennale: Gaza in den Giardini

Die 60. Ausgabe der Kunstbiennale von Venedig wird eröffnet – mit Ausnahme des israelischen Pavillons

Als am 30. April 1895 die »Esposizione Internazionale d’Arte della Città di Venezia« (Erste Internationale Kunstausstellung der Stadt Venedig) eröffnete, lag die israelische Staatsgründung noch mehr als ein halbes Jahrhundert in der Zukunft. Gerade erst hatte sich das moderne Staatswesen in Europa herausgebildet, und die heute als Venedig-Biennale bekannte Ausstellungsreihe sollte die neue nationale Konstellation auf künstlerischem Gebiet repräsentieren.

Heute, 129 Jahre später, ist der jüdische Staat – wieder einmal – Hauptgesprächsthema auf der am Samstag für alle Besucher eröffnenden Schau, die in diesem Jahr unter dem Titel »Foreigners Everywhere« ihre 60. Ausgabe feiert. Der 7. Oktober vergangenen Jahres, an dem die radikalislamistische Hamas in Israel einfiel und über 1000 Menschen ermordete, versetzte auch die Kunstszene in Aufruhr. Allerdings hielt sich die Zahl der Solidaritätsbekundungen mit den Israelis in Grenzen, und schon bald war vorrangig Entsetzen und Entrüstung über das militärische Vorgehen Israels im Gazastreifen zu vernehmen. Dies gilt auch für Venedig: Schon Ende Februar hatte sich massiver Protest gegen die Beteiligung der einzigen Demokratie im Nahen Osten an der Biennale formiert. Eine Gruppe namens »Art Not Genocide Alliance« hatte eine Petition gegen Israels Teilnahme gestartet; sie wirft dem Land Genozid an den Palästinensern vor. Ihre Website zählt zurzeit knapp 24 000 Unterschriften. Die Initiative verweist darauf, dass Südafrika während der Zeit der Apartheid die Teilnahme an der Biennale untersagt war, und dass in diesem Jahr Russland, von der Biennale wegen seines Angriffskriegs gegen die Ukraine verurteilt, zum zweiten Mal nicht teilnimmt. (Dass Russland seinen Pavillon Bolivien im Tausch gegen Lithiumlieferungen überlassen hat, ist dabei ein bisher eher wenig beachtetes Kuriosum.)

Die Teilnahme Israels an der Kunstveranstaltung stößt nicht das erste Mal auf heftigen Widerstand: 1982, nachdem israelische Truppen in den Libanon einmarschiert waren, zündeten italienische Linke eine Bombe vor dem israelischen Pavillon; 2015 wurde das Gebäude von Aktivisten besetzt, die gegen die Arbeitsbedingungen von Palästinensern in der West Bank demonstrierten. Es ist allerdings das erste Mal, dass der israelische Pavillon tatsächlich geschlossen bleibt – sollten die Kriegshandlungen in Gaza nicht eingestellt werden. Die Künstlerin Ruth Patir, die den jüdischen Staat mit einer kritischen Arbeit zur dort weit verbreiteten Reproduktionsmedizin vertreten sollte, gab vergangenen Dienstag ihren Rückzug von der Schau bekannt. Nur ein Film Patirs soll durch ein Fenster hindurch gezeigt werden. Erst wenn ein Waffenstillstand erreicht und die noch von der Hamas festgehaltenen etwa 130 israelischen Geiseln befreit seien, solle der Pavillon seine Türen öffnen. Patir und die beiden Kuratorinnen Tamar Margalit und Mira Lapidot gehen davon aus, dass ihr Vorgehen Kritik der israelischen Regierung nach sich ziehen wird – zumal diese nicht vorab darüber informiert wurde, wie Margalit der »New York Times« mitteilte.

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Die israelische Künstlerin, die in ihrem Heimatland regelmäßig gegen die Regierung Benjamin Netanjahus auf die Straße ging, hat sich also kurz vor knapp gegen den eigenen Staat gewandt, der sie entsandt hat – doch ist das alles? Die Vermutung liegt nahe, dass ihr plötzlicher Rückzug auch etwas mit Sicherheitsbedenken zu tun hat. Immerhin ist die Protestbewegung, die den Platz vor dem Pavillon in Beschlag genommen hat, ziemlich radikal: Die Parole »From the River to the Sea«, die dem jüdischen Staat das Existenzrecht abspricht, ist zu hören, dazu werden antisemitische Hetzschriften verteilt. Von einer Zweistaatenlösung will dort allem Anschein nach niemand etwas wissen.

Und was machen derweil die Deutschen, deren eliminatorischer Antisemitismus vor nicht allzu langer Zeit die Errichtung eines jüdischen Staates nötiger denn je werden ließ? Noch immer steht der deutsche Pavillon in seiner Drittes-Reich-Gestalt – 1938 wurde das 1909 errichtete Gebäude von den Nazis monumental erweitert – auf den ersten Blick unbeschadet in den venezianischen Giardini. Und das, obwohl ihm schon mehrere Künstler zu Leibe gerückt sind.

Spätestens seit Hans Haacke 1993 den Travertinboden im Inneren des Gebäudes zertrümmern ließ, ist es für hier ausstellende Künstler zum gleichsam ungeschriebenen Gesetz geworden, sich mit der Geschichte des Baus, ergo der Geschichte des Nationalsozialismus auseinanderzusetzen. 2017 etwa ließ Anne Imhof darin junge Performer in düsteren Techno-Sport-Outfits singen und tanzen, außen von umherstreifenden Dobermännern bewacht. In unterkühlter Atmosphäre ließ sich darüber nachdenken, was Clubkultur à la Berghain mit soldatischem Deutschtum zu tun haben könnte – wobei das Werk mit dem Titel »Faust« die Besucher wohl fatalerweise mehr in seinen mystischen Bann zog, als dass es über ebendiesen aufzuklären vermochte. Gelungener war die Arbeit von Maria Eichhorn vor zwei Jahren: Nachdem die Künstlerin zuerst vorgehabt hatte, den ganzen Bau zumindest temporär abzureißen, beschränkte sie sich letztlich darauf, Gebäudefundamente auszugraben und Putzschichten von Wänden abzutragen. So wurde sichtbar, an welchen Stellen genau die Nazis am Werk gewesen waren.

Die diesjährigen Arbeiten im deutschen Pavillon wirken dagegen vergleichsweise unbestimmt. Yael Bartana, die als Multimediakünstlerin zwischen Tel Aviv und Berlin lebt, prangert die ökologische und politische Zerstörung der Erde an, während der Theaterregisseur Ersan Mondtag, dessen Großvater als türkischer Gastarbeiter nach Deutschland kam, seine Migrationsgeschichte aufarbeitet. Natürlich sind beide Themen – Umweltzerstörung und Migrationsgesellschaft – hochpolitisch, doch hätten sie wohl genauso gut auch an einem anderen Ort behandelt werden können. Dagegen verlangt der monumentale Nazi-Bau nach einer immer neu ansetzenden Auseinandersetzung mit dem Faschismus – und die im Zeitalter einer transnational agierenden Kunstszene etwas antiquiert wirkende Nationenschau bereitet dafür den idealen Boden. Vielleicht ist es aber eine Pointe, dass Bartana die erste Israelin ist, die den deutschen Pavillon bespielt – zu einem Zeitpunkt, an dem der Pavillon ihres Geburtslandes erstmals geschlossen bleibt.

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