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17-jähriger Inder Gukesh gewinnt WM-Kandidatenturnier
Das Duell um die klassische Schach-WM werden ein Chinese und ein Inder unter sich ausfechten
Es war die wohl spannendste Schachnacht seit Jahren, und an ihrem Ende jubelte ein 17-Jähriger, dem Experten vorher nur die Rolle eines Außenseiters zugeschrieben hatten. Doch nun darf tatsächlich der indische Großmeister Dommaraju Gukesh den chinesischen Weltmeister Ding Liren zum nächsten Duell um die prestigeträchtige WM-Krone im klassischen Schach herausfordern.
Beim Kandidatenturnier in Toronto, das über drei Wochen jede Menge Dramen unter den je acht Teilnehmerinnen und Teilnehmern hervorgebracht hatte, setzte sich unter den Frauen die chinesische Ex-Weltmeisterin Tan Zhongyi klar durch und darf nun ihre seit 2018 amtierende Landsfrau Ju Wenjun herausfordern. In der offenen Kategorie rechneten sich derweil vor der 14. und letzten Runde am späten Sonntagabend noch vier Spieler die Chance auf den Sieg aus. Gukesh hatte erst am Samstag mit 8,5 Punkten die alleinige Führung übernommen, lag jedoch nur jeweils einen halben Punkt vor den beiden US-Amerikanern Fabiano Caruana und Hikaru Nakamura sowie dem Russen Jan Nepomnjaschtschi, der die letzten beiden Kandidatenturniere gewonnen, dann aber in den jeweiligen WM-Duellen gegen Magnus Carlsen und Ding Liren verloren hatte.
Die spezielle Ausgangslage führte zu sehr ungewöhnlichen Spielverläufen, besonders im klassischen Schach der Weltelite. Wie es der Zufall wollte, trafen am Sonntag schließlich alle vier verbliebenen Kandidaten in direkten Duellen aufeinander. Nakamura konnte nur mit einem Sieg gegen Gukesh den jungen Inder noch überflügeln. Er wagte er eine ungewöhnliche Eröffnung und hoffte auf Fehler des 17-Jährigen, dem in der gut fünfstündigen Partie jedoch keiner unterlaufen sollte. Selbst, als fast alle Figuren abgetauscht waren, und sich Großmeister bei offensichtlich ausgeglichenen Stellungen schnell auf ein Unentschieden einigen, spielte Nakamura zunächst weiter, in der Hoffnung, dass Gukesh durch Ergebnisse am anderen Brett doch noch zu mehr Risiko gezwungen sein könnte. Doch irgendwann hatte auch der bei Millionen Fans ob seiner unterhaltsamen Streams beliebte Amerikaner genug, und die Partie endete ohne Sieger.
»Ich fühle mich wie ein Idiot.«
Das eröffnete Caruana und Nepomnjaschtschi die Gelegenheit mit einem Sieg zu dem ins Hotel abgedüsten Gukesh aufzuschließen. Tatsächlich gelang es dem Amerikaner, der 2018 gegen Carlsen sein bislang einziges WM-Duell verloren hatte, eine Gewinnstellung zu erzielen. Unter großem Zeitdruck verpasste er jedoch die richtigen Züge, und der Russe fand in die Partie zurück – nur um eine Viertelstunde später Caruana wieder eine gewinnbringende Siegsequenz zu ermöglichen, die dieser aber erneut nicht entdeckte. Nach insgesamt 109 Zügen und knapp sechs Stunden Spielzeit stimmte er schließlich dem Remis zu, und machte damit Gukesh zum Turniersieger.
»Ich fühle mich wie ein Idiot«, sagte Caruana auf der Pressekonferenz, auf der die Moderatorin beiden Spielern gnadenlos ihre Fehler auf einem Bildschirm präsentierte. Schon am Brett hatte Nepomnjaschtschi Mitleid mit seinem Gegner gezeigt und gesagt: »Es tut mir wirklich leid.« Danach vergrub auch er enttäuscht sein Gesicht in den verschränkten Armen, wie er es bereits vor fast genau einem Jahr in dem Moment getan hatte, als er erkannte, dass er Ding den Weltmeistertitel würde überlassen müssen.
Der Weltranglisten-Dritte Nakamura ist 36 Jahre alt, Caruana (2.) ist 31 und Nepomnjaschtschi (7.) ebenfalls schon 33. Sie stehen für jene Generation, denen Norwegens Superstar Magnus Carlsen ein Jahrzent lang den Weg zum Schach-Olymp versperrt hatte. Als er diesen 2022 freiwillig verließ, witterten sie ihre Chance und versagten wie im Vorjahr nun zum zweiten und vielleicht letzten Mal, denn die nächste Generation hat sie längst eingeholt. »Hut ab vor Gukesh!«, sagte Nakamura nach seiner Partie. »Schau die uns drei alte, angeblich so erfahrene Männer an. Keiner von uns hat dem mentalen Druck standgehalten. Wir wurden emotional und machten Fehler. Gukesh dagegen blieb stabil. Er hat sich das verdient.«
Der Turniersieger, der mit zwölf Jahren zum Großmeister avanciert war, und bislang auf Weltranglistenplatz 16 nur viertbester Inder war, verfolgte den Moment des Sieges im Hotelzimmer und kehrte erst in die Great Hall von Toronto zurück, als klar war, dass er um ein Stechen am Montag herumkommen würde. Dort ließ er sich von seinen Fans feiern, die ihn mit »Gukesh, Gukesh«-Rufen empfingen. »Ich bin so erleichtert. Ich hab mir diese irre Partie zwischen Fabiano und Nepo angeschaut, und jetzt bin ich einfach nur glücklich.« Es sei immer sein Traum gewesen, Weltmeister zu werden, »und jetzt habe ich die Chance dazu. Dafür bin ich unglaublich dankbar«, sagte der jüngste WM-Herausforderer der Schach-Geschichte.
Für den Weltverband war es wohl der ideale Ausgang. Ein spannendes Finale mit Hunderttausenden, wenn nicht Millionen Zuschauern mehrerer Streams weltweit – und mit den Duellanten aus China und Indien werden nun Fans aus den beiden größten Wachstumsmärkten mit Spannung auf die WM-Partien schauen, die vermutlich im Herbst an einem noch nicht veröffentlichten Ort ausgespielt werden sollen. Da mit Nepomnjaschtschi nun auch der letzte Russe ausgeschieden ist, dürfte die Suche nach einem Schauplatz aufgrund weniger Visa-Schwierigkeiten jetzt auch leichter fallen.
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