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Sipri-Bericht: Die Rüstungsspirale kennt kein Ende
Im vergangenen Jahr sind die Militärausgaben auf ein neues Rekordhoch gestiegen, zeigt der neue Sipri-Bericht
In Kiew war die Erleichterung am Sonntag groß. Nach monatelangem Ringen gab der US-Kongress ein Hilfspaket in Höhe von 61 Milliarden US-Dollar (57 Milliarden Euro) für die Ukraine frei. »Das ist eine Entscheidung, die uns das Leben rettet«, sagte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj zum Durchbruch im fernen Washington – und legte zugleich eine Liste mit jenen Waffen vor, die sich sein Land im Kampf gegen Russlands Invasion wünscht: Raketen für die Luftabwehr. Am Montag legte Selenskyj nach und forderte, die Zeit zwischen der Entscheidung und der Auslieferung der Rüstungsgüter auf ein Minimum zu reduzieren.
Der seit über zwei Jahren andauernde Krieg in der Ukraine ist auch 2023 für einen erneut beispiellosen Anstieg der weltweiten Rüstungsausgaben verantwortlich, das geht aus dem jetzt veröffentlichten Bericht des Stockholmer Friedensforschungsinstituts Sipri hervor. Im vergangenen Jahr erreichten die weltweiten Militärausgaben mit 2,44 Billionen US-Dollar (rund 2,28 Billionen Euro) erneut einen Höchststand. Gegenüber 2022 investierten die Staaten inflationsbereinigt 6,4 Prozent mehr in Waffen. Besonders besorgniserregend: 2023 stiegen die Rüstungsausgaben bereits das neunte Jahr in Folge und machen mittlerweile 2,3 Prozent des globalen Bruttoinlandsprodukts aus.
USA weiter an der Spitze
Die USA bleiben ungeschlagen an der Spitze der Staaten, die die meisten Ausgaben für das Militär haben. Sie alleine machten mit 916 Milliarden US-Dollar (knapp 859 Milliarden Euro) mehr als ein Drittel (37 Prozent) der weltweiten Militärausgaben aus – etwa das Dreifache des zweitplatzierten China. Mit zwölf Prozent der weltweiten Ausgaben gab China geschätzte 296 Milliarden Dollar für das Militär aus, sechs Prozent mehr als im Vorjahr. Zusammen machten diese beide Staaten etwa die Hälfte der weltweiten Ausgaben 2023 aus.
In Russland stiegen die Militärausgaben um 24 Prozent auf 109 Milliarden US-Dollar (etwa 102 Milliarden Euro) im Jahr 2023. Moskau gab damit 5,9 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts (BIP) beziehungsweise 16 Prozent des Staatshaushalts für die Armee aus. Da Russlands Staatsfinanzen nach dem Angriff auf die Ukraine jedoch zunehmend undurchsichtiger werden, beruhen die Zahlen auf Schätzungen, merkt Sipri an. Sicher ist aber: Zu keinem Zeitpunkt seit dem Ende der Sowjetunion gab Moskau mehr Geld für seine Armee aus als 2023.
Deutschland mit den zweithöchsten Ausgaben in Europa
Unter den Top-5-Nationen des Sipri-Berichts gab nur Saudi-Arabien mit 7,1 Prozent seines BIP anteilig mehr aus, bleibt aber mit geschätzten 75,8 Milliarden US-Dollar (71 Milliarden Euro) auf Platz fünf hinter Indien, das 2023 insgesamt 83,6 Milliarden US-Dollar (78,4 Milliarden Euro) für Geschosse und Soldaten ausgab.
Deutschland bleibt weiterhin nach Großbritannien das europäische Land mit den zweithöchsten Rüstungsausgaben, weltweit bedeutet das den siebten Rang. »Deutschland trägt mittlerweile einen erheblichen Teil zur globalen Aufrüstungsspirale bei«, meint dazu Alexander Lurz, Abrüstungsexperte bei Greenpeace. »Der unrühmliche Platz 7 in der Liste der Staaten mit dem größten Militärbudget sollte alle zum Nachdenken bewegen, die jetzt auch noch ein zweites Sondervermögen oder die Reform der Schuldenbremse zur Aufrüstung der Bundeswehr fordern.« Mit einer Summe von 1,34 Billionen US-Dollar (1,26 Billionen Euro) konzentrieren sich 55 Prozent der weltweiten Rüstungsausgaben in den 31 Mitgliedsstaaten der Nato. Elf Nato-Länder erfüllten laut Sipri 2023 die Vorgabe, zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für die Armee auszugeben, vier mehr als noch 2022.
Ukraine fast gleichauf mit Russland
Der größte prozentuale Anstieg in der Gruppe der Top-10 war in der Ukraine zu verzeichnen. Ihre Militärausgaben stiegen um 51 Prozent auf 64,8 Milliarden Dollar (etwa 60,7 Milliarden Euro). Sie wechselten so von Platz 11 im Jahr 2022 auf Platz 8 im Jahr 2023. Die Militärausgaben machten mehr als die Hälfte (58 Prozent) der gesamten Staatsausgaben aus. Hinzu kamen Militärhilfen anderer Länder für die Ukraine in Höhe von mindestens 35 Milliarden Euro. Diese Hilfen und die eigenen Militärausgaben der Ukraine machten im Vergleich etwa 91 Prozent der russischen Militärausgaben aus.
Israel, das seit über einem halben Jahr die radikalislamische Terrororganisation Hamas im Gazastreifen bekämpft, steigerte seinen Militäretat um 24 Prozent auf 27,5 Milliarden US--Dollar (25,8 Milliarden Euro).
Diplomatie kein Mittel der Politik
»Alle Regionen, die wir abbilden, haben zugenommen. Das gibt uns eine Perspektive für eine Welt, die sich weniger sicher fühlt und vielleicht eher auf harte Sicherheitsmaßnahmen als auf diplomatische Mittel zurückgreift«, sagte Sipri-Forscher Lorenzo Scarazzato der Deutschen Presse-Agentur.
Kritik an der sich immer weiter drehenden Rüstungsspirale kommt von der Linken. »Die Regierungen verpulvern Milliarden für Waffen, die im Kampf gegen Armut, bei der Instandsetzung maroder Infrastruktur oder zur Stärkung kollabierender Bildungs- und Gesundheitssysteme fehlen. Die Regierungen investieren in Aufrüstung, statt zielführend in die Zukunft. Es gibt keine plausible Rechtfertigung für diese Maßlosigkeit«, sagt Dietmar Bartsch, Sprecher für Verteidigungspolitik der Gruppe Die Linke im Bundestag, zu den neuen Sipri-Zahlen. Die Ampel müsse Deutschland zum Vorreiter für weltweite Abrüstung und Diplomatie machen, wenn sie mit wertegeleiteter Außenpolitik anfangen wolle, fordert Bartsch.
Linke fordern Abrüstung
Jan van Aken, Abrüstungsexperte der Rosa-Luxemburg-Stiftung, bezeichnete Abrüstung als das Gebot der Stunde. »10 Prozent für alle«, lautet sein Vorschlag für eine neue globale Abrüstungsinitiative für konventionelle Waffen. »Wenn alle Länder gleichzeitig gleich viel abrüsten, dann bleibt die relative Sicherheit für alle gleich – und alle Menschen auf der Welt würden davon profitieren«, so van Aken in einem Podcast.
Auch in der Ukraine bedeuten die neuen Waffen-Milliarden nicht das Ende des Krieges. Die US-Militärhilfe könne Kiew helfen, Russlands Vordringen zu verlangsamen, und Tausende Menschenleben retten. Ein Allheilmittel sei sie aber nicht, schreibt die BBC. Mit Agenturen
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