• Kultur
  • Kapitalistischer Realismus

Mark Fisher: Wünsch dich in den Kommunismus?

Das letzte Seminar des britischen Kulturtheoretikers Mark Fisher ist auf Deutsch erschienen

  • Vincent Sauer
  • Lesedauer: 4 Min.

Ressentiments lassen die Herzen ranzig werden, die Fantasie versteift und mit der Gesellschaft will man eigentlich auch nichts mehr anfangen. Als der Neoliberalismus in Gestalt der grimmigen Kaufmannskinder Richard Milhouse Nixon und Maggie »There is no such thing as society« Thatcher an die Macht kam, mauserte sich das Ressentiment zur sozialpsychologischen Staatsraison. Radikal marktgeil und brav elitenhörig wurde die Welt, das olle Versprechen vom guten Leben für weite Teile der Menschheit noch unwahrscheinlicher.

Einer, der verstehen wollte, warum sich die Menschen, die Unterdrückten, die sich tagein tagaus verdingen müssen, stets Gefahr laufen, abzustumpfen, ihre Träume verlieren, sterben und nichts vererben, war der Kulturtheoretiker Mark Fisher. Er kam 1968 in Leicester, Nordengland, zur Welt; 2017, als bekannter Mann, nahm er sich das Leben. Seit seiner Jugend von Depressionen geplagt, wollte sich Fisher nicht damit abfinden, dass psychische Probleme das private Problem von Mimosen sein sollen, sondern erkannte, dass die gesellschaftliche Ordnung, in der wir leben, dazu führt, dass man innerlich verdunkelt. Der kürzlich verstorbene Theatermacher René Pollesch hatte in einem Hörspiel mal in etwa formuliert, dass »mein Innenleben« doch nur »der großen Depression da draußen« entsprechen würde.

Fisher verbrachte die 90er an der Universität, auf Konzerten, in Clubs. Er faszinierte sich für das Musik-Genre Jungle (und Post Punk), marxistische genauso wie postmoderne Philosophie, war Teil der »Cybernetic Culture Research Unit« an der Universität Warwick, die sich mit dem Einfluss moderner Technologie auf Lebenswirklichkeiten auseinandersetzte. Sein Blog »K-Punk« verschaffte ihm eine große Leserschaft, denn selten wurde so klug über Pop-Kultur und Gesellschaftskritik geschrieben.

Nun erschien im Brumaire-Verlag sein letztes Seminar in deutscher Übersetzung von Alexander Brentler. Im Wintersemester 2016/17 gab Fisher einen Kurs mit dem kontroversen Titel »Sehnsucht nach dem Kapitalismus«. Nur die Hälfte der Sitzungen fand statt, dann erreichte die Studierenden die Nachricht vom Tod ihres Dozenten. Das Buch enthält neben der Transkription der fünf Sitzungen ein verständiges Vorwort von Herausgeber Matt Colquhoun, das eine gute Einführung in Fishers Denken bietet. Zahlreiche Fußnoten stellen Bezüge her, kontextualisieren, geben Hinweise, wo weiterlesen. Das ist vorbildlich gelöst. Außerdem finden sich noch zwei Anhänge: Der vollständige Seminarplan mit Literaturliste und eine Playlist mit 16 Tracks, »No More Miserable Monday Mornings«, die Fisher 2016 auf seinem Blog »K-Punk« veröffentlicht hatte. Die Teilnehmer seines Kurses hörten die Playlist gemeinsam, als sie von Fishers Tod erfuhren, und setzten das Seminar als Lesekreis fort.

Fisher fragt sich, wie ein post-kapitalistisches Begehren gedacht werden könnte. Denn einerseits helfen uns Wünsche, Libido, Begehren, nicht vollends im Kapitalismus einzugehen, andererseits bilden sie keine Garantie, ihn tatsächlich überwinden zu wollen. Oftmals helfen die kleinen Befriedigungen und Sedativa im Alltag, uns mit allem insgeheim zufriedenzugeben. Fisher diskutiert allerlei historische Vorschläge. Er will sich nicht mit der Negativität abfinden, sondern positive Projekte konturieren. Dabei stellen die Studierenden die Nachfragen, die man als Leser*in im Blick behalten sollte. Es geht in der zweiten Sitzung um die Gegen-Kultur der sechziger Jahre und die wichtige Rolle eines exponierten Vertreters der Kritischen Theorie, Herbert Marcuse, auf die jungen Leute, die anders leben wollten und bereit waren, gegen die Strukturen anzukämpfen, die das Leben verkümmern lassen.

In der nächsten Sitzung wird Lukács’ Begriff des Klassenbewusstseins der Terminus »Gruppenbewusstein« der feministischen Theoretikerin Nancy Hartsock, um anti-identitätspolitischen Verhärtungen vorzubeugen. Am Ende lachen sich bei Spaltung nämlich nur die Herrschenden ins Fäustchen. Dann geht Fisher der Frage auf den Grund, wie Nixon es mittels Ressentiment-Schürung innerhalb der Arbeiterklasse gegen die Hippies schaffte, dass plötzlich Gewerkschaften, wider ihres Klassen-Interesses, dazu aufriefen, den Republikaner zu wählen. Ein jüngeres Beispiel ist die Tory-Politikerin Louise Mensch, die bei den Occupy-Protesten Demonstrant*innen, die mit Smartphone untwegs waren und sich bei Starbucks mit Kaffee eindeckten, jede Legitimität und Glaubwürdigkeit absprach. Und dann geht es noch anhand eines Textes des dunklen Philosophen und Marxismus-Renegaten Jean-Francois Lyotard um die uneingestandene Lust auf Unterwerfung, den Genuss daran, sich mit dem Schrott dieser Welt abspeisen zu lassen.

Der letzte Satz von Fisher, der aus dem Seminar transkribiert wurde, lautet ganz profan: »Ihr könnt mir jederzeit eine Mail schreiben.« Mir wurde berichtet, dass Fisher auch ihm völlig Unbekannten innerhalb weniger Tage ausführlich antwortete. Nun liegt es an seiner Leserschaft, Fishers Projekt weiterzuführen und den kapitalistischen Realismus zu überwinden, der uns doch verbieten will, uns etwas anderes vorzustellen als das, was wir vor der eigenen Nase haben. Gedanken zum Weiterspinnen – im besten Sinne – finden sich in diesen Seminaren zuhauf!

Mark Fisher: Sehnsucht nach dem Kapitalismus. A. d. Engl. v. Alexander Brentler. Brumaire, 296 S, br., 24 €.
Buchvorstellung: am heutigen Mittwoch um 20 Uhr im Literaturforum des Brecht-Hauses in Berlin. Es diskutieren Matt Colquhoun und Alexander Brentler, moderiert von Adelaide Ivánova.

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