Björn Höcke will kein Nazi sein

Im Prozess um die Verwendung einer verbotenen NS-Parole erklärt sich der AfD-Rechtsaußen für unschuldig

  • Joachim F. Tornau, Halle/Saale
  • Lesedauer: 4 Min.
Der Prozess gegen den AfD-Politiker Björn Höcke wird von Protesten vor dem Landgericht in Halle begleitet.
Der Prozess gegen den AfD-Politiker Björn Höcke wird von Protesten vor dem Landgericht in Halle begleitet.

Als Björn Höcke im Mai 2021 in Merseburg auftrat, baute er sich selbst ein Glashaus. Bevor der AfD-Rechtsaußen bei seiner Wahlkampfrede vor 250 Getreuen zu den gewohnten Tiraden gegen Einwanderung und Windräder ansetzte, mimte er den Intellektuellen. »Ich muss jetzt mal ganz kurz historisch werden«, sagte der thüringische AfD-Chef, der einmal Geschichtslehrer war, und präsentierte ganz jovial sein Wissen über die mittelalterlichen Merseburger Zaubersprüche.

Die Menschen, die lautstark gegen seinen Auftritt protestierten, verhöhnte er als »Opfer der Bildungskatastrophe«. Das war, wie man heute weiß, durchaus mutig: Wegen eben dieser Veranstaltung in Merseburg steht der rechtsextreme Politiker nun vor dem Landgericht in Halle – und beruft sich zur Verteidigung ausgerechnet auf seinen eigenen Mangel an historischer Bildung.

Es geht um die Parole »Alles für Deutschland«, in der der 52-Jährige seine Rede hatte gipfeln lassen. Weil es sich dabei um die Losung der Sturmabteilung (SA) handelt, der Schlägertruppe der NSDAP, wurde Höcke wegen der Verwendung von verbotenen Kennzeichen nationalsozialistischer Organisationen angeklagt. Höcke aber hält sich für »völlig unschuldig«, wie er am Dienstag verkündet. »Ich habe mir nichts vorzuwerfen.«

Denn: Er habe nicht gewusst, dass dieser »Allerweltssatz« eine NS-Parole ist. Sonst, beteuert er, hätte er diese Worte »selbstverständlich« nicht benutzt. »Ich habe mit dem Nationalsozialismus nichts, aber auch gar nichts am Hut.« Er kenne sich nicht einmal besonders gut aus damit. In seinem Geschichtsstudium habe er »kein einziges Seminar zum Nationalsozialismus« besucht. Und auch in den drei Schulbüchern, die er eigens mit ins Gericht gebracht hat, finde sich fast nichts über die SA.

Bevor Höcke an diesem zweiten Prozesstag zu Wort kommt, lässt das Gericht das Video der Veranstaltung auf dem Marktplatz der sachsen-anhaltischen Kleinstadt abspielen. Mehr als anderthalb Stunden dauert das, eine Hetzrede folgt der anderen, mit dem bejubelten Auftritt des völkischen Idols als Schluss- und Höhepunkt.

Vor Gericht präsentiert sich der Partei- und Fraktionsvorsitzende der Thüringer AfD hingegen ganz beflissen. Er wolle im Stehen aussagen, erklärt er, aus »Anerkennung der Bedeutung des Gerichts«. Nachdenklich und reflektiert möchte Höcke wirken. »Ich habe mich gefragt: Hätte ich das als Geschichtslehrer wissen müssen?«, sagt er und stellt sich den Persilschein selbst aus: »Nein, der Geschichtslehrer hätte das nicht wissen müssen.«

Und auch will der Mann, der in der AfD seit Jahren bundesweit die Strippen zieht, erstaunlich wenig gewusst haben. Nichts über die Ermittlungsverfahren, die sich Parteifreunde vor ihm wegen der Verwendung der Parole »Alles für Deutschland« einhandelten. Nicht einmal, wer alles in den Landesvorständen seiner Partei sitzt.

Die Staatsanwaltschaft überzeugt er damit offensichtlich nicht. Die Häufigkeit, mit der Höcke in seinen Reden NS-Vokabular verwende, dazu sein offenes Bekenntnis, »die Grenzen des Sagbaren« erweitern zu wollen: »Das sieht nicht nach Zufall aus, um es vorsichtig zu formulieren«, meint Oberstaatsanwalt Ulf Lenzner.

Das Gericht teilt derweil mit, dass Höcke im Falle einer Verurteilung wohl lediglich mit einer Geldstrafe zu rechnen hätte – und damit also auch nicht mit einem zeitweiligen Verlust des aktiven und passiven Wahlrechts, wofür es mindestens sechs Monate Freiheitsstrafe bräuchte.

Aber: Die Strafkammer geht zugleich davon aus, dass die historische Belastung des Slogans »Alles für Deutschland« in der Bevölkerung nicht allgemein bekannt sei. Ob sie Höcke abnimmt, zu dieser ahnungslosen Mehrheit zu gehören, wird entscheidend sein.

Auch bei einem Freispruch wäre der Mann, der hofft, nach den Landtagswahlen im September der erste Ministerpräsident der AfD zu werden, jedoch nicht aller Sorgen ledig. Über ihm schwebt eine weitere Anklage, weil er die verbotene Parole im Dezember 2023 in Gera erneut verwendete. Und spätestens da wusste er, was er tat.

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