Prozess in Karlsruhe: Wann ist ein Link ein Link?

Dritter Verhandlungstag gegen Redakteur von Radio Dreyeckland

Der angeklagte Fabian Kienert beim Prozessauftakt neben seiner Verteidigerin Angela Furmaniak
Der angeklagte Fabian Kienert beim Prozessauftakt neben seiner Verteidigerin Angela Furmaniak

Das Landgericht in Karlsruhe verhandelt gegen den Redakteur Fabian Kienert von Radio Dreyeckland, der in einer Meldung über die Einstellung eines Ermittlungsverfahrens einen Link auf die Website einer nach Ansicht der Staatsanwaltschaft verbotenen Vereinigung gesetzt haben soll. Es geht um die Seite Indymedia Linksunten, die 2017 offline gehen musste. Seit 2020 spiegeln Unbekannte diese einst interaktive Internetplattform als statisches Archiv und nutzen dafür die frühere Webadresse. Auf diese URL hatte Kienert verlinkt, das wertet der Staatsanwalt Manuel Graulich als Unterstützungshandlung nach Paragraf 85 des Strafgesetzbuchs. Dem Angeklagten drohen dafür eine Geldstrafe oder bis zu drei Jahre Haft.

Schon zum Prozessbeginn machte der Vorsitzende Richter Axel Heim deutlich, dass er eine Hausdurchsuchung bei dem Redakteur im Januar 2023 für übertrieben hielt. Kienert hatte bereits beim Öffnen der Tür zugegeben, den Artikel verfasst zu haben. Trotzdem wurden unter anderem Handys beschlagnahmt – laut den Ermittlern, um zu belegen, dass der Artikel auf einem Laptop geschrieben wurde. Dies, und auch dass der polizeiliche Staatsschutz die gesamte Wohnung des Redakteurs fotografierte, hielt Richter Heim für unverhältnismäßig.

Diese Woche fanden in Karlsruhe der zweite und dritte Verhandlungstage statt. Am Dienstag ging es um die Frage, wie leicht eine komplette Website heruntergeladen und auf einem anderen Server wieder verfügbar gemacht werden kann. Damit wollte Richter Heim auch die Frage beantworten, ob es sich bei dem Archiv um die Fortführung der verbotenen Vereinigung handelt und ob diese also noch unterstützt werden kann.

Das Gericht lud hierzu die Autorin Detlef Georgia Schulze in den Zeugenstand, die ein zweites Archiv von Linksunten online gestellt hatte – und sich deshalb ebenfalls ein Verfahren nach Paragraf 85 einfing. Der Vorgang sei ohne großes IT-Wissen möglich, sagte Schulze aus, das Herunter- und Hochladen habe jedoch lange gedauert.

Von einem Sachverständigen des Fraunhofer-Instituts aus Karlsruhe wollte Heim erfahren, was eigentlich unter einem Verweis zu verstehen ist. Es komme letztlich auf das Gleiche heraus, ob eine Webadresse in einem Text ausgeschrieben oder als Hyperlink angelegt ist, so der Zeuge. So ermöglichten etwa Handybrowser die Weiterleitung auch nicht klickbarer Links, wenn dort zwei Mal auf die Adresse getippt wird. Bei Kurznachrichtendiensten wie X (früher Twitter) wird ein geposteter Link sogar automatisch zu einem Hyperlink umgewandelt.

Schließlich erörterte das Gericht die Frage, warum der Staatsanwalt das als links bekannte Radio Dreyeckland verfolgt, nicht aber Zeitungen wie die »Taz« und »Zeit« oder Internetmagazine wie Golem, netzpolitik.org und Telepolis, die in ihren Meldungen ebenfalls Hyperlinks auf Linksunten gesetzt oder »Wir sind alle Linksunten« geschrieben hatten. Letzteres wird Kienert in der Anklage vorgeworfen, da sein Beitrag mit einem solchen Foto versehen war – allerdings mit einer distanzierenden Einordnung in der Bildunterschrift.

Am Mittwoch vernahm das Gericht drei Mitarbeiter des Staatsschutzes in Baden-Württemberg und je ein Verfassungsschützer aus Land und Bund. Auch hier ging es um die Frage, ob die Vereinigung »Linksunten« als weiterhin existent betrachtet werden kann, wer womöglich dahinter stand und steht und ob das Verbot auch für die Internetadresse gilt.

Am kommenden Montag wird der Prozess in Karlsruhe fortgesetzt, womöglich folgen danach schon die Plädoyers und die Urteilsverkündung. Ansonsten würde das Gericht Mitte Mai weiterverhandeln.

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