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Abgründe der Ehe
Liebe und Demütigung: Richard Strauss’ »Intermezzo« an der Deutschen Oper Berlin, klug inszeniert von Tobias Kratzer
Wie viel Privatheit darf man komponieren? Als vor 100 Jahren Strauss’ »Intermezzo« in Dresden uraufgeführt wurde, stellte sich die Frage anders als heute. Im Fernsehen der Jetztzeit zeigt ein bedauernswertes Personal intimste Probleme her, und bei manchen sich fortschrittlich wähnenden Theaterleuten gilt Authentizität als ästhetischer Wert.
Im Bürgertum von 1924 dagegen galt noch die Trennung von Privatleben und öffentlichem Auftritt. Entsprechend irritierend wirkte es, dass ein repräsentativer Komponist eine Episode aus seinem eigenen Eheleben vertonte. Statt Strauss hieß der Mann »Storch«, und Storchs »Christine« erinnerte unverkennbar an Strauss’ von manchen als anstrengend empfundene Ehefrau Pauline.
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Die Dresdener Inszenierung kehrte damals die Parallelen noch hervor. Der Storch-Sänger trug eine Perücke, die an die Frisur des Komponisten erinnerte, und das Bühnenbild war der Strauss-Villa in Garmisch nachgebaut. Doch gilt: Wird das echte Leben inszeniert, hat man nie das echte Leben, sondern die Inszenierung. Das trashige Elend im Privatfernsehen ist gecastet, die Theaterleute schielen auf Wirkung, und Strauss komponierte ein Kunstwerk.
Am Beginn dieser »bürgerlichen Komödie mit sinfonischen Zwischenspielen« reist Storch, ein angesehener Dirigent, für zwei Monate Konzertsaison ab. Das gibt Anlässe genug für Streit mit Christine, die auch ihr Personal schurigelt und erst etwas milder wird, als sie einen jungen Baron kennenlernt. Der aber will sie, wie sie bald einsehen muss, nur um Geld anpumpen.
Zu allem Überfluss scheint der Brief einer »Mieze Maier« eine Affäre ihres Mannes mit dieser Halbweltdame zu beweisen. Nun will Christine die sofortige Scheidung und lässt sich auch nicht von den Telegrammen ihres Mannes, der wenig von den Zusammenhängen versteht, besänftigen. Dann aber klärt sich das Missverständnis. Mieze Maier hat tatsächlich einen Kapellmeister getroffen, der aber nicht Storch, sondern Stroh hieß, und den Brief an die falsche Person geschickt.
Die Fantasie, zu Unrecht verdächtigt, dann aber entlastet zu werden, schmeichelt dem eigenen Selbst. Strauss tut noch mehr: Der kleine Sohn hält selbstverständlich zum Papa, und der Notar, zu dem Christine wegen der Scheidung geht, hält es für unmöglich, dass Strauss/Storch etwas Schlimmes getan haben könnte. Als ihr Mann endlich, von jeder Schuld befreit, zurückkehrt, will Christine es ihm nicht zu leicht machen, zankt erneut herum, wird aber bald zur Raison gebracht. Der Mann hat sich als in jeder Hinsicht überlegen erwiesen, und die Eheharmonie ist der Lohn.
Wie kann man das heute noch aufführen? Tobias Kratzer verlegt das Geschehen in die Gegenwart und flutet die Bühne mit Ideen, von denen manche ärgerlich sind, viele aber den Komödientrash, den das Stück auch beinhaltet, zuspitzen. Dazu dienen auch Videos, wobei die Bilderflut manchmal von der Musik ablenkt. Immer wieder aber – und das ist klug – zeigt Kratzer, dass wir es nicht mit dem originalen Leben, sondern mit Kunst zu tun haben. So durchzieht eine Reihe von Zitaten, die Christine mit anderen Frauengestalten aus Strauss-Opern verbinden, das Stück.
Dies alleine würde das Werk nicht retten. Doch zeigt Kratzer, wie trotz der zänkischen Oberfläche, und mit ihr, sich die Eheleute liebend miteinander einrichten. Mit diesem Humanen ist das Inhumane verbunden. Christine mag grob ungerecht schimpfen – die freundlich-hämischen Fragen ihres Mannes, wie denn das gewesen sei mit dem netten jungen Baron, und ach, Geld habe dieser gewollt, vernichten stiller und gründlicher als jeder Wutanfall. Kratzers Inszenierung arbeitet das Abgründige eines Konzepts von Zweierbeziehung heraus, das heute noch vorherrscht.
Maria Bengtsson als Christine, Philipp Jekal als ihr Mann vermitteln diese Widersprüche, während Thomas Blondelle als Baron überzeugend den etwas dümmlichen Schnorrer gibt. Das Orchester der Deutschen Oper unter Donald Runnicles hat es nicht leicht angesichts der Bilderfülle auf der Bühne. Manchmal wird der Klang zu massiv, und der von Strauss geforderte Konversationston beim Gesang ist nicht zu halten. Doch sehr gut gelingen die sinfonischen Zwischenspiele, die das Geschehen und die Gefühle der Beteiligten kommentieren und in Musik fassen.
Nächste Vorstellungen: 28. April, 1. und 5. Mai
www.deutscheoperberlin.de
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