Fragezeichen hinter der Rafah-Offensive

Laufende Verhandlungen über Geiseln und internationaler Druck bremsen Israels Pläne

  • Oliver Eberhardt
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Proteste gegen die israelische Regierung reißen nicht ab. War es vor einem Jahr die Justizreform, die Woche für Woche die Menschen auf die Straße trieb, ist nun der Krieg im Gazastreifen Grund für die Demonstrationen. Auch am Samstagabend protestierten wieder Zehntausende für einen Gefangenenaustausch, und für Neuwahlen.

In der innerisraelischen Debatte wird der Blick auch über den Krieg hinaus gerichtet. In einem Meinungsstück für die englischsprachige Zeitung »Jerusalem Post«, befasst sich Tova Herzl, ehemalige Botschafterin in Südafrika, mit der Frage, was passieren werde, wenn das Siedlungsprojekt in den besetzten Gebieten weitergehe. Ihr Fazit: Israel drohe der Verlust der jüdischen Bevölkerungsmehrheit. Oder der Weg zu einem Staat, in dem die ethnische oder religiöse Zugehörigkeit über den Umfang von Bürgerrechten entscheide – der Weg zur Apartheid. Es ist das erste Mal, dass dieses Wort mit all seiner Bedeutungsmacht direkt von einer jahrzehntelangen hochrangigen Mitarbeiterin des israelischen Staates verwendet wird. Eine Einzelmeinung? In Gesprächen mit Diplomaten, aber auch Angehörigen von Militär und Justiz, wird schon seit Langem deutlich, dass man die Entwicklungen mit Sorge betrachtet.

Verhandlungen über Waffenruhe in kritischer Phase

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Am Sonntag genehmigte Generalstabschef Herzi Halevi den Plan für die seit Langem erwartete Rafah-Offensive. Doch ob es jemals dazu kommen wird, ist offener denn je. Denn Israels Regierung ist international isoliert. Nur mit Mühe konnte Regierungschef Benjamin Netanjahu US-Präsident Joe Biden davon abbringen, Sanktionen gegen eine Militäreinheit zu verhängen. Die Nachrichtenagentur Reuters berichtet zudem, Mitarbeiter von US-Außenminister Anthony Blinken hätten in einem Dokument starke Zweifel daran angemeldet, dass Israels Militär von den USA gelieferte Waffen rechtmäßig einsetze.

Die Verhandlungen über eine Waffenruhe gehen derweil in ihre wahrscheinlich entscheidende Phase: In einem Interview mit dem israelischen Fernsehsender Kanal 12 kündige Außenminister Israel Katz eine Verschiebung der Rafah-Operation an, falls sich die Hamas zu einem Gefangenenaustausch bereit erkläre. In Medienberichten werden allerdings auch nicht namentlich genannte Regierungsvertreter mit denen Worten zitiert, dies sei nun die letzte Chance für die Hamas, eine Einigung zu erzielen.

Deutliche Differenzen innerhalb der Hamas

Nach Angaben des ägyptischen Außenministeriums hat das in Katar ansässige Politbüro der Hamas den jüngsten Vorschlag an den Gaza-Chef Yahya Sinwar weitergeleitet. Mittlerweile wird immer deutlicher, dass es nicht nur auf der israelischen, sondern auch auf der Seite der Hamas deutliche Differenzen gibt: Während Politbüro-Chef Ismail Hanijeh auf eine Einigung zu drängen scheint, deuten Aussagen von anderen Angehörigen des Politbüros darauf hin, dass Sinwar eine kompromisslose Haltung vertritt. So wurde aus dem Lager des Politbüros in den vergangenen Tagen mehrfach erklärt, die Hamas werde die Waffen niederlegen, wenn es zu einem palästinensischen Staat in den Grenzen von vor 1967 komme. Funktionäre des Gaza-Lagers indes widersprachen dem in der üblichen Rhetorik; der Krieg werde erst enden, wenn »Palästina vom Fluss bis ans Meer befreit« sei.

Die Entwicklungen innerhalb der Hamas werden in den kommenden Jahren genauso stark den weiteren Verlauf des Konflikts bestimmen wie die künftige Ausrichtung der israelischen Politik. Wie extrem die Stimmung dort nun ist, zeigt sich nicht nur in den Neuwahlforderungen von Opposition und Wählerschaft, sondern auch in den Konferenzen von Regierung und Militärführung. Während eines Briefings des Sicherheitskabinetts durch die Militärführung kam es zur Konfrontation zwischen Generalstabschef Herzi Halevi und Itamar Ben Gvir, Minister für innere Sicherheit und Spitzenfunktionär der ultra-rechten »Religiösen Zionisten«: Nachdem Halevi von einer hohen Zahl an festgenommenen Hamas-Kämpfern berichtet hatte, forderte Ben Gvir, das Militär solle die Männer künftig erschießen. »Ich bin mir nicht sicher, ob Sie Minister in Israel oder einem anderen Land sind«, gab Halevi daraufhin zurück. Netanjahu habe dabeigesessen und nichts gesagt, heißt es in Medienberichten. Er braucht die Rechtsradikalen, um an der Macht zu bleiben. Auch wenn er und das Land sich nichts mehr zu sagen haben.

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