Georgien streitet weiter um »Ausländische-Agenten-Gesetz«

Handgreifliche Auseinandersetzungen im Parlament. Bei Protesten in der Hauptstadt Tiflis wurden 63 Personen verhaftet

  • Daniel Säwert
  • Lesedauer: 3 Min.

In Georgiens Parlament begann der 1. Mai mit einer Prügelei. Seit drei Wochen diskutieren die Abgeordneten der südkaukasischen Republik über das Gesetz »über ausländische Einflussnahme«, genauso lange gibt es Proteste dagegen.

Anfang April hatte die Regierungspartei Georgischer Traum angekündigt, den vor einem Jahr nach Massenprotesten zurückgezogenen Gesetzentwurf in geänderter Fassung erneut zur Abstimmung zu bringen. Mitte April wurde die Vorlage in erster Lesung angenommen. Kritiker werfen der Regierung vor, die Arbeit von Nichtregierungsorganisationen nach russischem Vorbild erschweren zu wollen.

Tumulte im Parlament

Zu Beginn der zweiten Lesung kam es am Mittwoch zu Tumulten. Abgeordnete der Opposition berichten, dass sie während der Sitzung mit Flaschen und Büchern beworfen wurden. Zwei Parlamentarier wurden des Saales verwiesen. Einer weiteren Politikerin wurde während ihrer Rede das Mikrofon abgestellt, damit »sie keine Demonstration abhalten kann«. Aufnahmen zeigen zudem Handgreiflichkeiten zwischen Abgeordneten von Regierung und Opposition.

Deutlich gezeichnet und im Rollstuhl beschwerte sich Lewan Chabeischwili über die Polizeigewalt am Vorabend. »Mir wurde gesagt, dass sie mich nicht schlagen, wenn ich sage, dass ich ein Arschloch bin«, sagte der Führer der Oppositionspartei Vereinte Nationale Bewegung. Chabeischwili war am Dienstagabend von Polizisten verprügelt worden, erlitt dabei Schädelfrakturen und verlor mehrere Zähne. Noch in der Nacht wurde er operiert.

Regierung und Opposition mobilisieren

Die Auseinandersetzung um das umstrittene Gesetz werden immer schärfer. Nachdem Tausende Menschen zunächst mehrfach friedlich vor dem Parlament demonstriert hatten, ließ die Regierungspartei Georgischer Traum am Dienstag Staatsangestellte aus dem ganzen Land in Bussen nach Tiflis bringen, um eine Unterstützerveranstaltung durchzuführen. Auch die Opposition mobilisierte ihre Anhänger.

Die Demonstranten blockierten den Verkehr auf dem Rustaweli-Boulevard vor dem georgischen Parlament sowie auf mehreren weiteren wichtigen Straßen der Stadt. Nachdem die Protestierer Straßenblockaden mit Mülleimern und Zäunen errichten wollen, griff die Polizei durch, setzte dabei Wasserwerfer, Pfefferspray und Tränengas ein. Videos zeigen zudem Warnschüsse mit Gummigeschossen, die Spezialeinheiten sollen auch direkt in die Demonstrierenden geschossen haben. Präsidentin Salome Surabischwili, die sich in einem Dauerstreit mit der Regierungspartei befindet, rief in der Nacht den Innenminister erfolglos auf, das harte Vorgehen gegen die friedliche Demonstration und »den Einsatz unverhältnismäßiger Gewalt« sofort zu beenden.

Neue Proteste angekündigt

Nach Polizeiangaben wurden bei der Auseinandersetzung am Dienstag 63 Personen wegen »Ungehorsams gegenüber der Polizei und Rowdytums« verhaftet. Die Polizei verteidigte ihr Vorgehen und sprach von »legitimer Gewalt«, nachdem die Proteste »gewalttätig geworden und Demonstranten in eine verbale und physische Konfrontation mit den Ordnungskräften eingetreten waren«. Laut Aussagen von Journalisten wurden auch mehrere Pressevertreter attackiert.

Die Proteste werden in den kommenden Tagen weitergehen. Am Mittwoch deckten sich viele Menschen in Tiflis mit Atemschutzmasken ein. Mehrere Supermärkte hatten zuvor die Preise für Schutzausrüstungen gesenkt.

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