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Ein roter Stern

Die Zeitschrift »Signum« würdigt den apokalyptischen Humoristen Ulrich Becher

  • Gert Lange
  • Lesedauer: 3 Min.
Ulrich Becher 1969
Ulrich Becher 1969

Zu den wenigen literarischen Zeitschriften, die in Sachsen vom Land und der Landeshauptstadt gefördert werden, bedauerlicherweise stets nur von Frist zu Frist, gehört »Signum«, umsichtig herausgegeben von dem Dresdner Schriftsteller Norbert Weiß. Die aktuelle Ausgabe überrascht mit einer Hommage auf den in Berlin geborenen österreichischen, über die Schweiz, Frankreich, Brasilien in die USA exilierten, dann wieder in Österreich ansässigen Schriftsteller Ulrich Becher (1910–1990) – ein roter Stern am Literatenhimmel der Nachkriegsjahre. Seine Grafiken, Aquarelle und Linolschnitte begeisterten George Grosz, den er in Berlin kennengelernt hatte. Grosz war es auch, der Becher (nicht verwandt mit Johannes R. Becher) unter die Fittiche nahm, woraus sich eine lebenslange Freundschaft ergab. Der Kontakt zum Grosz-Kreis reichte den Nationalsozialisten, ihn auf die Liste der verbotenen Autoren zu setzen.

Die Skizze »Hochmusikalische Dame«, ein früher Text, gibt sehr schön die poetische, von humorvoller Ironie geprägte Sprache Ulrich Bechers wieder. Auch sein Fabuliertalent. Er schildert eine von der Mutter, einer Schweizer Pianistin, erfahrene Episode, die sie als Dienstmädchen vor Bechers Geburt im Haus eines Oberstleutnants erlebt hatte: Der rabiate Hausherr verbietet seiner Frau das Harfenspiel. Erst im Alter duldet er ihre Kunst, er hört nichts mehr. Das ist so ergreifend geschildert, dass man glaubt, auf dem Plüschsofa dabei zu sein.

Eine Einführung bietet Norbert Weiß, um uns Person und Leben des heimatlos gebliebenen Becher nahezubringen. In dem kenntnisreichen und gut zu lesenden Text schaut Weiß in ein Kapitel der »New Yorker Novellen«, wohl Bechers bedeutendstes Werk von »filigraner Meisterschaft«. Jens Wonneberger verdeutlicht am Beispiel des 1957 erschienenen Romans »Kurz nach 4« die Themenbreite des »fast vergessenen Teufelskerls« (Eva Menasse). Andere Artikel befassen sich mit dem Roman »Murmeljagd« und dem schweykhaften Stück »Bockerer«, das in Wien an die 100 Aufführungen erlebte und zweimal verfilmt wurde.

Die Prosaarbeiten zeitgenössischer Autoren verzichten auf experimentelle Sprachspielereien, die einem in manch anderer Literaturzeitschrift zugemutet werden. Patricia Büttiker, eine Zürcher Autorin, beschreibt in fünf alltäglichen Begebenheiten »Wendepunkte« des Lebens. In einem brillanten Essay, der bei Aristoteles beginnt und im »faustischen Pakt des Kapitalismus« endet, zeichnet Günter Gentsch die Geschichte der Muße nach, und Jens Grandt macht verständlich, wie und warum eine Gruppe von Polarforschern sich derart zerstreitet, dass sie sich nicht einmal mehr einen guten Morgen wünschen.

Nicht unerwähnt bleiben sollte der Rezensionsteil. Hoch anzurechnen, dass vor allem Publikationen klein- und mittelständischer Verlage besprochen werden. Die Kritiken sind kompetent geschrieben, und es erweist sich, dass die im Markt »unterschwellig« oder gar nicht gehandelte Literatur in keiner Weise jener der prominenten Verlage nachsteht.

»Signum. Zeitschrift für Literatur und Kritik«, Heft 1/2024, 8,20 Euro. Zu beziehen über: m.n.weiss@t-online.de
www.zeitschrift-signum.de

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