Krankenhausreform ohne Schmerzmedizin?

Die stationäre Versorgung in modernen Querschnittsfächern scheint stark gefährdet – zulasten vieler Patienten

In Deutschland leben etwa vier Millionen Patienten mit schweren, hochproblematischen Schmerzen. Die Auskunft gibt der Berufsverband der Ärzte und Psychologischen Psychotherapeuten in der Schmerz- und Palliativmedizin (BVSD). Betroffene werden oft von ihren Haus- oder auch Fachärzten als »austherapiert« entlassen. Die Schmerzen treten in Zusammenhang mit Tumoren auf, können Gelenke oder den Rücken betreffen. Oder es handelt sich um neuropathische Schmerzen, Phantomschmerzen und solche nach operativen Eingriffen.

Diesen Menschen ist nur mit starken Medikamenten nicht zu helfen. Erhalten sie aber eine komplexe Therapie, kann die sehr hilfreich sein – und den Weg zurück ins Berufsleben öffnen. Davor stehen eine umfassende Diagnostik und etliche Therapieversuche. So können Nervenblockaden oder -stimulation die Schmerzen lindern. Je nach Möglichkeit kommen Physiotherapie oder auch die Psychotherapie zum Einsatz. Unverzichtbar ist die psychosoziale Diagnostik, Entspannungs- und Musiktherapie können dabei sein, nicht zu vergessen die Suche nach passenden Medikamenten. Solche umfassenden Ansätze werden fast nur in Krankenhäusern verfolgt, die entsprechende Zentren oder Ambulanzen vorhalten. Auch hochrangigen Gesundheitspolitikern ist die »interdisziplinäre und multimodale Schmerztherapie« offenbar oft kein Begriff. Eine bessere Versorgung dieser Patienten scheint nicht vorgesehen.

Die Krankenhausreform, die jetzt Konturen annimmt, scheint den Ansatz nicht zu berücksichtigen – jedenfalls gibt es bislang keine Leistungsgruppe Schmerzmedizin. Große Sorgen macht das Ärzten und Therapeuten im BVSD, die das Thema in der letzten Woche diskutierten. Bislang 65 Leistungsgruppen stehen fest, sie dienen künftig der Krankenhausplanung. Nur wenn die Kliniken dafür alle Bedingungen in Sachen Personal und Technik erfüllen, können sie unabhängig von ihren Fallzahlen Vorhaltepauschalen erhalten. Laut BVSD-Vorsitzenden Bernd Nadstawek konzentrieren sich die Geschäftsführer der Kliniken schon jetzt auf die geplanten Leistungsgruppen.

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Vage Aussichten für die Schmerzmedizin bringt die Konvergenzphase der Reform, die aber erst für 2027 und 2028 geplant ist. Dann könnte die Arbeitsgemeinschaft wissenschaftlich-medizinischer Fachgesellschaften die Leistungsgruppen nachjustieren. Aber bis dahin? Warten die Geschäftsführer so lange? Etliche der BVSD-Diskutanten machte es wütend, dass selbst Michael Weller aus dem Bundesgesundheitsministerium, der mit der Reform direkt und leitend befasst ist, hier offenbar keine klaren Antworten hatte. Und so wird das Suchen nach Alternativen, etwa in künftigen ambulant-stationären Einrichtungen, fortgesetzt.

Ein weiteres Problem ist, dass es (noch) keinen Facharzt für Schmerzmedizin gibt. Fachärzte, die hier leitend tätig sind, verfügen meist über eine Zusatzbezeichnung Schmerzmedizin. Dafür müssen sie auch (in der Regel selbst bereits Fachärzte) ein Jahr lang in einer Einrichtung mit Weiterbildungsermächtigung tätig sein. Das ist sinnvoll, meint etwa Michael Schenk, der in Berlin ein Zentrum für integrative Schmerzmedizin leitet: »Ein Psychotherapeut erkennt keinen Bandscheibenschaden, ein somatischer Arzt erkennt keine posttraumatische Belastungsstörung.« Die somatische Medizin beschäftigt sich mit organischen Krankheiten im Allgemeinen, in Abgrenzung zu psychischen.

Bereits jetzt sind die Aussichten auf einen Therapieplatz nicht rosig, wie Heike Norda von der Unabhängigen Vereinigung aktiver Schmerzpatienten berichtet: »Verzweifelte Patienten rufen bei mir an, finden keine ambulante schmerzmedizinische Behandlung. Die Wartezeiten sind drei Monate und länger.« Dabei handele es sich nicht um Einzelfälle, ergänzt Intensivmediziner Schenk: »Chronischer Schmerz ist eine Volkskrankheit und kostet viel Geld. Was noch mehr kostet, ist aber eine Unter- und Fehlversorgung.«

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