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Gekündigte Mädchenzentren: Konflikt schwelt schon lange

Zwischen Frieda e. V. und dem Bezirk gibt es schon länger einen Konflikt wegen rassistischen Übergriffen und dem Umgang damit

»Hände weg von Frieda« – Kundgebung vor dem Bezirksam Friedrichshain-Kreuzberg am Montag
»Hände weg von Frieda« – Kundgebung vor dem Bezirksam Friedrichshain-Kreuzberg am Montag

»Wir sind zutiefst erschüttert über den Umgang mit dem Frieda-Frauenzentrum, seinen Projekten und den Mitarbeitenden«, sagt eine Rednerin auf einer Kundgebung am Montag vor dem Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg. Mehr als 300 Menschen haben sich versammelt, um gegen die außerordentliche Kündigung der Leistungsverträge für den Betrieb von zwei Jugendfreizeiteinrichtungen im Bezirk zu protestieren.

Neben immer wiederkehrenden Rufen »Frieda bleibt!« stimmen die Demonstrant*innen auch »Free palestine« (Freiheit für Palästina) an. Der Bezirk hat die Kündigung mit der Teilnahme einzelner Mitarbeiter*innen an propalästinensischen Demonstrationen und offiziellen, nicht näher genannten propalästinensischen und »antisemitischen« Äußerungen der Mitarbeiterin Shokoofeh Montazeri auf Instagram begründet. Ihr wird auch zum Vorwurf gemacht, dass sie auf dem umstrittenen Palästina-Kongress auf einem Podium hätte reden sollen.

Die Kundgebungsteilnehmer*innen sehen die Kündigung der Verträge im Kontext der Repression gegen propalästinensische Stimmen. Das wird an verschiedenen Stellen immer wieder betont. Der Konflikt zwischen dem Verein Frieda und dem Bezirk zieht sich allerdings schon wesentlich länger hin. Dabei geht es um ganz andere Fragen: um Übergriffe eines bewaffneten Rassisten und um den Umgang von Bezirk und Polizei damit.

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Mit einem nicht öffentlichen Brandbrief vom 13. September 2023, der »nd« vorliegt, hat Frieda e. V. einen Notruf abgesetzt. Denn in der Nähe des »Phantalisa Raums für Mädchen* und junge Frauen*« in Friedrichshain kommt es seit 2019 zu rassistischen Übergriffen eines Nachbarn. »Die Angriffe erfolgten immer wieder, das war eine dauerhafte Situation«, sagt Shokoofeh Montazeri, die für Frieda e. V. die Projektkoordination macht und vorher im Phantalisa als Projektleitung gearbeitet hat. Die Vorwürfe sind heftig: Neben obszönen Gesten, körperlichen Übergriffen und dem Zeigen des Hitlergrußes berichten Phantalisa-Mitarbeiter*innen von Drohungen wie: »Ich werde euch alle umbringen!«

Eine erste Anzeige bei der Polizei erfolgte am 13. Mai 2022 durch eine Mitarbeiterin der Jugendförderung des Bezirks. Das Verfahren wurde eingestellt. Eine Erfahrung, die Betroffene von rassistischen Übergriffen immer wieder machen. Auch Montazeri sieht das so: »Wenn es um Rassismus geht, werden Sachen nicht verfolgt.«

Mitarbeiter*innen von Phantalisa stellten insgesamt drei weitere Anzeigen gegen den Nachbarn. »Es geht darum, dass er seit vier Jahren Kinder bedroht«, so Montazeri. Obwohl die Mitarbeiter*innen immer wieder darauf hinwiesen, dass ihre persönlichen Informationen nicht an den Nachbarn gelangen sollten, passierte genau das, sagt Montazeri. »Die Polizei hat die Situation nicht ernst genommen.« Nicht nur die Besucher*innen, die vor allem aus der Rom*nja-Community kommen, waren von den Anfeindungen betroffen. Im Phantalisa-Team arbeiten vor allem Menschen mit Rassismuserfahrungen. Auch sie wurden rassistisch angefeindet.

Am 8. September 2023 gab es erneut einen Vorfall. Der Nachbar beleidigte vor dem Mädchenzentrum Besucher*innen und eine Mitarbeiterin rassistisch, zeigte den Hitlergruß. In einem Gespräch der hinzugerufenen Polizei mit einem weiteren Anwohner verriet ein Beamter laut Montazeri, die Polizei sei bei dem rassistischen Nachbarn schon in der Wohnung gewesen und habe dort Waffen gefunden.

Die Polizei hatte weder Frieda e. V. noch Phantalisa darüber informiert, dass der Nachbar, der Morddrohungen ausgestoßen hatte, bewaffnet war. Später habe die Polizei bei Phantalisa angerufen und zu beruhigen versucht, man solle sich keine Sorgen machen, die Waffen seien beschlagnahmt worden, erzählt Montazeri. Angesichts der neuen Bedrohungslage entschloss sich Frieda dazu, Phantalisa vorerst zu schließen, und verfasste am 13. September den eingangs erwähnten Brandbrief.

Am 19. September 2023 fand dann ein erstes Treffen statt, bei dem sowohl die Geschäftsführung von Frieda e. V., das Team von Phantalisa als auch die Jugendförderung des Bezirks und verschiedene zivilgesellschaftliche Organisationen anwesend waren. In diesem Rahmen kritisierten Mitabeiter*innen von Phantalisa, es sei nicht genug gegen die anhaltende Bedrohung gemacht worden, berichtet Montazeri. »Wir dachten, wir können etwas bewegen, bezüglich einer Sensibilisierung für Rassismus.« Aber niemand habe die Situation ernst genommen.

Keine Woche später habe es ein zweites Treffen mit Bezirksbürgermeisterin Clara Hermann (Grüne) und dem zuständigen Jugendstadtrat Max Kindler (CDU) gegeben. Auf diesem Treffen habe sie die Befürchtung geäußert, dass Kindler als ehemaliger Polizist einen Interessenkonflikt haben könnte, wenn es darum gehe, die Polizeiarbeit zu kritisieren, sagt Montazeri. »Diese Kritiken haben wir im Vertrauen geäußert.«

Frieda e. V. forderte, dass der Bezirk ein Näherungs- und Kontaktverbot für den rassistischen Nachbarn durchsetzt. Der Bezirk hat nach Angaben von Montazeri nach weniger als einem Monat mitgeteilt, dass dies nicht möglich gewesen sei. »Ein Totalversagen des Bezirks«, meint Montazeri. In der Zwischenzeit war Frieda e. V. am 27. September aufgefordert worden, Phantalisa zum 2. Oktober wieder zu öffnen.

Dem »nd« liegt ein Schreiben von der Opferberatung Reach Out und der Anlaufstelle für Diskriminierungsschutz an Schulen und Kitas in Friedrichshain-Kreuzberg vom 29. September 2023 vor. In diesem steht, dass die Schließung zum Schutz von Besucher*innen und Mitarbeiter*innen befürwortet werde, bis ein Näherungs- und Kontaktverbot beschlossen sei. Ein solches wurde dann auch erreicht – auf Betreiben von Reach Out. Der Bezirk sagt dazu, dass das Jugendamt ein Näherungs- und Kontaktverbot nicht stellvertretend erwirken konnte, da die Bedrohungssituationen im öffentlichen Raum stattgefunden hätten.

Am 29. November 2023 habe dann ein nächstes Treffen mit Stadtrat Kindler stattgefunden, an dem auch Jugendamt und Jugendförderung teilnahmen. Auf diesem Treffen wurde Frieda e. V. mitgeteilt, dass das Jugendamt die Vertrauensbasis für die Zusammenarbeit verloren habe. Ihnen sei vorgehalten worden, dass auf den vorherigen Treffen die Phantalisa-Mitarbeiter*innen aggressiv mit den Sachbearbeiter*innen geredet hätten. »Das waren Menschen, die kurz vorher von einem Nazi angegriffen worden waren. Und das alles nach dem Anschlag von Hanau, der für uns alle präsent ist, und nach mehr als 200 Todesopfern rechter Gewalt seit 1990«, sagt Montazeri. »Natürlich waren wir wütend, auch weil vorher nichts passiert war.« Dass ihnen die Zusammenarbeit gekündigt werden sollte, habe sie alle geschockt.

Eine Woche später habe Stadtrat Kindler angerufen und mitgeteilt, man werde die Leistungsverträge kündigen. Eine schriftliche Kündigung erfolgte nicht. »Damals haben viele Leute gesagt, wir sollen damit an die Öffentlichkeit gehen«, erzählt Montazeri. »Aber wir haben uns dagegen entschieden, weil wir immer noch dachten, man könnte das konstruktiv lösen.«

In dem Protokoll der öffentlichen Sitzung des Jugendhilfeausschusses vom 9. Januar 2024 steht, dass der Ausschuss im Oktober, also nach den beiden Treffen wegen des bewaffneten Rassisten, »über die schwierige Situation der Zusammenarbeit mit dem Träger Frieda e. V.« informiert worden sei. Am Ende entscheidet der Ausschuss gegen den Willen von Stadtrat Kindler, dass der Leistungsvertrag fürs Erste weitergeführt wird und dass mindestens drei Gespräche mit einer »externen allparteilichen Moderation« geführt werden müsse, um Bedingungen einer vertrauensvollen Zusammenarbeit zu eruieren. Das erste Gespräch hätte am 19. April stattfinden sollen, genau an dem Tag, an dem die aktuelle, fristlose außerordentliche Kündigung einging.

Auf Anfrage von »nd« sagt der Bezirk, dass das Jugendamt von Anbeginn der Vorfälle diese sehr ernst genommen und den direkten Austausch mit dem Träger gesucht habe. Die Bezirksbürgermeisterin und der Jugendstadtrat seien zeitnah nach den Vorfällen beim Träger vor Ort gewesen. Das Jugendamt sei seinem möglichen Handlungsspielraum im gesetzlichen Rahmen umfänglich nachgekommen. Zudem sei ein psychologisches Beratungsangebot unterbreitet und angenommen worden.

Auf mehrfache Anfragen von »nd« zu Konflikten vor der jetzigen Kündigung hat der Bezirk wiederholt auf »inhaltliche Differenzen« verwiesen, die sich auf »ein überarbeitetes Konzept« bezögen. Es habe im Vorfeld bereits mehrere Gesprächsangebote gegeben, die vom Träger nur zum Teil angenommen worden seien. Auf weitere Fragen hat der Bezirk bislang nicht geantwortet.

Das Vorgehen des Bezirks sorgte nicht nur für Demonstrationen. Es gab auch eine nicht öffentlichen Sondersitzung des Jugendhilfeausschusses am vergangenen Freitag. Ergebnisse sind nicht öffentlich geworden. Aber zumindest ist jetzt klar, was die konkreten inhaltlichen Vorwürfe gegen Shokoofeh Montazeri sind. Der Bezirksverordnete Janis Ehling (Linke) berichtet auf Facebook, dass es Kindler im Wesentlichen um drei Dinge gehe: die Verwendung der umstrittenen Formulierungen »From the river to the sea« (Vom Fluss bis zum Meer) sowie »drohender Völkermord« und »Apartheid« in Bezug auf Israel.

»Die Kündigung erscheint eher als Weg, einen unliebsamen Träger auf dem Ticket Antisemitismus loszuwerden, statt die bestehenden Probleme im Mediationsverfahren anzugehen«, meint Linksfraktionschef in der BVV im Bezirk René Jokisch. Man rede über einen Träger, dessen Leistung nichts mit der Nahost-Politik zu tun habe. Letztere werde von den kritisierten Personen auch nicht in die Arbeit hereingetragen.

Bezirksstadtrat Kindler sagt auf Anfrage zu dem Vorwurf, dass er als Stadtrat dem Grundgesetz für die Bundesrepublik und der Verfassung von Berlin in Übereinstimmung mit den Gesetzen zum Wohle der Allgemeinheit verpflichtet sei. Das Handeln des Jugendamtes sei davon geprägt, alles im Rahmen des Kinderschutzes zu tun, und Besucherinnen und Besucher in den Einrichtungen und Projekten zu schützen. »Ein Zusammenhang zwischen den vergangenen Vorfällen und der Kündigung besteht nicht.«

Unabhängig davon, ob die Kündigung wegen Antisemitismusvorwürfen oder wegen vorheriger Streits erfolgte: Unter der abrupten Schließung zu leiden haben am meisten die Besucher*innen der beiden Mädchenzentren, denen ihre Anlaufstelle genommen wurde. Am Donnerstag findet die nächste Sitzung des Jugendhilfeausschusses statt. Dieses Mal öffentlich. Das haben Grüne und Linke durchgesetzt. Es ist möglich, dass die Kündigung zurückgenommen wird.

Komme was wolle, die Situation bleibt vertrackt. Das befürchtet auch René Jokisch: »Das sowieso schon angespannte Vertrauensverhältnis ist von Kindler jetzt nachhaltig zerstört worden. Das wiederherzustellen, wird ein langer Prozess.«

Der ursprüngliche Artikel wurde um die Stellungnahme des Bezirks ergänzt.

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