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  • Boheme und Selbstzerstörung

Potsdamer Museum Barberini - Mit jedem Gesicht eine neue Sprache

Das Potsdamer Barberini-Museum zeigt die erste deutsche Modigliani-Werkschau nach 15 Jahren

  • Klaus Hammer
  • Lesedauer: 4 Min.
Dieses Gemälde entstand 1917, als Modiglianis Kunst einen Skandal auslöste: »Auf der Seite liegender Frauenakt«, Öl auf Leinwand
Dieses Gemälde entstand 1917, als Modiglianis Kunst einen Skandal auslöste: »Auf der Seite liegender Frauenakt«, Öl auf Leinwand

Ganze Legenden haben sich um den mit 35 Jahren verstorbenen peintre maudit Amedeo Modigliani gebildet. In eine jüdische Familie in Italien geboren, zog er 1906 nach Paris. Dort gehörte er bald zum Kreis der Künstler-Boheme, aber keiner der Schulen an, die das Kunstleben beherrschten – weder dem Kubismus noch dem Futurismus. War sein kurzes und selbstzerstörerisches Leben nicht auch eine Form des Protestes gegen die herrschenden Konventionen? Er hätte gut und gern der begehrteste Porträtist der Pariser Gesellschaft werden können, so aber zeichnete er Tage und Nächte in seinem jämmerlichen Quartier im Pariser Montmartre-Viertel oder im Café Rotonde, nahm sich Jugendliche, Freunde, Mädchen, Künstler und Sammler zum Modell. Er hat nur wenige Landschaften und wohl überhaupt kein Stillleben gemalt. Die Farbigkeit seiner Bilder, in den ersten Jahren noch dunkel und schwer, gewann zunehmend an Transparenz und erreichte irgendwann jene faszinierende Leuchtkraft, die, obwohl voller Spannung und Gegensätze, doch immer in der Skala einheitlicher Töne blieb.

Nachdem 2009 die letzte deutsche Modigliani-Retrospektive in der Kunsthalle Bonn zu sehen war, zeigt jetzt das Potsdamer Museum Barberini das Werk des Künstlers. Der Fokus liegt auf Modiglianis bevorzugten Themen Porträt und weiblicher Akt, wobei erstmals auch seiner Zeitgenossenschaft mit der europäischen Moderne nachgegangen wird. Klimt, Schiele, Paula Modersohn-Becker, Picasso und Matisse – die Werke all dieser Künstler zeigen Verbindungslinien zum Schaffen Modiglianis.

Die einzige Einzelausstellung, die Modigliani zu seinen Lebzeiten hatte – 1917 in der Galerie von Berthe Weill in Paris –, wurde zum Skandal. Einige Akte mit sichtbarer Schambehaarung mussten als Verstoß gegen die Sittlichkeit entfernt werden. Doch plump waren die Motive keineswegs – brachte der Künstler die Form des weiblichen Körpers doch zugleich sinnlich und keusch ins Bild. Die nahezu durchsichtigen Gesichter, die mandelförmigen oder besser leeren Schlitzen gleichenden Augen, das gewollte Missverhältnis zwischen Kopf, Rumpf und Beinen, die plastische Konzeption der Figuren sowie die lichterfüllte und intensive Farbgebung zeichnen eine Sensibilität aus, die den meisten Expressionisten völlig fremd war. Direkt und schockierend nah an den Betrachter herangerückt, bringen die Akte eine damals noch ungewohnte weibliche Unabhängigkeit und Souveränität zum Ausdruck.

Weitgehend unbekannt ist, dass sich Modigliani eine Zeit lang auch als Bildhauer betätigte. Die wenigen überlieferten, überall verstreuten Steinköpfe und eine Karyatide – eine weibliche Säulenfigur – vereinen die verschiedensten stilistischen Vorbilder vornehmlich früherer Kulturen. Streng und unnahbar, wie von einer anderen Welt, geben die Gesichter ihr Geheimnis nicht preis. Auch wenn Modigliani 1914/15 die Bildhauerei ganz aufgab, hat sie doch den Stil seiner Porträts von 1915 bis 1920 beeinflusst. Oft ließ er die Augen der Porträtierten wie bei den Skulpturen leer. Gerade die schrägen, pupillenlosen Augen – darauf wird in der Potsdamer Schau besonders hingewiesen – richten deren Blick nach innen und gleichzeitig nach außen. Verhaltene Schwermut und Distanz wird so erzeugt, was im merkwürdigen Kontrast zu den reichen Ausdrucksmitteln steht, die Modigliani für die Psychologie seiner Figuren einsetzte.

Der Künstler stellte seine Figuren nicht in einen gegenständlichen, sondern geistigen Raum. Er suchte den Charakter des Modells durch die Präzision der Körperkontur, den Rhythmus der Linien und Farben zu bestimmen. So hat er im Grunde mit jedem Porträt auch eine neue Sprache erfunden. Man vergleiche nur das Porträt des Malerfreundes Chaim Soutine, ein linkisch, mürrisch wirkender junger Mann (1916), mit dem dandyhaft erscheinenden, kubistischen Bildnis des Schriftstellers Jean Cocteau (1917) oder dem Porträt von Diego Riviera (1914), in dem wirbelnde Spiralen die gewaltigen Körpermassen des mexikanischen Malers hervortreten lassen. Dagegen wieder sind die Bilder seiner Lebensgefährtin Jeanne Hébuterne, die einen Tag nach seinem Tod aus dem Leben schied, auf diskreten, zurückhaltenden Harmonien aufgebaut. Den mitunter bis zur Deformation zugespitzten Porträts stehen dann wieder schlichte, von existenzieller Unsicherheit geprägte Kinderbildnisse gegenüber.

Als »Chronist eines erstarkenden weiblichen Selbstbewusstseins« soll Modigliani in Potsdam verstanden werden, der emanzipierte Frauen mit Kurzhaarfrisur und Männerkleidung porträtierte. Schon früh hatte er das neue Frauenbild der Garçonne, der burschikosen Frau, erfasst, das erst in der Neuen Sachlichkeit der 1920er Jahre dominant wurde.

Wie ist dieser seltsame Gegensatz zu erklären, in dem die Disziplin und Souveränität seines künstlerischen Werkes zu der Unruhe und Selbstzerstörung seines Lebens steht? Darauf wird es wohl nie eine endgültige Antwort geben. Vielleicht musste Modigliani ein solches Leben führen, um ein Höchstmaß individueller Freiheit und künstlerischer Unabhängigkeit zu erwerben. Sonst wären ihm möglicherweise diese Bildnisse von innerer Wahrheit, menschlicher Würde, vergeistigter Schönheit und wehmutsvoller Heiterkeit nicht gelungen.

»Modigliani. Moderne Blicke«, bis 18. August, Museum Barberini, Potsdam.

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