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Polizei-Ausstellung: Geschichtsrevisionismus als Werbeaktion
Eine Frankfurter Polizei-Ausstellung stellt Nazis als Widerstandskämpfer dar und wird vom hessischen Innenministerium zu PR-Zwecken genutzt
Herr Ortmeyer, Sie kritisieren die Ausstellung »Handlungsspielräume. Frankfurter Polizeibeamte im Nationalsozialismus« scharf. Was ist Ihre Kritik?
Erstens: Die Verbrechen der Polizei, der Gestapo, der SS werden nur weichgespült dargestellt, formalistisch die Funktionen beschrieben. Zweitens: Die Ausstellung übernimmt gerade bei der Darstellung der ausgewählten angeblich widerständigen Polizisten quellenunkritisch vor allem Behauptungen aus den »Persilschein-Akten« der sogenannten Entnazifizierung, also lächerliche Rechtfertigungen von Familienangehörigen und engen Bekannten. Drittens: Die Bedeutung des Abrückens einiger Nazis und deutschnationaler Bündnispartner der Nazis von Hitler nach der Niederlage der Wehrmacht in Stalingrad, des gesamten Putsches vom 20. Juli 1944 wird grundfalsch eingeschätzt. Viertens: Der »Studienkreis«, ein gemeinnütziger und ehemals linker Verein, lässt sich für PR-Aktionen des vorherigen hessischen Innenministers Peter Beuth kaufen. Und fünftens: Die Ausstellung enthält haarsträubende Fehler, etwa die Behauptung, dass das KZ Buchenwald von der Roten Armee befreit worden sei.
Im Fokus stehen zehn Frankfurter Polizeibeamte zwischen 1933 und 1945. Können Sie Ihre Kritik anhand von ein oder zwei Personen genauer ausführen?
Der SS-Mann Ernst Schmidt, Direktor der Geheimen Feldpolizei, wird als Vorbild für polizeilichen Widerstand dargestellt. Dabei war er mit Sicherheit ein Nazitäter, der im Sommer 1944 im KZ Sachsenhausen eingesetzt wurde, um Häftlinge zu verhören. Solche Verhöre mit Folterung sind von Überlebenden dieses mörderischen Konzentrationslagers genau beschrieben worden. Auch im Fall des Polizisten Christian von Vulteé ist klar, dass er ein Naziverbrecher war. Er hat als »Polizist« im Getto Łódź gedient, einem der mörderischsten Gettos in Polen in der Zeit der Nazibesatzung. Und das sind nur zwei Beispiele. Das Grundproblem der »Persilschein-Besorgung« nach 1945 wird von der Ausstellung offensichtlich auch nicht grundlegend thematisiert.
Benjamin Ortmeyer lehrte nach seiner Habilitation als außerplanmäßiger Professor im Fachbereich Erziehungswissenschaften der Goethe-Universität Frankfurt am Main und leitete dort die Forschungsstelle NS-Pädagogik. Er ist seit 2018 im Ruhestand.
Ein Persilschein war ein entlastendes Zeugnis für eine Person, die bei der Entnazifizierung wegen Mitgliedschaft in der NSDAP oder einer anderen NS-Organisation als belastet galt, richtig?
Ja, genau. Als Persilscheine wurden mit ironischem Unterton jene Zeugnisse und Erklärungen bezeichnet, die durch Halbwahrheiten und Lügen die Nazitäter reinwaschen sollten. Das waren Erklärung von Familienangehörigen, Bekannten, auch von Pfarrern und von Nazikollegen – wer sich eben dafür bereit erklärte. So versicherte dann etwa ein Gestapo-Beamter, dass ein anderer Gestapo-Beamter bei den Verhören von Leuten aus dem Widerstand oder jüdischen Leuten immer höflich gewesen sei, so wie er selbst ja auch. Solche oft sogar eidesstattlich abgegebenen Erklärungen sind höchst unzuverlässige Quellen. Sie zeugen eher von guten Netzwerken der lügnerischen Nazis im Nachkriegsdeutschland.
Ein zentraler Begriff der Ausstellung ist »Ambivalenz«.
Das ist ein psychologischer Fachbegriff. Vulgärpsychologisch genutzt, ist er aber eine Art Geheimwaffe der Politik- und Geschichtswissenschaften, um zu vernebeln, wenn Tatbestände eindeutig sind. Man wechselt in die Seele, in die Psyche etwa der Naziakteure und stellt dann fest, dass der SS-Mann XY und der Gestapo-Mann YZ, vielleicht sogar Heinrich Himmler, die ermordeten jüdischen Leute und die gefolterten Widerstandskämpfer*innen eigentlich nicht nur gehasst, sondern auch geliebt und bewundert haben. Und dann werden als Entlastung für die Mörder und Folterer einzelne Handlungen herangezogen, die das beweisen sollen. Eigentlich ist das nicht besonders einfallsreich, hat aber eine große Reichweite im Sinne von »Mein Opa war kein Nazi«.
Um nochmals die Tragweite der Problematik dieser Ausstellung in den Blick zu bekommen: Welche Funktion hatten die Polizei und die Gestapo im NS-Regime?
Das ist doch eigentlich klar: Folterung. Ermordung. Zerschlagung des Widerstandes. Deportation der Sinti, Roma und der jüdischen Bevölkerung in die Vernichtungslager. Massenerschießungen. Aufbau eines umfassenden Spitzelsystems. Das alles ist umfassend dokumentiert, auch für die Naziverbrechen in den besetzten Staaten.
Es überrascht nicht, aber es hat fast eine groteske Seite, dass die Frankfurter Polizei – deutschlandweit bekannt durch Nazi-Chatgruppen oder den NSU 2.0 – eine Ausstellung zu Bildungszwecken der eigenen Beamt*innen heranzieht, in der NS-Verbrecher als Widerstandskämpfer dargestellt werden.
Nun, so grotesk ist das doch gar nicht. Das hessische Innenministerium und erst recht die Frankfurter Polizei haben ein Image-Problem. Öffentlichkeitsarbeit ist Teil der Polizeiarbeit, und dazu gehört eben auch, in einer ehemals eher linken Organisation, dem Studienkreis Deutscher Widerstand 1933–1945, ein Zitat des Innenministers – damals Peter Beuth – zu platzieren und gleich am Anfang mit Bild und Grußwort den Frankfurter Polizeipräsidenten als Lichtgestalt einzubauen. Das lässt man sich schon einige 10 000 Euro kosten. Und schnell wird zudem noch eingebaut, dass die Rote Hilfe laut Verfassungsschutz heutzutage »linksextrem« ist.
Kuratiert wurde die Ausstellung vom Studienkreis Deutscher Widerstand 1933–1945, ein gemeinnütziger und, wie Sie sagen, ehemals linker Verein, in dem Sie auch selbst Mitglied sind. Wie kam man auf eine solche Idee?
Der Studienkreis wurde gegründet, um der Fehldeutung des Putschversuches einiger deutscher Generäle des 20. Juli 1944, der lange Zeit vorrangig als Widerstand gefeiert wurde, entgegenzutreten. Es ging uns dabei auch um die Aufwertung des sozialistisch-kommunistischen Widerstands, der Edelweißpiraten, um die Gruppe Weiße Rose, um die Arbeiterin – ob SPD, KPD oder parteilos –, die Zwangsarbeiter mit Brot versorgt hat, und auch um die »Prostituierte«, wie es damals hieß, die in Berlin jüdische Kinder versteckte – um die unbesungenen Helden und Heldinnen also. Peter Gingold und Irmgard Heydorn, beide früher wichtige Persönlichkeiten auch für diesen Verein, sowie viele andere aus dem wirklichen Widerstand hätten eine solche Polizei-Gestapo-SS-Ausstellung niemals zugelassen! Sie fehlen uns so sehr. Ihr Tod wurde schamlos ausgenutzt.
Wie kann ein solcher Verein so etwas zulassen?
Diese ganze ekelhafte Ausstellung »Polizei im NS« in Frankfurt wurde hinter dem Rücken der Kinder von Leuten aus dem Widerstand ausgeheckt, die im Vorstand waren. Und hinter dem Rücken der Mehrheit der Mitglieder, logisch. Manche Mitglieder sind aus Protest ausgetreten – auch aus dem Vorstand. Die politische Implikation ist klar: Relativierung der Naziverbrechen und Entlastung der Naziverbrecher. Im Gegensatz dazu steht beispielsweise eine großartige Ausstellung von 2011 über die Nazi-Polizei mit dem Titel »Ordnung und Vernichtung. Die Polizei im NS-Staat«, die unter anderen von den Professoren Reinhard Rürup und Michael Wildt betreut wurde.
Wie hatte sich diese Ausstellung von 2011 zur Polizei im NS des Themas Widerstand angenommen?
In der Ausstellung wurden die gesamten vielfältigen Naziverbrechen der Polizei klar aufgezeigt, aber es wurden auch Fälle benannt, bei denen unstrittig Polizisten wirklich Widerstand geleistet hatten. Zu Recht wurde das in dieser Ausstellung aber als »absolute Ausnahmeerscheinung« bezeichnet. Die notwendige Ehrung jener sehr, sehr seltenen Ausnahmen, die wirklich, teils sogar aus der SS heraus, Widerstand geleistet und nachweislich Dokumente an die Alliierten geliefert hatten, wie Kurt Gerstein – siehe hierzu die Studie von Saul Friedländer –, wird auch dadurch diskreditiert, dass man nun Gestapo-Beamte und SS-Leute, die an Folter und an Morden beteiligt waren, in die Reihe dieser Menschen aufnimmt. Dass die Erkenntnis aus dieser ersten, wissenschaftlich erstellten und betreuten Ausstellung aus Dummheit oder bewusst ignoriert wurde, zeigt die faktische Unwissenschaftlichkeit der aktuellen Frankfurter Ausstellung. Diese ist im Vergleich zur fundierten und hochkarätigen wissenschaftlichen Ausstellung von 2011 als geschichtsrevisionistische Gegenausstellung zu bezeichnen.
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