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Berlins Krankenhäuser im Jahr 2035
Zukunftskonferenz der Linksfraktion zum Gesundheits- und Sozialwesen
Im November könnte sich die gesetzlich krankenversicherte Patricia Hänel vorsorglich auf Hautkrebs untersuchen lassen. Um schneller einen Termin zu bekommen, zahlt sie 80 Euro für eine Behandlung als Privatpatientin. Die Medizinerin vom Gesundheitskollektiv Neukölln kann sich das leisten. Aber sie weiß: Viele andere könnten das nicht – und das ist eine Benachteiligung mittelloser Menschen durch das Gesundheitssystem.
Hänel berichtet von dieser Erfahrung am Samstag bei einer Veranstaltung im nd-Gebäude am Franz-Mehring-Platz. Die Linksfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus hat hierher zu einer Zukunftskonferenz Gesundheit, Pflege und Soziales eingeladen. 52 Interessierte erscheinen, um Probleme zu diskutieren, Ideen für Lösungen zu entwickeln und darüber nachzudenken, wie das Gesundheits- und Sozialwesen der Hauptstadt im Jahr 2035 aussehen sollte und könnte.
Mit Konferenzen wie dieser will sich die oppositionelle Linksfraktion darauf vorbereiten, den jetzt seit einem Jahr regierenden Bürgermeister Kai Wegner (CDU) bei der Abgeordnetenhauswahl 2026 wieder abzulösen. »Berlin hat mehr verdient als diese schwarz-rote Koalition«, sagt Linksfraktionschef Carsten Schatz. Einen Workshop zum Thema Inklusion, also zur Teilhabe von Behinderten, habe man für heute leider nicht organisiert bekommen, bedauert Schatz eine Lücke im Programm. Doch er verspricht: »Das nehmen wir uns noch einmal extra auf den Zettel.«
Zustande kommen Workshops zu Pflege, Wohnungslosigkeit, Kinderarmut und zu den Krankenhäusern der Zukunft. Die Gespräche werden protokolliert und die Ergebnisse für die politische Arbeit mitgenommen, wie der Abgeordnete Tobias Schulze erläutert. Er dankt Patricia Hänel dafür, dass diese in ihrem Einführungsvortrag erinnert, dass Berlin eine »Einwanderungsstadt« sei.
Um von Patienten, die beispielsweise nur die albanische Sprache beherrschen, die Beschwerden zu erfragen, können Ärzte eine Übersetzungstechnologie verwenden, berichtet Hänel. Doch es dauert seine Zeit, so zu kommunizieren – und der zusätzliche Aufwand werde den Ärzten von den Krankenkassen nicht honoriert, schildert sie das Problem. Hänel sagt auch: »Gegen Einsamkeit gibt es kein Medikament!« Aber Einsamkeit macht krank und ist in der Anonymität des Lebens in der Großstadt weit verbreitet. Ein möglicher Ausweg wären »soziale Kontakte auf Rezept«.
Armut mache krank und das sei ein Skandal in einem reichen Staat wie Deutschland, beklagt Gerhard Trabert in einem per Video eingespielten Grußwort. Er hat es nach einem Besuch im Berliner Karl-Liebknecht-Haus aufgenommen. Das ist daran zu erkennen, dass im Hintergrund die benachbarte Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz zu sehen ist. Trabert ist parteilos, war aber 2021 in seiner Heimatstadt Mainz Kandidat der Linken für den Bundestag, 2022 Kandidat der Linken für das Amt des Bundespräsidenten und ist nun auch Kandidat der Linken bei der Europawahl am 9. Juni 2024. Arme Frauen sterben im Schnitt drei bis vier Jahre früher als Wohlhabende, arme Männer sogar zehn Jahre früher, erzählt Trabert. Die Lebenserwartung der Obdachlosen sei noch geringer, weiß der Allgemeinmediziner, der sich seit Jahrzehnten um wohnungslose Patienten kümmert. Trabert sieht die Gefahr, dass sich Menschen wegen ihrer sozialen Lage von der Demokratie abwenden.
Welche gesundheitlichen Beschwerden Obdachlose haben, weiß auch Thomas de Vachroi. Er ist Armutsbeauftragter der evangelischen Kirche, leitet eine Wohnanlage der Diakonie in Britz und unterstützt die Tee- und Wärmestube in Neukölln. Die Wärmestube benötige 312 000 Euro im Jahr, erhalte vom Staat aber nur 165 000 Euro, beklagt de Vachroi. »Ich bin täglich unterwegs, um Spenden zu sammeln.«
Früher habe die Wärmestube bis zu 1000 Versorgungen im Jahr leisten müssen, heute seien es 15 000. Und dann verliert sie 2025 ihr langjähriges Domizil. Aber es wird zum Glück für 5,6 Millionen Euro ein neues gebaut – auf dem letzten freien, von der evangelischen Kirche überlassenen Grundstück im schick gewordenen Schillerkiez, wo eine Tasse Latte Macchiato inzwischen 7,20 Euro koste und eine Einrichtung für Obdachlose von manchen Nachbarn als störend empfunden werde, wie de Vachroi sagt. Doch die Leute sollen nicht wegsehen, findet er. Der Armutsbeauftragte sagt auch: »Ein Mindestlohn von 15 Euro ist nicht zu viel.« Das Leben sei für einen Großteil der Bevölkerung sonst nicht mehr bezahlbar.
»Wie können wir durch eine linke Politik auf Landes- und Bezirksebene Armut entgegenwirken und der kapitalistischen Metropolenentwicklung eine solidarische Alternative entgegensetzen?« Das war eine Frage, die Berlins Linksfraktion gern beantwortet hätte. Mindestlohn und Mietendeckel wären hilfreich, bestätigen am Samstag schon die einführenden Vorträge der Konferenz. Das Ziel ist klar: Berlin soll eine Stadt sein, »in der ein gutes und gesundes Leben nicht vom Geldbeutel abhängt«.
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