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Wiglaf Droste war ein Rockstar der Literatur
Vor fünf Jahren starb Wiglaf Droste. Christof Meueler hat seine Biografie geschrieben: »Die Welt in Schach halten«
Große Satiriker erkennt man daran, dass sie uns auf ihre Seite ziehen und dazu bringen, mit ihnen über ihre Gegner zu lachen, selbst wenn wir diese Gegner gar nicht kennen und deswegen eigentlich auch kein Urteil fällen können. Wie viele Menschen, die mit Freude Heinrich Heines satirische Schriften lesen, haben wohl August von Platen, Ludwig Börne oder Wolfgang Menzel studiert? Macht nichts, uns überzeugt die Virtuosität des Spotts und der Schelte. Ist die Satire große Kunst, wird ihr Ziel zur Nebensache, wo nicht gar belanglos – auch wenn den Opfern ihr Schmerz etwas anderes sagt. Auch deswegen lassen sich die Schriften von Jonathan Swift oder Karl Kraus noch immer mit Vergnügen und Gewinn lesen, obwohl die Opfer, die sie auf die Feder spießten, größtenteils längst vergessen sind. Satiriker strafen doppelt: Sie richten nicht nur hin, sondern sorgen auch noch dafür, dass die Hingerichteten überleben – aber nur in dem Spott, der tödlich für sie war.
Der Schriftsteller Wiglaf Droste mochte nicht als Satiriker bezeichnet werden. Aber es dürfte doch diese Seite seines Werks sein, die ihm bleibenden literarischen Ruhm sichert. Er begann als Kulturjournalist im Westberlin der Achtziger, zeichnete sich aber von Anfang an durch einen sehr persönlichen Stil und Lust an der Polemik aus. In späteren Jahren neigte er zu leiseren Tönen und schrieb auch idyllische Stücke. Mit Gedichten und Liedern trat er ebenfalls an die Öffentlichkeit. Unvergesslich aber bleiben die Texte, in denen er unangenehme Figuren des öffentlichen Lebens und deren Kulturprodukte zugleich verspielt und brutal erledigte. Dabei traf er sachlich oft, wenngleich nicht immer ins Schwarze. Manchmal eröffnete er Fehden auch aus purer Lust am Krawall wie ein intellektueller Kneipenschläger. Heute vor fünf Jahren verstarb Droste im Alter von nur 57 Jahren im fränkischen Pottenstein. Der Journalist Christof Meueler hat nun die erste Biografie über den Schriftsteller geschrieben. Er leitet heute das Feuilleton des »nd« und arbeitete vorher im Feuilleton der »Jungen Welt«, wo er lange Jahre Drostes Redakteur war. Mit dem »nd« hatte sich Droste schon 1994 überworfen und 2006 dann auch mit der »Taz«. Für die »JW« schrieb er bis zu seinem Lebensende.
In seinem Buch »Die Welt in Schach halten« verzichtet Meueler darauf, allzu ausgiebig aus Drostes Schriften zu zitieren. Wer Droste erst kennenlernen will, der sollte zunächst zu den Auswahl- und Nachlassbänden greifen, die sein Verleger Klaus Bittermann herausgebracht hat. Wer Drostes Schaffen schon schätzt, der wird in dieser ebenso unterhaltsamen wie kenntnisreichen Biografie noch überraschende Entdeckungen machen. Wer hätte etwa gewusst, dass der in seinen mittleren Jahren barock geformte Droste in seiner Jugend ein schmaler Bursche und ein talentierter Turner und Handballer gewesen ist? Oder dass Droste in Berlin einmal bei einer Punk-Impresaria lebte, die inzwischen für die AfD kandidiert? Oder dass es der spätere CDU-Europapolitiker Elmar Brok beinahe geschafft hätte, Droste zur Bundeswehr zu schicken? Christof Meueler hat mit Dutzenden von Menschen gesprochen, die mit Droste gelebt, gearbeitet und gestritten haben. Dass er sie im Text unmittelbar zu Wort kommen lässt, verleiht der Biografie ein hohes Maß an Glaubwürdigkeit.
Leitmotiv der Erzählung ist überraschenderweise die Musik. Man erfährt, dass Droste, geboren 1961 in Herford, aufgewachsen in Bielefeld, schon in jungen Jahren in einer Band sang. Auch später schrieb er nicht nur oft über Konzerte, sondern trat als Sänger mit dem Jazztrio Spardosen-Terzett auf. Er wurde böse, wenn man ihn als »Hobbysänger« bezeichnete, obwohl das strenggenommen den Tatsachen entsprach. Meueler zeigt, dass man in dieser nur halb erwiderten Liebe zur Musik auch den Schlüssel zu Drostes Schreiben erblicken muss: Droste wurde zu einem »Meister der kleinen Form«, weil er ein Rockstar der Literatur sein wollte und auf dem Höhepunkt seines Ruhms auch wirklich war. Droste schrieb schnell und kurz, war süchtig nach der Aufregung, die seine Artikel in der Öffentlichkeit verursachten, und nach dem Applaus, wenn er auf der großen Bühne vorlas. Für Romane blieb da keine Muße: »Wiglaf machte Singles, keine Alben.« Droste lebte auch wie ein Rockstar: in der Liebe unstet, dem Rausch zugetan, mit Höhen und sehr tiefen Tiefen. Und wie es sich gehört, brannte er dabei allzu früh aus.
»Wiglaf war ein extremer Egomane«, berichtet der Starkoch Vincent Klink, der mit ihm viele Jahre die kulinarische Kampfschrift »Häuptling Eigener Herd« herausgegeben hat. Christian Y. Schmidt, Drostes Kollege in der »Titanic«, ergänzt: »Wiglaf war schnell beleidigt und auch nachtragend, teilweise wirkte er dabei wie ein Kind.« Dass Droste zerstörerisch nicht nur gegen seine Feinde, sondern auch gegen seine Freunde agierte, bestätigt seine Exfreundin Claudia Aldenhoven: »Bei Wiglaf schlugen schnell die Emotionen hoch. Starke Zuneigung und Bewunderung konnten sich schnell in Hass und Ablehnung verwandeln. Er sehnte sich nach absoluter Nähe, nach großen Freundschaften, um sie dann, wenn er sie hatte, wieder zu zertrümmern.« Der Mann, der sich selbst als »solitärer Block« verstand, scheiterte denn auch regelmäßig daran, als Redakteur oder Herausgeber zuverlässig mit anderen Menschen zusammenzuarbeiten. Seine Liebesbeziehungen hielten nie länger als einige Jahre, mit den Aufgaben als Vater eines Sohnes fremdelte er.
So stur und nachtragend der Westfale Droste auch war – mindestens einen bemerkenswerten Sinneswandel gab es in seinem Leben doch: Hatte sich Droste wie viele Westlinke in den Neunzigern noch routiniert über die »Zonis« lustig gemacht, gewann er Ostdeutschland nach der Jahrtausendwende zunehmend lieb. Eine Partnerin aus dem Osten mag dabei ebenso eine Rolle gespielt haben wie seine Bewunderung für den Dichter Peter Hacks. Droste verließ Berlin und ließ sich in Leipzig nieder. Er ging mit den ostdeutschen Jazz-Koryphäen Uschi Brüning und Ernst-Ludwig Petrowsky auf Tournee. Als Stadtschreiber im brandenburgischen Rheinsberg fühlte er sich so wohl, dass seine Texte eine Zeit lang ungewohnt friedvoll und sogar etwas seicht ausfielen. In seiner späten Zeit waren es vor allem Ostmedien wie »Das Magazin«, die »Junge Welt« und der MDR, die ihm als publizistische Stützpunkte übrig blieben.
Darüber, warum dieser brillante Autor schließlich fast verstummte, muss man wenig mehr wissen als dies: »Wiglaf trank, wenn es ihm gut ging, und er trank, wenn es ihm schlecht ging.« Christof Meueler berichtet ohne Beschönigung über die letzten Lebensjahre Drostes, von gescheiterten Rettungsversuchen, kurzen, glücklichen Eskapaden und immer schlimmeren Zusammenbrüchen. Dieses letzte Kapitel stimmt nicht nur traurig, es macht auch wütend. Man wüsste Droste so gerne noch unter den Lebenden und bedauert die an eine sinnlose Selbstzerstörung verlorenen Texte. Vergebens sucht man heute einen Autor, der mit so viel Witz und so großer Wirkung die »wirkliche Wirklichkeit« hinter den gesellschaftlichen Lügen zeigt und dabei auch auf die Befindlichkeiten des eigenen Milieus keine Rücksicht nimmt. Seinen Nachruhm hat sich Droste redlich verdient. Besser wäre es aber, wir wüssten, was er zu dem Elend schriebe, das uns heute umgibt.
Christof Meueler: Die Welt in Schach halten. Das Leben des Wiglaf Droste. Edition Tiamat, 304 S., geb., 30 €.
Buchvorstellung am 21.5. in Berlin, 19.30 Uhr in der Fahimi Bar, Skalitzer Str. 133; am 30.5. um 19 Uhr im nd-Literatursalon im FMP1, Franz Mehring Platz 1 und am 2.6. in Bielefeld um 16 Uhr, Meller Str. 2.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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