Menschengemachte Tragödie

Der vergessene Konflikt im Sudan bricht Rekorde bei Hunger und Elend

  • Cyrus Salimi-Asl
  • Lesedauer: 5 Min.

Kann es noch schlimmer kommen im Sudan? Genau ein Jahr nach Beginn des blutigen Konflikts zwischen der regulären Armee und den Milizen der Rapid Support Forces (RSF) hat sich die humanitäre Notlage nach Einschätzung der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen (MSF) zu einer der schlimmsten Krisen seit Jahrzehnten entwickelt. »Zentral-Darfur ist eine humanitäre Wüste«, sagte MSF-Direktor Christos Christou, der sich kürzlich vor Ort über die Lage informiert hatte, und sprach bei einer Pressekonferenz von der »schlimmsten Krise der Welt«. 25 Millionen Sudanesen benötigten humanitäre Hilfe, ein Anstieg von mehr als 40 Prozent gegenüber 2023.

Die Zustände in den Flüchtlingslagern beschreibt er als »entsetzlich«. Es fehle an Trinkwasser, Lebensmitteln und sonstiger Versorgung. MSF-Mitarbeiter würden Wasser verteilen, eine untypische Aufgabe für eine Organisation, die sich der medizinischen Versorgung verschrieben hat. Eine Katastrophe sind auch die hygienischen Bedingungen: »Es gibt eine Latrine für knapp 700 Menschen.« Das führe dazu, dass sich Krankheiten ausbreiteten, doch nur noch 20 bis 30 Prozent der medizinischen Einrichtungen seien arbeitsfähig, so Christou.

Ja, es kann noch schlimmer kommen, zumindest nach Einschätzung der Weltgesundheitsorganisation (WHO), da die Verteilung von humanitärer Hilfe und medizinischen Hilfsgütern eingeschränkt bleibt: »Die Zeit läuft ab. Ohne ein Ende der Kämpfe und ungehinderten Zugang für humanitäre Hilfe wird sich die Krise im Sudan in den kommenden Monaten dramatisch verschärfen und könnte Auswirkungen auf die gesamte Region haben«, sagte WHO-Sprecher Christian Lindmeier am Freitag.

15 Millionen Menschen benötigten dringend medizinische Hilfe, Cholera, Malaria und Dengue-Fieber breiteten sich aus. Die erforderliche medizinische Versorgung im Land werde nur zu rund 25 Prozent gedeckt, 70 bis 80 Prozent der sudanesischen Gesundheitseinrichtungen funktionierten nicht. Diese Zahlen decken sich mit denen von Ärzte ohne Grenzen und zeichnen ein desolates Bild. Einige Großregionen wie Darfur hätten seit einem Jahr keine medizinischen Hilfsgüter mehr erhalten, so WHO-Sprecher Lindmeier. Ohne Gesundheitsversorgung nähmen auch die Krankheitsausbrüche zu.

Die Konfliktparteien verhindern bewusst den Nachschub an humanitären Lieferungen und Helfern. Die sudanesischen Behörden würden nur sehr wenige Visa ausstellen, sagt MSF-Präsident Christos Christou. Wenn die Visa ausgestellt sind, heißt das noch nicht, dass humanitäre Helfer auch dorthin gelangen, wo die Hilfe benötigt wird. Die RSF-Milizen verhindern, dass humanitäre Helfer die Frontlinien überqueren können.

Erstmals seit Monaten konnte das Welternährungsprogramm (WFP) kürzlich dringend benötigte Nahrungsmittel aus dem Tschad nach Darfur bringen. Die Region leidet besonders unter dem Konflikt. Jetzt konnte mit zwei Konvois Hilfe für rund 250 000 von akutem Hunger bedrohte Menschen ins Land gebracht werden.

Angesichts der andauernden Kämpfe zwischen Regierungstruppen und der RSF-Miliz, geplünderten Depots und Millionen Menschen auf der Flucht seien diese Lebensmittel aber nur ein kleiner Hoffnungsschimmer für die hungernden Menschen, warnte WFP-Landesdirektor Eddie Rowe. »Wir müssen Hilfe ständig über jede mögliche Route in die vom Krieg gezeichneten Gebiete bringen«, sagte er. »Der Hunger im Sudan wird noch weiter zunehmen.« Er rechne mit einem bisher nicht erlebten Anstieg von Unterernährung und Hunger. Derzeit gelten 18 von 49 Millionen Menschen im Sudan als von akutem Hunger bedroht. Gut die Hälfte der sudanesischen Bevölkerung ist laut den Vereinten Nationen auf humanitäre Hilfe und Schutz dringend angewiesen.

Wie immer im Krieg trifft es die Kinder besonders schlimm: Nach Angaben der Kinderhilfsorganisation Save the Children leben über zehn Millionen Kinder im Sudan in einem aktiven Kriegsgebiet. Das heißt, jedes zweite Kind lebt nicht mehr als fünf Kilometer von Frontlinien entfernt und erlebt Luftangriffe, Beschuss und Gewalt – 60 Prozent mehr als noch vor einem Jahr. 19 Millionen können nicht mehr zur Schule gehen, mindestens vier Millionen Kinder unter fünf Jahren sind akut unterernährt.

An diesem Montag findet in Paris eine internationale Geberkonferenz statt, organisiert von Frankreich, Deutschland und der EU. Dabei soll die humanitäre Lage im Sudan und den Nachbarstaaten besprochen und – vor allem – Geld zusammengebracht werden, um die katastrophale Lage abzumildern.

Die Vereinten Nationen haben berechnet, dass rund 4,1 Milliarden Dollar gebraucht würden: 2,7 Milliarden, um den humanitären Bedarf der Zivilbevölkerung im kriegsgebeutelten Sudan zu decken, und 1,4 Milliarden für die mehr als 1,5 Millionen Menschen, die über die Grenzen des Sudan in die Zentralafrikanische Republik, den Tschad, Ägypten, Äthiopien und den Südsudan geflohen sind. Nach UNHCR-Angaben sind mehr als 8,6 Millionen Menschen innerhalb des Sudans und in den Nachbarstaaten auf der Flucht.

Da erscheinen die am Sonntag von der der US-Behörde für internationale Entwicklung (USAID) angekündigten zusätzlichen 100 Millionen Dollar für Nahrungsmittelsoforthilfe fast lächerlich. »Der Sudan wird von der internationalen Gemeinschaft immer wieder vergessen«, sagte UN-Hilfschef Martin Griffiths vor Diplomaten in Genf.

Zur Untersuchung mutmaßlicher Menschenrechtsverletzungen und Verstöße gegen das Völkerrecht setzte der UN-Menschenrechtsrat im vergangenen Oktober eine Untersuchungskommission ein. Laut deren Vorsitzendem Othman nehmen die Kriegsparteien wenig Rücksicht auf den Schutz der Bevölkerung. Die UN-Experten berichte über wiederholte Angriffe auf Zivilisten, Schulen und Krankenhäuser sowie die Blockade von Hilfslieferungen.

Auf dem Schlachtfeld gelingt es keiner der beiden Seiten, eine Entscheidung herbeizuführen. Zwar haben die RSF-Miliz die Kontrolle über viele Landesteile übernehmen können, die Hauptstadt Khartum unter ihre Kontrolle gebracht und im Dezember auch den besonders fruchtbaren Bundesstaat Al-Dschasira südlich von Khartum, Sudans Kornkammer. Aber das Kriegsglück scheint sich zu wenden: Im März ging die reguläre Armee zur Gegenoffensive über, eroberte die nationale Rundfunkanstalt zurück und schickt sich an, die Hauptstadt zurückzuerobern. Damit schwindet auch jede Hoffnung auf einen baldigen Waffenstillstand.

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