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Industrieförderung oder Patientenschutz
Das vorgelegte EU-Pharmapaket ist die umfassendste Neuregelung für Humanarzneimittel seit 20 Jahren
Ende April wurde das sogenannte EU-Pharmapaket der Öffentlichkeit vorgestellt. Es umfasst zwei Legislativvorschläge (ein Gesetzentwurf oder ein Änderungsvorschlag für bestehende Gesetze), eine Richtlinie und eine Verordnung. Das Bündel an Regelungen soll alle vorangegangenen Vorschriften für Humanarzneimittel ersetzen oder vereinfachen. Damit legte die Europäische Kommission die umfassendste Umgestaltung dieser Regeln in der EU seit 20 Jahren vor. Sie hat Auswirkungen auf die Behandlungsmöglichkeiten seltener Erkrankungen und den Antibiotika-Nachschub. Geregelt werden soll der Zugang zu innovativen Arzneimitteln für alle EU-Bürger, die Forschungsförderung und der rechtliche Schutz von Innovationen. Auch um eine bessere Überwachung von Arzneimittelrisiken geht es.
Am 10. April hatte schon das Europäische Parlament zugestimmt, nachdem zuvor einige der ursprünglich geplanten Regeln aufgeweicht worden waren. Eines der Konfliktthemen war der sogenannte Unterlagenschutz. Damit bekommt der Inhaber einer Arzneimittelzulassung, in der Regel der Originalhersteller, einen Schutz davor, dass seine eigenen Studiendaten von Generikaherstellern in Zulassungsanträgen genutzt werden dürfen. Diese Hersteller von Nachahmerprodukten müssen dann entscheiden, ob sie selbst Studien durchführen (was in der Regel zu teuer ist) oder bis zum Ablauf des Schutzes mit ihrem Antrag warten. Im Kern geht es darum, schneller oder langsamer billigere Versionen eines Wirkstoffs auf den Markt zu bringen. Dabei sind Unterlagen- und Patentschutz zwei Seiten einer Medaille, wirken aber unabhängig voneinander.
Ursprünglich hatte die Kommission 2023 vorgeschlagen, den Unterlagenschutz auf sechs Jahre zu begrenzen. Diese Variante war nicht durchzusetzen, in Zukunft gilt diese Regel für 7,5 Jahre, unter bestimmten Bedingungen kann sie sogar auf 8,5 Jahre verlängert werden, etwa wenn Forschung am Standort Europa zugrunde lag oder wenn es »ungedeckten medizinischen Bedarf« gibt. Die 8,5 Jahre wären allerdings die Obergrenze.
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Weniger industriefreundlich zeigt sich die Absenkung der Marktexklusivität für sogenannte Orphan Drugs (mit denen als selten definierte Erkrankungen behandelt werden) von ursprünglich zehn auf neun Jahre. Mit der Begründung, dass nur wenige Patienten diese Medikamente brauchen und auch für Studien nur schwer Probanden zu finden sind, versuchen die Hersteller, besonders gute Bedingungen für diese Produkte durchzusetzen und besonders hohe Entwicklungskosten wieder hereinzuspielen.
Hoch umstritten ist ebenfalls die sogenannte Voucher-Lösung. Damit sollen Forschung und Entwicklung neuer Antibiotika gefördert werden. Wird ein solches Medikament entwickelt, soll das jeweilige Unternehmen einen handelbaren und übertragbaren Gutschein erhalten, mit dem der Marktschutz eines beliebigen Medikaments um ein Jahr verlängert werden kann. Praktisch kann das zusätzliche Umsätze von mehr als einer Milliarde Euro pro Jahr bringen. Zu befürchten ist, dass durch dieses Instrument Marktmechanismen noch mehr als bisher die selektive Entwicklung von Medikamenten beeinflussen werden. Für ein neues Antibiotikum werden Forschungs- und Entwicklungskosten von 800 Millionen US-Dollar veranschlagt. Da diese Medikamente aber nur sehr gezielt und zurückhaltend eingesetzt werden sollen, um neue Resistenzen zu vermeiden, sieht die Industrie keine Chancen für ausreichend hohe Umsätze und Gewinne.
Eines der Themen, die ebenfalls in den neuen Vorschriften enthalten sind, könnte für Patienten von Nutzen sein: Auf den Weg gebracht wurde die elektronische Packungsbeilage. Das EU-Parlament hat die Entscheidung darüber, ob Beipackzettel digital oder in Papierform in Umlauf kommen, nun den Mitgliedsstaaten überlassen.
Die deutschen Herstellerverbände monierten, dass die vorgesehene Umweltverträglichkeitsprüfung für den ganzen Produktionszyklus von kleinen und mittleren Unternehmen nicht zu leisten wäre. Außerdem seien Meldefristen für Lieferengpässe in der jetzigen Version unrealistisch. Der Pharmaindustrie gefällt ebenso wenig, dass Vorsorgepläne gegen Engpässe nun für alle Produkte verpflichtend sind und nicht nur für bestimmte kritische Arzneimittel. Unter dem Strich sieht etwa der Bundesverband der Pharmaindustrie »viel Raum für Verbesserungen«.
Das Pharmapaket wurde, bei aller Kritik am Inhalt, zu spät auf den Weg gebracht: Die Regeln sollten bereits vor den Europawahlen im Juni unter Dach und Fach sein. Nur waren die Mitgliedsstaaten, wie gezeigt, durchaus nicht mit allen Einzelheiten der Entwürfe einverstanden. Nun kann erst das neu gewählte EU-Parlament darüber mit dem Rat der Europäischen Union (also mit den Fachministern der Mitgliedsstaaten) verhandeln. Die Minister müssen einerseits die Interessen von Medizin, Forschung und Industrie berücksichtigen, sollten aber die Bedürfnisse der Patienten nicht vergessen. Ob das gelingt, dürfte schon angesichts der Entwicklung der Gesetzesänderungen und -neuerungen mit einem Fragezeichen versehen sein.
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